8 bahnbrechende Heldinnen, die die Serienlandschaft veränderten
Was wäre die heutige Serienlandschaft ohne starke Frauenfiguren? Wir nehmen den Frauentag am 8. März zum Anlass, acht beliebte Serienheldinnen vorzustellen, die zur heutigen Vielfalt an weiblichen Figuren enorm beigetragen haben.
Seit den 1990ern hat sich nicht nur die Serienlandschaft enorm ausdifferenziert, sondern auch die in ihr agierenden Frauenfiguren. Serienheldinnen, die ihre eigenen Ziele verfolgen und dabei gesellschaftlichen Erwartungen zuwiderlaufen, haben sich in dieser Landschaft breit gemacht und das Spektrum für starke Frauenrollen erweitert. Dieses hat in jüngster Zeit weiter an Vielfalt gewonnen und schließt zudem mehr Darstellungen von Women of Colour, Frauen außerhalb der Heteronormativität und gängiger Altersbegrenzungen ein. Zum internationalen Frauentag präsentieren wir acht Serienheldinnen, die zu dieser Erweiterung der Serienlandschaft beigetragen haben.
Dana Scully (Gillian Anderson) – „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ (1993–2002, 2016–2018)
Abschlüsse in Physik und Medizin, mehrjährige Erfahrung als Forensikerin und FBI-Agentin und was bieten die Vorgesetzten der äußerst seriösen Dana Scully (Gillian Anderson) an? Sie soll mit dem als Spinner verschrienen Agenten Fox Mulder (David Duchovny) im fensterlosen Büro unlösbare, niedrig priorisierte Fälle aus den sogenannten X-Akten bearbeiten. Eine Aufgabe, die den beiden kaum Anerkennung einbringt und sie noch dazu konstant Lebensgefahren aussetzt. Doch gemeinsam wachsen sie bald über sich hinaus, was vor allem ihrer Gegensätzlichkeit geschuldet ist: Mulders Offenheit für krude Theorien setzt Scully wissenschaftliche Informiertheit entgegen, seinem Hang zum Sarkasmus begegnet sie mit trockener Schlagfertigkeit.
Eine Dynamik, die selbst unverändert bleibt, als sich eine von den Fans heiß ersehnte, aber dennoch nur sachte angedeutete Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickelt. Mit Dana Scully schuf der „Akte X“-Showrunner Chris Carter eine bis dato in der Fernsehlandschaft nichtexistente weibliche Stimme wissenschaftlicher Vernunft, die über das Erzähluniversum hinaus wirkte. So wird dem sogenannten „Scully-Effekt“ zugeschrieben, in den 1990ern zahlreiche junge Frauen zu einem Studium in den MINT-Fächern ermuntert zu haben.
Michonne Hawthorne (Danai Gurira) – „The Walking Dead“ (seit 2010)
In der langen Geschichte der TV-Serie „The Walking Dead“ gab es wohl keine gelungenere Einführung einer Figur als die von Michonne Hawthorne zum Ende der zweiten Staffel: Nachdem sie Andrea vor dem Tod bewahrt hatte, stand sie da, ihre Silhouette zeichnete sich im dunklen Wald ab, in der Hand hielt sie ein Katana-Schwert, hinter sich führte sie zwei angekettete Zombies her, ihr Gesicht blieb verdeckt. Michonnes Einsilbigkeit und ihr stets grimmiger Gesichtsausdruck schienen im weiteren Serienverlauf zunächst den Verdacht zu bestätigen, sie sei ein Beispiel für den Figuren-Stereotyp der „Angry Black Woman“, deren einziger Antrieb die vermeintlich ‚naturgegebene‘ Rage sei.
Doch „The Walking Dead“ hielt mehr für Michonne bereit: Langsam wurde enthüllt, von welchem Trauma ihr Dasein als in sich gekehrte Einzelgängerin herrührt. Nach der zaghaften Annäherung an Ricks Gruppe von Überlebenden lässt sie dieses Dasein schrittweise hinter sich, Menschen wieder an sich heran und geht schließlich das Wagnis einer neuen Beziehung ein. So steht Michonnes Entwicklung für eine Dualität aus Stärke und Verletzlichkeit. Trotz ihrer zunehmenden Nahbarkeit bleibt ihr Katana aber stets griffbereit. Ohnehin scheint dieses allen anderen, in „The Walking Dead“ verwendeten Waffen weit überlegen – ja, insbesondere deine unpraktische Armbrust, Daryl Dixon.
Willow Rosenberg (Allison Hannigan) – „Buffy – Im Bann der Dämonen“ (1997-2003)
Natürlich ist die Vampirjägerin Buffy eine der wichtigsten Serienheldinnen der 1990er. Aber wenn es um bahnbrechende Errungenschaften in punkto Figurenentwicklung geht, fällt der Blick eher auf Buffys beste Freundin Willow. Zunächst schien diese lediglich Buffys klugen, etwas unscheinbaren Sidekick darzustellen. Ihr Mauerblümchen-Status manifestierte sich zudem in ihrer nicht erwiderten Verliebtheit in ihren besten Freund Xander. Diesen überwindet Willow schließlich, als sie Oz (einen Werwolf) kennenlernt und sich auf die Weiterentwicklung ihrer Hexenkräfte konzentriert. Doch auch hier endet Willows Entwicklung noch nicht: Am College geht sie mit ihrer Kommilitonin Tara eine lesbische Beziehung ein, was in der TV-Landschaft der frühen 2000er noch eine Seltenheit darstellte.
