Buch
Liebe wird oft überwertet von Christiane Rösinger ****
Aufklärendes Sachbuch über die „Pärchen-Lüge“
Es ist schon bewundernswert, wie sehr die Songwriterin und Buchautorin Christiane Rösinger ihren Themen treu bleibt. „Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch“, sang sie 1991 auf dem ersten Album der von ihr mitgegründeten Lassie Singers, für die sie auch bereits den Titel dieses Sachbuches verwendete. Jawohl, ein Sachbuch, warum das Single-Dasein begrüßenswert sei, auch mit über 50, und die Ideologie der „RZB (Romantischen Zweierbeziehung)“ schädlich, besonders für Frauen. Zur Illustration ihrer These hat sich Rösinger durch einen Berg von Ratgeber- und Soziologiebüchern gekämpft, die Exzerpte stehen im Wechsel mit kolumnenhaften Passagen über das Alleineleben im Berliner Jahreslauf. Wer sich in einer RZB wohlfühlt (eine kurzlebige Illusion, warnt Rösinger), wird sich deshalb wohl kaum trennen, aber die Beobachtungen, wie Paarbeziehungen als gesellschaftliches Regelmodell durchgesetzt werden, sind anregend. Vor allem aber kommen immer wieder diese Rösinger-Pointen mit trockenstem Humor, die zuletzt ihr Soloalbum Songs Of L. And Hate so großartig machten. Man glaubt die Autorin zu hören beim Lesen, mit ihrem wunderbar resignativen badischen Tonfall.
Felix Bayer
Überleben auf Festivals. Expeditionen ins Rockreich von Oliver Uschmann ****
Ethnografisches Lexikon des Festivaltreibens
Immer wieder ein eigenartiges Gefühl, wenn im Winter gemeldet wird, wer die Festival-Headliner der kommenden Saison sein werden. In der langen Hängephase zwischen Kartenbestellung und Abreise kann man sich nun auf die Matsch- oder Staubwochenenden vorbereiten mit der Lektüre von „Überleben auf Festivals“, dem neuesten Werk des Vielschreibers und selbst ernannten Wortgurus Oliver Uschmann, der mit der Männer-WG-Romanserie „Hartmut und ich“ bekannt wurde, aber auch Kinderbücher und Rockkritiken erstellt. Hier nun widmet er sich im soziologischen Detail den Festivalbesuchern, die er in Kategorien wie „Der Klassenclown“, „Die Vandalen“ oder „Die Lese-Lara“ einteilt; bei den Musikern fällt ihm der Typus „Die Kappe“, aber auch „Die Kippe“ auf. Er widmet sich dem Mysterium des „Helga“-Rufes, analysiert die Bedeutung von Ravioli in Dosen und beschreibt das melancholische Wanken von R.E.M.-Fans. Das ist alles sehr genau beobachtet, mit Fotos und Max-Goldt-haften Bildunterschriften versehen, aber auch in seiner Ausführlichkeit reichlich erschöpfend. Festivalhasser könnten sich zu Hause mit dem Buch zurückziehen und genüsslich erfahren, was ihnen alles erspart bleibt. Felix Bayer
Von Edison bis Elvis. Wie die Popmusik erfunden wurde
von Ernst Hofacker
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Verdienstvoller Einführungskurs in die Kontexte des Pop
Wer jemals an einer Universität war, weiß den Wert eines guten Einführungskurses zu schätzen: Er gibt nicht nur einen Überblick über das Thema, sondern sensibilisiert bereits für die entscheidenden Fragestellungen. Beim Thema Pop ist unverkennbar, dass wir uns an einer Zeitenwende befinden: dem Ende des physikalischen Tonträgers und seines Geschäftsmodells, mit Folgen für die Musiker. Ernst Hofacker, langjähriger Mitarbeiter auch dieses Magazins, analysiert, wie Popmusik immer schon im Spannungsfeld zwischen musikalischer Kreativität, technischem Fortschritt und geschäftlichen Interessen stand. Ohne Innovatoren in allen drei Bereichen hätte sie gar nicht erst entstehen können. Wie es dazu kam, dass Elvis Presley die Jugend der Welt verzücken konnte, erzählt Hofacker in einer anschaulichen Abfolge von biografischen Skizzen der Pioniere des Phonographen, des Radios, des Blues, der E-Gitarre oder des Aufnahmestudios. Wie an der Uni: Nicht jedes Referat ist gleich spannend. Aber der Autor verliert seine analytischen Grundfragen nie aus dem Blick. Und nachdem 60 Jahre zum Schluss in gut 60 Seiten zusammengefasst sind, fühlt man sich bereit für ein tieferes Studium des Pop, wie wir ihn kannten und wie er werden könnte. Felix Bayer
Es findet dich
von Miranda July
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Geschichten von Kleinanzeigen und den Menschen dahinter
Vielleicht ist das Geheimnis der Filmemacherin und Autorin Miranda July, dass ihr zumindest in der Außendarstellung alles Negative abgeht. Sie strahlt eine fast kindliche Neugierde aus und versteht es dabei, die Ergebnisse ihrer Nachforschungen grundsympathisch zu verkaufen. Ihren aktuellen Auftrag beschreibt sie in diesem Buch recht treffend mit „Lebenswirklichkeiten erfassen“, was natürlich auch ein Fall von Prokrastination sein kann. Weil July keine Lust hatte, weiter an ihrem Filmprojekt „The Future“ zu arbeiten, studierte sie Gratisblättchen. Daraus wurde ein recht simples Prinzip: Sie antwortet auf Verkaufsanzeigen von Menschen in und um Los Angeles. Mal sind es Glücksbärlis, mal ein Haarföhn oder eine alte Lederjacke. Wobei die einzelnen Gegenstände keine große Rolle spielen, sondern nur zum Einstieg ins Leben der jeweiligen Handelspartner dienen. Und ganz offensichtlich ist July eine Frau, der man alles erzählt. Durch filigrane Verknüpfungstechnik entsteht eine Collage aus Text und Bildern, aus Interviews und eigenen, tagebuchartigen Notizen, die manchmal einem Protokoll gleicht, manchmal einer Autobiografie.
Jochen Overbeck