11 Fakten über Marianne Faithfull
1 Schon früh wurde sie mit widersprüchlichen Moralvorstellungen konfrontiert. Im Alter von acht bis fünfzehn besuchte Faithfull eine Klosterschule. An den Nachmittagen strolchte sie jedoch in der Schule einer Hippie-Kommune umher, wo ihr Vater Italienisch lehrte. „In den Klassenzimmern fand gleichermaßen Unterricht wie Sex statt. Mein Vater mittendrin. Am nächsten Morgen hat er mich wieder ins Kloster gebracht. Wie sollte das gut gehen?“
2 William Burroughs‘ „Naked Lunch“ war ihre Bibel. In der Londoner Beatszene geriet die junge, labile Sängerin bald nicht nur an die Rolling Stones, sondern auch an ein verhängnisvolles Buch. „,Naked Lunch‘ war mein Handbuch fürs Erwachsensein. Ich war so naiv zu denken, ich müsste ein Junkie sein, um ernst genommen zu werden. Ich wusste nicht, dass die Welt durch Heroin nur noch viel erbärmlicher aussieht.“
3 Mariannes Appetit auf Drogen sorgte nicht immer nur für gute Laune in der Londoner Party-Szene. Eine Party 1976. Kokain ist rar und kostspielig. Sechs Kokainlinien auf dem Glastisch und ein 100-Dollar-Schein. Partygirl Marianne zieht sofort alle sechs Lines weg. “ Alle waren sauer auf mich. Jemand hatte das Zeug aus Rom mitgebracht, und nun war nichts mehr für die anderen da.“
4 Sie hatte es gar nicht so mit der freien Liebe. In den 70ern lehrte Faithfull drei Sommer lang Songwriting an der „Jack Kerouac School“ in Colorado (unter der Leitung der berühmten Beat-Poeten Burroughs, Alan Ginsberg und Gregory Corso). Eines Tages erklärte ihr Burroughs, dass zu ihrem Stundenplan auch Sex mit den Schülern gehöre. „Das war nichts für mich, ich war schon immer viel zu eifersüchtig für das Konzept der freien Liebe.“
5 Die Scham trieb sie ins Exil. Auch fast vier Jahrzehnte nach dem „fur rug scandal“ mag sie nicht nach England zurückkehren. Zu grausam hatte die Presse sie in die Mangel genommen. Bei der Durchsuchung von Mick Jaggers Haus fand die Polizei damals nicht nur Drogen, sondern auch die junge Popsängerin (gerade Mutter geworden) – nur in einen Fellteppich gehüllt. Faithfull lebt heute in Paris.
6 Sie lag dreimal im Koma – und sah jedes Mal die Geister der Rolling Stones. Zweimal streckte sie eine Heroinüberdosis, einmal eine schwere Niereninfektion nieder: „Einmal sah ich Brian Jones‘ überdimensionales Gesicht am Fenster, bei den anderen Malen Mick Jagger und Keith Richards, wie sie in meinem Krankenzimmer einen Song spielten. Ich werde diese wahnsinnigen Jahre mit den Rolling Stones wohl niemals los.“
7 Sie flüchtete vor Roman Polanski. Bei den Dreharbeiten zu Polanskis „Macbeth“ 1970, in dem Faithfull die Lady Macbeth spielen sollte, wurden ihr die Drogen zum Verhängnis: „Polanski schrie mich an, ich solle meine Augen stillhalten. Das ging aber nicht, weil ich total high war und meine Augen wie verrückt flackerten. Ich kriegte Panik und rannte einfach weg.“ Die Rolle war sie los; bis heute spielte sie in 25 Filmen, zuletzt in „Irina Palm“, aber nie wieder für Polanski.
8 Heute lebt die 62-Jährige gesund. Mit über 40 gelang ihr der Drogenentzug. Heute hat sie allen Lastern abgeschworen und tut sich Gutes mit Yoga, Meditation, Akupunktur und Schwimmen. Auch ihre Band besteht aus Abstinenzlern. „In unserem Alter muss man sich entscheiden: work or fuck around?“
9 Ihr Herz für einsame,verzweifelte Figuren zieht sich durch ihr Werk. Wie schon im i979er-Hit „The Ballad of Lucy Jordan“ geht es bei Faithfull oft um Menschen in Notlagen. Auf ihrem neuen Album Easy Come, Easy Go covert sie u.a. die früh verstorbene US-Songwriterin Judee Sill. „Judee Sill war eine zutiefst verstörte Frau. Ich finde es spannend zu hören, was Menschen tun, wenn sie verzweifelt sind.“ Deshalb gibt es auf dem neuen Album auch zwei Gefängnis-Lieder: Merle Haggards „Sing Me Back Home“ und das Traditional „Kimbie“.
10 Sie hat keine Angst mehr vor Morrissey. Bislang hatte sie die vielen Einladungen ihres größten Bewunderers stets ausgeschlagen. „Ich wollte ihn nie treffen, weil ich Angst vor Leuten habe, die mich als Ikone sehen: ich bin da sehr schüchtern.“ Nun interpretiert sie auf ihrem neuen Album sein „Dear God Please Help Me“. „Jetzt fühle ich mich berechtigt ihn zu sehen und bin gespannt, was er sagt.“
11 Hätte Heinrich Himmler sich nicht umgebracht, wäre Mariannes Leben anders verlaufen. Als Geheimdienstler nach dem 2.Weltkrieg war es Vater Faithfulls Aufgabe, den verhafteten Reichsführer SS Heinrich Himmler auszuhorchen und zum Nürnberger Prozess zu bringen. Eines Tages übersah er bei der täglichen Durchsuchung die Zyanid-Kapsel in Himmlers Jackentasche, mit der sich dieser wenig später das Leben nahm. Marianne Faithfulls augenzwinkerndes Fazit: „Hätte mein Vater es geschafft, Himmler zum Prozess zu schaffen, wäre er Sir Robert Glynn Faithfull geworden und ich vielleicht eine feine Dame.
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ALBUMKRITIK SEITE 72