Soap&Skin
From Gas To Solid/You Are My Friend
PIAS/Rough Trade (VÖ: 26.10.)
Vom Wunderkind zur Wonder Woman: Kammerpop-Electronica, die einem Rotz und Wasser aus dem Kopf schießen lässt.
Man traut sich kaum, sich dieser Musik zu nähern, schon gar nicht mit schnöden Worten. So intim wirkt sie, sich frei öffnend, dass einen schon ihre reine Verfügbarkeit wundert. Wahrscheinlich fühlt sich das Durchblättern eines fremden Tagebuchs nicht halb so dreist an wie das bloße Anhören des dritten Albums von Anja Plaschg alias Soap&Skin.
Es ist, als stieße man im Wald auf eine Rehricke, die ihr Kitz säugt. Berührt wendet man seinen Blick ab, stiehlt sich auf Zehenspitzen davon. Drängt sich ein solches Bild auf, weil Plaschg sechs Jahre seit dem Vorgänger NARROW vergehen ließ, um Mutter zu sein? Zumindest legen die Lyrics des zum Heulen schönen „Italy“ töchterlichen Einfluss nahe: „Hear me, feed me, nurse me, motherly“. Vermutlich liegen wir damit total falsch. Vermutlich ist das aber auch egal.
Halten wir uns dennoch zunächst fest, woran wir uns in diesem Gefühlsstrom eben festhalten können, den Fakten: War ihr Debüt LOVETUNE FOR VACUUM Plaschgs groovendes Pop- und NARROW ihr bitteres Rock-Album – beide Zuschreibungen bitte großzügig in Relation sehen –, so ist FROM GAS TO SOLID die betörende Balladensammlung. Fast komplett und allein aufgenommen, sowie produziert in ihrer Wiener Wohnung, basierend auf Samples von allerhand angesammelten Instrumenten.
Weiterhin dominiert das Klavier, doch „Surrounded“ wird etwa von Streichern vorangetrieben, „(This Is) Water“ ist eine albtraumhafte Stimm-Collage, „Foot Chamber“ wird von Bläsern und Glockenspiel verziert. Trotz der vielen Soundschichten ist die Anmutung der zwölf Stücke eine karge, bestimmt von der Unmittelbarkeit des Gesangsvortrags. Plaschg ist ganz nah bei uns, gleichzeitig aber komplett entrückt, es ist wohl wie die Begegnung mit einem zwar übermächtigen, aber nichts als wohlwollenden Außerirdischen.
Einziger Bezugspunkt zu unserem Planeten ist ausgerechnet eine Huldigung dessen in Form einer Neufassung des Louis-Armstrong-Klassikers „What A Wonderful World“ als Abschluss. Hier gelingt Plaschg erneut, womit sie schon mit ihren Covers von „Voyage Voyage“ (Desireless) und „Me And The Devil“ (Robert Johnson) brilliert hat: einen vermeintlich totgespielten Song zu neuem, anderem Leben zu erwecken. Hat man das Album bis dahin mit trockenen Augen überstanden, schnürt einem spätestens dieses „What A Wonderful World“ die Kehle zu. Was für ein wundervolles Album.
AmazonHier FROM GAS TO SOLID/YOU ARE MY FRIEND von Soap&Skin im Apple-Music-Stream hören:
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