Kinderzimmer Productions
Todesverachtung To Go
Grönland/Rough Trade (VÖ: 17.1.)
Als wären sie nie weg gewesen: Das Ulmer HipHop-Duo der ersten Stunde präsentiert sich auf seinem Comeback so assoziationsmächtig und sprachgewitzt wie eh und je.
Wie kehrt man als Deutsch-Rap-Säulenheiligtum der alten Schule in eine Musiklandschaft zurück, in der Homophobie, Gewaltfantasien und Sexismus den deutschen HipHop dominieren? Man kehrt natürlich im Angriffsmodus zurück. Nicht in einem abgeschmackten, sondern in einem hintersinnigen, hypereloquenten und irre souveränen, in dem man die Gangsta-Dumpfbacken da draußen eher im Vorbeigehen und im rasenden Assoziationsflow abwatscht, um dann in der nächsten Zeile schon wieder ganz woanders unterwegs zu sein. Man kehrt zurück mit TODESVERACHTUNG TO GO.
AmazonDabei lagen die Dinge vor 13 Jahren, als sich Henrik von Holtum aka Textor und Sascha Klammt aka Quasi Modo per Brief von ihren Fans verabschiedeten, im deutschen HipHop nicht viel anders. Kinderzimmer Productions standen 2007 nach sechs formidablen Alben als Vorreiter und Vertreter der goldenen Spätneunzigergeneration (u.a. Beginner, Eins Zwo, Fettes Brot) ja noch voll im Saft und zählten mit ihrer Assoziationsmacht und Samplewut zu den aufregendsten Acts des Deutsch-Rap.
Jazzig, funkig und soulig herbeigesampelte Oldschool-Vibes
Nur war ihnen als nie so ganz durchgestartetem Nischen-Act zum einen durch den einbrechenden Musikmarkt die wirtschaftliche Grundlage entzogen, um weiter von der Musik leben zu können. Zum anderen war da eben auch dieses Befremden angesichts eines Hypes, der den Platten von „Aggro Berlin“-Rappern wie Bushido nun Platinstatus bescherte. Es folgten noch zwei als Live-Alben verewigte Konzerte, dann war Schluss. Und nun also dieses taufrische, niemals fade, immer dringliche Comeback-Album, auf dem das Duo mit Funken schlagendem Furor das Kunststück vollbringt, gleich mehrere Comeback-Fallen zu umgehen.
Anstatt in politisch angespannten Zeiten moralisierend den Zeigefinger zu erheben, strecken sie lieber all jenen den Mittelfinger ins Gesicht, denen sie sich schon vor ihrem Abschied entgegenstemmten. Anstatt sich in musikalischen Zeitgeist-Anbiederungen zu ergehen, bleiben sie lieber ihrem jazzig, funkig und soulig herbeigesampelten Oldschool-Vibe treu. Und anstatt den Zauber der guten alten Zeit zu beschwören, geht Textors Blick entweder dahin, wo sich für ihn ein Maximum an Reibungsfläche ergibt, oder dahin, wo ihn der freie Assoziationsfluss eben hin trägt.
Zwischen genialischer Aufschneiderei und passgenauer Sozial-Analyse
Nichts weniger als eine Demonstration ist das, wie er zum fetten Beat-Gerüst des Openers „Baeng“ erst mal reflektiert, was da eigentlich mit einem beim Rappen passiert, wenn man „von einer Überzeugung so tief, dass man den Boden nicht mehr sieht“ getragen wird, wenn alle Hemmnisse wegfallen, und man schließlich unbekanntes Areal betritt. Es folgt ein Album, das mit Battle-Rap-Tracks wie dem superforschen „Attacke“ und dem supersüffisanten „Lecker bleiben“ direkt in den Angriffsmodus schaltet, um dann zwischen genialischer Aufschneiderei und passgenauer Sozial-Analyse wild mäandernd durch unsere Zeit zu zoomen.
https://www.youtube.com/watch?v=qvor5sQkV8A
„Boogie Down“ gerät mit Synthie-Bassline und treibenden Percussions zur brillanten Party-Nummer, in der Textor den Raum verbiegt und die Zeit flext; das verknisterte „Watch Me“ entfaltet vor verkifft-sinisterer Atmo ein ebenso düsteres Gesellschaftspanorama wie das verstrahlte „I Don’t Mind“.
Und dann ist da noch das komplett entfesselte „Oh Yeah“ inklusive einer Selbstbeweihräucherung, die beweist, dass Kinderzimmer Productions künstlerisch immer noch da sind, wo oben ist. Auftritt Textor: „Der Sound ist Crème fraîche / Wie mit Dreschflegeln geschlagene Worte / Krachen gegen deine Stirn / Sofortwirkung, direkt ins Stammhirn / Alles wird offenbar / Direkt ins Knochenmark / Gestochen scharf / Alles wird klarer / Kryptisches Gelaber war mal / Die Wahrheit bricht einfach durch wie Knäckebrot von Wasa / Klartext / Vokabula Rasa“. Noch Fragen?