Zwischen Wordle, Women’s Rights, War und Wrapped: Paulas Endjahrespopkolumne aus New York
Hello people, I send you greetings from NEW YORK. Ja, es ist wahr, ich sende diese Kolumne vom Big Apple, aus der City die never sleept, where dreams come true und so weiter. Ich bin die Carrie Bradshaw des Starbucks am Lincoln Center, und damit gehen wir rein – in meine letzte Kolumne des Jahres.
Ich kann leider keine Bestenlisten mehr serven, es stresst mich total. Ich meine, wie viele Alben, Serien, Filme, Podcasts und Co. des vergangenen Jahres kann man wirklich kennen? 10? Also hört man dann Ende November in alles Mögliche mal rein, um so zu tun, als wär man die ganze Zeit up to date gewesen, NEIN DANKE. Aber ich kann ja mal aufzählen, an welche Sachen ich mich so erinnere.
1. Anfang des Jahres freute ich mich über die Spin-Offs zwei meiner Lieblingsserien – „Sex and the City“ und „How I Met Your Mother“ -, sie heißen „And Just Like That…“ und „How I Met Your Father“. Ich fand beide sehr gelungen, vor allem weil ich spannend finde, wie thematisiert wird, wie sich Städte durch Gentrifizierungen verändern und freue mich, dass beide Serien wohl weitergehen sollen, vor allem weil sie in New York spielen und ich mich ja jetzt in New York so gut auskenne (weil ich ja gerade hier in New York bin).
2. Die zwei Serien, die die jungen Leute vermutlich am meisten beeinflusst haben, waren wohl auch in diesem Jahr „Stranger Things“ und „Euphoria“. Sie bescherten uns mal wieder ein 80s-Revival und viel Glitzer-Make-up – es könnte schlimmer sein. Und es gab in diesem Jahr wirklich gute Staffeln der beiden Serien, in denen vor allem Popmusik eine sehr große Rolle spielte, bis hin zu ikonischen Musikszenen, wie Zendayas Kissen-Performance in „Euphoria“ oder das Schweben von Max (Sadie Sink) zu „Running Up That Hill“.
3. Es war außerdem das Jahr, in dem die Riesenevents mit großem Publikum zurückkehrten. Karneval, der Super Bowl, Hallenkonzerte – Leute atmeten sich wieder in die Nacken und rempelten sich in die Hacken. Auch der Times Square in meiner Stadt (New York) ist wieder so voll wie seit 2019 nicht mehr. Ich hatte auch eine große Sehnsucht nach Menschenmassen, muss ich gestehen und habe einige unvernünftige Entscheidungen getroffen, wie zu Coldplay, den No Angels und Kendrick Lamar zu gehen. Naja, weiterhin gilt: immer schön mit Maske zum Ball.
4. Live-Highlights: Blond und Power Plush aus der Chemnitzer Schule, die gemeinsam ein paar Auftritte bestritten, waren mein absoluter Konzerthöhepunkt 2022. So lustig, kämpferisch, funkelnd und romantisch ist es einfach nirgendwo sonst. Im nächsten Jahr gehen beide Bands jeweils noch mal auf Tour, dann habt ihr die Gelegenheit, dabei zu sein.
Auch wenn ich nicht dabei war, war das Comeback von Joni Mitchell beim Newport Folk Festival einer der magischsten Bühnenmomente in diesem Jahr für mich. Aber seht selbst, was soll man dazu noch sagen.
Ach ja, und außerdem war ich einfach mal letzte Woche bei Mariah Careys Weihnachtsshow „Merry Christmas To All“ im Madison Square Garden. Ich hatte eines der allerbilligsten Tickets oben in der Ecke und es war wirklich genau so, wie ihr es euch vorstellt, wenn ihr an Weihnachtsshow und Mariah Carey denkt. Bei der schwangeren Frau neben mir hat währenddessen das Kind im Bauch zum ersten Mal getreten – ich schwöre, ich denke mir das nicht aus. Und spätestens als 20.000 Leute „All I Want For Christmas“ zusammen sangen, dachte ich mir: Wow.