Noch heute wird darüber gestritten, ob Willow nun lesbisch oder bisexuell ist. Aber ihre nicht geradlinig verlaufende, sexuelle Identitätsfindung ist durchaus realistisch und nuanciert porträtiert. Unerwartet formt sich Willow von der Buffy zuarbeitenden Nebenfigur zu einem auf Augenhöhe mit ihr agierenden Charakter: Im Verlauf weiterer Staffeln entwickelt sie sich kurzzeitig zur mordenden Hexe, rehabilitiert sich daraufhin und trägt im Serienfinale maßgeblich zur Etablierung einer neuen, patriarchale Strukturen überwindenden Jägerinnen-Ordnung bei. Eine beeindruckende Entwicklung, die vielen jungen Zuschauer*innen aufgezeigt hat, wie weit man über die gehemmte Teenagerzeit hinauswachsen kann.
Lorelai Gilmore (Lauren Graham) – „Gilmore Girls“ (2000–2007, 2016)
Lorelai Gilmore war gewiss nicht die erste alleinerziehende Heldin einer Fernsehserie – man denke etwa an Angela in „Wer ist hier der Boss?“ und die Titelheldin von „Murphy Brown“. Dennoch erzählte Amy Sherman-Palladinos Serienschöpfung etwas erfrischend Neues: ein Mutter-Tochter-Gespann mit einem Altersunterschied von gerade mal 16 Jahren, dessen Beziehung sehr freundschaftlich geprägt ist. Zugleich stellt „Gilmore Girls“ eine Art doppelter Coming-of-Age-Story dar, in deren Verlauf wir nicht nur Rory von der strebsamen Teenagerin zur jungen Eliteuni-Absolventin heranwachsen, sondern auch Lorelai allmählich an Reife gewinnen sehen. Die Serie bleibt zwar aufgrund der rasanten, von popkulturellen Referenzen gespickten Wortwechsel und reichlich skurriler Nebenfiguren leichtfüßig. Aber wenn es um Lorelais verkorkste Beziehung zu ihren snobistischen Upper-Class-Eltern geht, wird es auch tragisch bis schmerzhaft.
Im Verlauf von sieben Staffeln kann man Lorelai dabei zusehen, wie sie diesen Konflikt mit ihren Eltern weiter ausficht, sich nebenbei als Hotelmanagerin durchschlägt und trotz einiger Beziehungsrückschläge nie ihre Lebensfreude verliert. Das erfrischende an Lorelai Gilmore ist nicht nur ihr Bruch mit Konventionen und Traditionen, sondern auch die stete Unabgeschlossenheit ihres Charakters, die zeigt, dass Reife nicht mit Stillstand gleichzusetzen ist.
Piper Chapman (bzw. der Gesamtcast) – „Orange is the New Black“ (2013-2019)
Unter all den Figuren mit faszinierenden Backgroundstorys, die es in „Orange is the New Black“ zu sehen gab, war die aus gehobener Mittelschicht stammende, weiße und privilegierte Piper Chapman, wohl die uninteressante – wieso sie also hier aufführen? Zum einen beruht „Orange is the New Black“ auf den Memoiren der ‚echten‘ Ex-Insassin Piper Kerman. Zum anderen war die Figur Piper Chapman ganz entscheidend, damit diese frühe Netflix-Serie, die in punkto Diversität nachhaltig die Serienlandschaft verändern sollte, überhaupt produziert werden konnte. So beschrieb Showrunnerin Jenji Kohan in Gesprächen zur Entstehung der Serie die scheinbare Hauptfigur Piper als ihr „trojanisches Pferd“. Indem sie ihren Pitch auf die „Fish out of Water“-Story um Piper fokussierte, habe sie die auf weiße und privilegierte Frauen versessene Serienbastion stürmen und schließlich um Geschichten über Schwarze Frauen, Latina-Frauen, ältere Kriminelle etc. erweitern können.
Und so entwickelte sich „Orange is the New Black“ alsbald zur gesellschaftskritischen Drama-Serie ohne konkrete Fokusfigur. Stattdessen glänzte hier eine Reihe von Protagonistinnen, die sich auch ohne Verwicklung in Pipers Serienschicksal konstant weiterentwickelten, darunter etwa die geschäftstüchtige Taystee Jefferson (Danielle Brooks), die kämpferische trans Frau Sophia Burset (Laverne Cox) oder die resolute, ältere Köchin Red (Kate Mulgrew).
