50 Indie-Geheimtipps, Teil 2: 1986 – 1992
Zehn Geheimtipps aus dem Genre Indie - die Alben wurden ausgewählt und besprochen von: Oliver Götz, Stephan Rehm und Jochen Overbeck.
Gelangweilt von den immer gleichen Bestenlisten? Im Oktober-Heft 2010 haben wir die jeweils 50 besten, aber weitgehend unbekannten Alben aus den Genres Indie, Electro, Folk, Hip Hop und Avantgarde zusammenstellt. Das Indie-Genre macht den Anfang. Hier finden Sie Teil zwei der 50 Geheimtipps, zum ersten Teil geht es hier.
Den vollständigen Artikel können sich Nutzer unseres Archivs natürlich jederzeit ansehen.
Felt – Forever Breathes The Lonely Word (1986)
Warum Lloyd Cole und die Smiths Erfolg hatten und selbst die Leidenschaft der Go-Betweens sich eines Tages wenigstens durch Indie-Chart-Spitzenplätze auszahlen sollte, diese Television-Jünger aus Birmingham jedoch während der zehn Jahre ihres Bestehens und bis heute ein Geheimtipp blieben? Ein Rätsel. Dabei ist ein solches hauchdünn-zartbitteres Gitarren-(und Orgel-)Pop-Meisterwerk wie forever breathes … doch gar nicht so schwer zu enträtseln.
Spacemen 3 – The Perfect Prescription (1987)
Diese Platte beginnt mit ähnlicher Wucht und Botschaft wie „Break On Through (To The Other Side)“ von den Doors. Allerdings orgelt keine Orgel in „Take Me To The Other Side“ und das Bluesriff droht, unter all dem Getöse erdrückt zu werden. 20 Jahre später, nach Suicide und Velvet Underground, konnte Drogen-/Über-Drogen-Musik eben noch viel rückhaltloser formuliert werden. Jason Pierce und Peter Kember widmeten hiermit dem Rausch ein ganzes Album. Mit bekannten Zutaten (s. o.), aber als eine Mixtur von besonderer Intensität.
Chrysanthemums – Little Flecks Of Foam Around Barking (1989)
Ein großer, ein abendfüllender, ein surrealistischer Spaß ist dieses Meisterwerk britischer Homerecording-Spinner, die den Pop der Sechziger gleich mit dem Soßenlöffel gefressen haben und die daran geschulte Clever- und Catchyness im Songwriting dazu einsetzen, sich über den Schwulst und Fabulierungseifer des Progrock lustig zu machen. Wer in diese Welt reist, braucht erst mal keine andere Welt mehr.
The Blue Nile – Hats (1989)
Auch wenn der schottischen Band gerne Labels wie College Rock, Sophisti/Adult-Pop oder Folk Ambient aufgeklebt werden: Heute klingt ihr zweites, bislang bestes Album mindestens so nach Chris Rea und Simply Red wie nach David Sylvian oder Talk Talk. Die inhaltliche und vor allem gesangliche Intensität, mit der Paul Buchanan die Nacht und ihren Sog zu seiner Nacht und zum Sog seiner Musik macht, braucht allerdings einfach ihre Zeit. Platz ist da auch nur für sieben Songs auf dieser selten elegischen Platte.
Thin White Rope – Sack Full Of Silver (1990)
Von Anfang an war Thin White Ropes Country- und Psychedelic-Rock eigenwillig, stoisch und dank Guy Kysers mit der groben Feile bearbeiteten Stimme und seiner obskuren Texte ziemlich abgründig. Auf SACK FULL OF SILVER, dem vierten von fünf Alben, schuf das Quartett aus Kalifornien eine hoch verdichtete Form dessen, was bald schon Americana genannt werden sollte. Grenzen zum Desert-Rock in der von singenden Feedbacks und tiefem Grollen erfüllten Hitze zerflossen einfach.
Mazzy Star – She Hangs Brightly (1990)
Hatte sich da David Lynch eine psychedelisches Country- und Blues-Kapelle zusammengebaut? Nein, Mazzy Star saßen als Nachfolgeband in den oberen Ästen des Stammbaums der Paisleyunderground-Institution Dream Syndicate. Sie waren jedoch abgründiger als das Syndikat, brachten in der Tradition der Doors und Velvet Undergrounds nie zu viel Licht ins Dunkel – und die göttlich maulende Hope Sandoval war der anmutigste dunkle Engel der ganzen Dekade.
Ultra Vivid Scene – Joy: 1967-1990 (1990)
Vielen wird dieses Album des New Yorker Musikers Kurt Ralske, der an Gitarren, Keyboards, Drum- und anderen Computern nahezu jeden Ton allein einspielte, zu glatt und perfektionistisch sein. 1990 war es das auf jeden Fall, die Pop-80er waren da noch viel zu präsent. Doch wie herrlich geschmeidig und perfekt ist diese Platte tatsächlich, zwölf Songs, ungemein catchy und doch auch so seltsam, lustvoll, wonnig … lasch. Es heißt, man könne Sonntagnachmittage darin einlegen.
Cpt. Kirk &. – Reformhölle (1992)
Zu der Zeit, als Blumfeld L’ETAT ET MOI veröffentlichten, war REFORMHÖLLE die kaum weniger wichtige Veröffentlichung der Bruderband Cpt. Kirk &. Sie waren ebenso politisch, nicht weniger dringlich, doch musikalisch komplexer, weitreichender, kunstvoller. Tobias Levins Band hatte vor allem an den von Band- und Songformat losgelösten Talk Talk einen Narren gefressen. Viel Klavier, fließender Jazz und minimalistische Klassik in loopartigen Tracks und eine den Raum und seinen Klang einbeziehende Aufnahme prägten diese lyrische Musik. An den in seinen Wortspielen fast schwindlig gedrehten, abstrakten Texten darf man verzweifeln – jedoch fordert das Levins heller, rinnender und sprudelnder Gesang nicht ein. Eine der drei besten Platten der sogenanten Hamburger Schule – und denkbar weit weg von ihr.
Moose – … XYZ (1992)
Selbst dieser Tage, in denen aufgrund von Revivalbands wie The Twilight Sad oder The Pains Of Being Pure At Heart Frühneunziger-Gitarrenbands wie Ride und Slowdive wieder Aufmerksamkeit wiederfährt: Moose entdeckt keiner neu, und das ist schade. Das Debüt …XYZ kombiniert verträumten, sich deutlich auf Phil Spectors Wall Of Sound beziehenden Shoegaze mit flottem Noisepop und hat mit „Little Bird (Are You Happy in Your Cage)“ und „Screaming“ zwei veritable Hits in petto. Gut versteckt: ein Cover von Harry Nilssons „Everybody’s Talking“.
Magnapop – Magnapop (1992)
Es sind die späten 70er-Jahre und Kunststudentin Linda Hopper lernt im Unterricht den schüchternen Michael Stipe kennen. Sie gründen eine Band, Tanzplagen, aus der aber nichts wird. Stipe konzentriert sich auf seine neue Band R.E.M. und wird 1992 dank AUTOMATIC FOR THE PEOPLE zum Superstar. Zu dieser Zeit bastelt Hopper am Debüt ihrer Band Magnapop, nachdem sie bis dahin recht erfolglos in diversen Projekten herumgewerkelt hat. Stipe produziert vier der Stücke des Powerpop-Albums, darunter den vom Teufel verhinderten Hit „Favorite Writer“, den R.E.M. Jahre später für die B-Seite von „Bad Day“ covern werden.