„I Care A Lot” auf Netflix: Rosamund Pike brilliert in bitterböser Thriller-Komödie
Rosamund Pike läuft in der Rolle der eiskalten Geschäftsfrau, die es auf das Vermögen tattriger Senior*innen abgesehen hat, zur Höchstform auf. Mit „Game of Thrones“-Star Peter Dinklage findet sie einen würdigen Widersacher in der wohl rundum gelungensten Komödie, die Netflix derzeit zu bieten hat.
In Marla Graysons (Rosamund Pike) Sicht auf die Welt gibt es nur zwei Arten von Menschen: Die, die nehmen – und die, denen genommen wird. Es gibt Raubtiere, und es gibt Beutetiere. Es gibt Löwinnen, und es gibt Lämmer. „Gute Menschen“ sind hingegen ein ebenso bequemes wie erfundenes Konzept, erdacht von reichen Menschen, um die Kleinen kleinzuhalten.
Von der Überzeugung geleitet, dass man mit harter, fairer Arbeit zu nichts kommt, hat sie sich ein perfides Geschäftsmodell ausgedacht, das sich auf eine ganz bestimmte Art von Lämmern stürzt: Sie hat es auf die Alten, und damit auf eine besonders schwache, wenig beachtete gesellschaftliche Gruppe, abgesehen. Gemeinsam mit einem großen Netz an Unterstützer*innen – dazu gehören auch Ärzt*innen und Leiter*innen von Pflegeeinrichtungen – sucht sich ihr Business reife Opfer, für die sie die rechtliche Vormundschaft beantragt.
Menschen mit Demenz und ohne Familienanhang geben die vielversprechendsten Schützlinge ab: Sie nehmen am wenigsten Notiz davon, wenn man all ihr Hab und Gut verkauft und den Erlös in die eigene Tasche steckt – und ohne Erben, die sich darüber echauffieren könnten, bekommt auch wirklich niemand etwas von dem Betrug mit.
Erfrischend herzlose Satire
Ja, das könnte der Stoff eines belehrenden Moralstücks über das Ausgeliefertsein von Senior*innen in einem auf finanziellen Profit getrimmten Pflegesystem sein, in dem jed*r Einzelne nur eine Nummer ist. Doch der britische Autor und Regisseur J. Blakeson („Gunpowder“) hat eine restlos andere Geschichte daraus gemacht: „I Care A Lot“ ist eine beißende Satire, die in ihrer absoluten Herzlosigkeit überraschend erfrischend und leichtfüßig daherkommt.
Große Freude macht dabei vor allem die einnehmende Darbietung Rosamund Pikes („Gone Girl“). In perfekt geschnittenen Anzügen und nicht minder akkurat getrimmter Bobfrisur präsentiert sie sich vor Gericht überzeugend als zuverlässige Geschäftsfrau mit Herz am rechten Fleck, der man gerne noch eine weitere Seniorin anvertraut. Nur um im nächsten Moment mit einer Ärztin knallhart die Konditionen für einen lukrativen Deal über das nächste Opfer auszuhandeln.
Dass Marla Grayson nie zum platten Monster verkommt, ist dem Film, der sich irgendwo zwischen bitterböser Comedy und smartem Thriller bewegt, ein großer Gewinn. Dafür sorgen Szenen mit Partnerin Fran (Eiza Gonzalez), die ihre Fähigkeit zur aufrichtigen Hingabe unterstreichen. Generell hebet seine Figurenkonstellation – in der eben ganz nebenbei auch eine lesbische Beziehung Platz findet – „I Care A Lot“ von immergleichen Durchschnittskomödien ab.
Smarter Thriller mit Action-Elementen
Dass trotz der zunächst ernst erscheinenden Thematik keine Rührseligkeit aufkommt, liegt an der Wehrhaftigkeit des nächsten, anvisierten Opfers: Jennifer Peterson (Dianne Wiest) leidet unter anfangendem Gedächtnisverlust und scheint keine Familie, aber ein großes Anwesen zu besitzen. Der Antrag auf Vormundschaft ist schnell durchgewunken, die alte Dame fix im Heim untergebracht und von der Außenwelt abgeschnitten. Die Messer sind gewetzt – doch dann entpuppt sich das Lamm als Wolf im Schafspelz.
Ganz so allein, wie anfangs angenommen, ist die alte Dame nämlich gar nicht auf der Welt: Ihr in kriminelle Machenschaften verwickelter Sohn Roman (Peter Dinklage) schickt regelmäßig einen Schergen vorbei, der mehr als erstaunt ist, als er das Haus leer vorfindet. Als Marla Grayson, ihrer unversöhnlichen Haltung gegenüber ihren Mitmenschen und ihrem unbedingten Ziel, reich zu werden, treu bleibend, ein großzügiges Friedensangebot ablehnt, beginnt eine turbulente Jagd, bei der beide Parteien ordentlich einstecken müssen.
Ästhetisches Vergnügen
Dass dieser Schlagabtausch über knapp zwei Stunden nicht langweilig wird, ist dem kunstvollen Gesamtkonzept des Films zu verdanken. Helle, leuchtende Farben und treibende elektronische Musik verleihen „I Care A Lot“ eine eigene, bestechende Ästhetik, die in sich schon ein Sehvergnügen darstellt. Umso befriedigender ist es, dass sich der Handlungsverlauf konsequent an die eingangs etablierte Philosophie hält und damit in einem – zwar etwas übereilten – aber in sich schlüssigen Finale endet.
Ganz so, dass man sich am Schluss in zwei Dingen ziemlich sicher sein kann: Rosamund Pike hat ihre „Golden Globe“-Nominierung mehr als verdient – und „I Care A Lot“ ist die wahrscheinlich rundum gelungenste Komödie, die es derzeit auf Netflix zu sehen gibt.
„I Care A Lot“ mit Rosamunde Pike, Eiza Gonzalez und Peter Dinklage startete am 19. Februar 2021 auf Netflix.