Kim Wexler (Rhea Seehorn) – „Better Call Saul“ (seit 2015)
Zu Beginn vom „Breaking Bad“-Spinoff „Better Call Saul“ schien es, als hätten Showrunner Vince Gilligan und Peter Gould mit der Figur Kim Wexler etwas gutzumachen. Schließlich schlug zu „Breaking Bad“-Zeiten der Figur Skyler White und ihrer Darstellerin Anna Gunn ein so enormer Hass entgegen, dass sich Gunn zwischendurch in einem Essay in der „New York Times“ dazu äußerte. Gunn machte Sexismus, aber auch das Story-Konstrukt von „Breaking Bad“ für diesen Hass verantwortlich. Und klar, niemand von uns Zuschauer*innen wollte, dass Walter Whites besorgte Ehefrau diesen tatsächlich zur Besinnung und uns um diese aufregende Story über (männliche) Hybris brachte.
Kim Wexler schien als Love Interest des kriminellen Anwalts Jimmy McGill zunächst Skylers Gegenteil zu sein. Zwar waren der aus zerrütteten Verhältnissen stammenden Anwältin Jimmys krumme Geschäfte ein Dorn im Auge. Aber sie mischte sich kaum ein. Gelegentlich fand sie sogar selbst Gefallen an kleinen Gaunereien, was man zunächst auf Jimmys schlechten Einfluss schob – bis zur Kehrtwende in der fünften Staffel: Hier zeigte Kim ihre eigene Neigung zu moralischer Flexibilität. Von der Lichtgestalt entwickelte sie sich fast unbemerkt zur Antiheldin, die alle überraschte, als sie jegliche Warnung vor Jimmy von sich wies: „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Aus meinen eigenen Gründen.“ Damit ist zwar einerseits der moralische Niedergang von Kim Wexler besiegelt, aber andererseits eine ambivalente, selbstverantwortlich agierende Frauenfigur kreiert worden.
Arya Stark (Maisie Williams) – „Game of Thrones“ (2011-2019)
Von ihrem ersten spitzbübischen Auftritt als junges Mädchen konnten wir die Entwicklung von Arya Stark in „Game of Thrones“ mitverfolgen. Früh schon formt sich in Arya eine Entschlossenheit, sich ihren Weg entgegen gesellschaftlicher Erwartungen zu bahnen. Als ihr Vater Eddard Stark ihr eine Zukunft beschreibt, in der sie als Lady über eine Burg herrscht, während seine Söhne zu Rittern ausgebildet werden, entgegnet sie ihm: „Nein, das bin ich nicht.“ Stattdessen führt sie der bald entfesselte Kampf um den Thron als junges Mädchen zu unerwarteten Mentoren. Von diesen lernt Arya viel über Kampf und Taktik, verfällt jedoch nie deren destruktiven Lebenseinstellungen.
Weder der kalte Machiavellismus eines Tywin Lannister, noch der Zynismus von Sandor Clegane verderben sie. Und von ihrer Stippvisite in Braavos nimmt sie erstaunliche Fähigkeiten mit, ohne ihre Identität aufzugeben, wie es der nihilistische Kodex der „Männer ohne Gesicht“ eigentlich verlangt. Die Heldinnenreise von Arya Stark steht für eine gänzlich selbstbestimmte Lebensgestaltung und Selbsttreue. Letztere stellt sie in der letzten Staffel unter Beweis, als sie Gendrys Heiratsantrag und eine Zukunft als Lady ablehnt. Stattdessen bricht sie mit dem Schiff zu neuen Ufern jenseits von Westeros auf.
Constance Langdon / Sister Jude Martin / Fiona Goode / Elsa Mars (Jessica Lange) – „American Horror Story“ (seit 2011)
Es ist ein häufig moniertes Problem, dass in Hollywood und auch hierzulande für Schauspielerinnen jenseits der 40 oder gar 50 wirklich interessante Rollenangebote zunehmend ausbleiben. Klar, man kann wohl immer jemandes Mutter oder Großmutter spielen, aber wirklich aufregend oder gar glamourös wird es dann in der Regel nicht mehr. Darüber ging der unermüdliche Serienschöpfer Ryan Murphy nonchalant hinweg, als er die damals 62-jährige Jessica Lange in seiner Anthologieserie „American Horror Story“ besetzte. In fünf Staffeln spielte Lange fortan äußerst vielschichtige, seelisch ramponierte und unberechenbare Frauenfiguren, wie man sie selten zu Gesicht bekommt: die garstige Südstaaten-Hausfrau Constance Langdon, die zwielichtige Nonne Jude Martin, die eitle Hexe Fiona Goode und die singende Freak-Show-Betreiberin Elsa Mars.
Alle eint eine dunkle Vergangenheit und der Schmerz über unerfüllt gebliebene Träume. Aber jede einzelne dieser Figuren weist eigene komplexe, ambivalente Persönlichkeitsmuster auf, die diese bald zu Fanlieblingen und Jessica Lange zur Serien-Ikone aufsteigen ließen. Langes Auftritte wurden bald zur wichtigsten Zutat im Erfolgsrezept von „American Horror Story“ und in den vier Staffeln ohne sie schmerzlich vermisst. Dies zeigt, wie viel Potenzial ältere Schauspielerinnen entfalten können, wenn man überraschende Frauenfiguren jenseits der 40 konzipieren kann.