5. Internet 2022! Sachen, die ich immer noch nicht verstehe: KIs, AIs, Wordle … Da bin ich Boomer, ich hab nicht mitgemacht, ich finde aber fast alles okay was euch Spaß macht, also you do you! Davon abgesehen war es ein Jahr der Social-Media-Krisen. Künstler*innen beschwerten sich darüber, dass ihre Plattenlabel sie zu TikTok-Content drängten, Instagram wurde zum Skincare-Alptraum und TikTok-Abklatsch, Elon Musk wurde Twitterchef und so weiter. Im Frühjahr diskutierten wir über Medien und Pietät – Auslöser waren die entstandenen Memes rund um den russischen Krieg gegen die Ukraine. Zudem wurde das Thema Mental Health auf allen Plattformen immer größer, aber mit ordentlichem Geschmäckle. So gut wie alles ist nun ein Mental-Health-Thema um das man sich selbst kümmern muss, nichts ist mehr so wegen der Umstände, nur du kannst dich heilen, ADHS-Memes sind die neuen Horoskope, Künstlerinnen machen samt Werbepartnern Cash mit der Dysphorie ihrer Fans, dann sagt jemand mal wieder er muss FÜR seine Mental Health weg von den sozialen Medien. Da könnten wir im nächsten Jahr mal einiges auseinanderklamüsern.
6. Backlashes, Backlashes, Backlashes. Roe v. Wade ist gekippt worden, die Hexenjagd gegen Amber Heard und andere prominente Frauen ist noch in vollem Gange und weiterhin besteht natürlich die schreckliche Unterdrückung von Frauen und Mädchen im Iran und Afghanistan, die sich 2022 auch noch verschärft hat. Man kommt also wirklich nicht umhin, sich zu fragen, was Metoo eigentlich wirklich gebracht hat und ob es sich denn tatsächlich um eine universelle Bewegung gehandelt hat. Maria Schrader hat gerade mit „She Said“ einen Film gemacht, der die Geschichte der Bewegung, insbesondere um den Fall Harvey Weinstein nacherzählt. Mein Gefühl nach dem Kinobesuch: Es muss unbedingt alles viel weiter gehen, es muss unbedingt radikaler und breiter werden. Und schneller.
7. Wir liebten Betrügergeschichten in diesem Jahr, die über Anna Delvey, den Tinder Swindler, Elizabeth Holmes und so weiter, während im wichtigeren Real Life mal wieder einige die Gefahren angeblicher Asyl- oder Hartz4-Betrüger behaupteten. Denn reiche Kriminelle sind cool, arme uncool! Wer keine Miete zahlt, muss obdachlos sein, wer keinen Fahrschein hat, ab in den Knast, wer zu frech demonstriert, gehört geohrfeigt und so weiter. Und bist du wirklich arm, ist dieser Schauspieler wirklich queer, ist dieser Twittermensch tatsächlich trans? Es wurde sich in diesem Jahr viel gegenseitig verdächtigt, gegeneinander ausgespielt und verglichen. Statt sich halt zusammen zu tun, wenn man sich abgehängt fühlt und sich am unteren Bereich gegenseitig unten zu halten. Es wär so schön.
8. 2022 glänzten die Manchildren. All diese Jungs, die nicht erwachsen werden wollen, die sich konsequenzenlos durchs Leben meiern, die sich dann bisschen trottelig süß aus ihrem Quark rausmanövrieren und immer natürlich mit Hilfe der tollen, selbstlosen Frau an ihrer Seite. Es war das Jahr der Will Smiths, Bushidos, Sidos, Fynn Kliemanns, Olli Pochers, Kanye Wests, Elon Musks. Na gut, nicht alle davon können noch auf die Frau an ihrer Seite zählen. Will ich aber nächstes Jahr trotzdem weniger von sehen, thank youuuu.
9. Was noch übrig ist an Popschätzen des Jahres, die ich auf keinen Fall unerwähnt lassen will: Kraftklubs und Tokio Hotels „Fahr mit mir (4×4)“ war der Sommerhit des Jahres. Pop-Punk war das Genre des Jahres, dank Demi Lovato, WILLOW, Meet Me @ The Altar und The Linda Lindas. „Die Passion“ von RTL war das unglaublichste TV-Ereignis, das ihr vermutlich alle schon wieder verdrängt habt und das Laith Al-Deen und Silbermond in meine Wrapped-Liste gespült hat. Die tollsten Alben aus diesem Jahr, die ich mitbekommen habe, kamen von Noah Cyrus („The Hardest Part“) Soccer Mommy („Sometimes, Forever“), ELIZA („A Sky Without Stars“), Kendrick Lamar („Mr. Morale & The Big Steppers“), Die Nerven („DIE NERVEN“) und natürlich von Beyoncé („RENAISSANCE“). Eine meiner liebsten Bandentdeckungen des Jahres waren die Sprints. Und mein Lieblingsvideo kam von Kendrick Lamar und Taylour Paige.
10. Aber Halt! Stop! Das Jahr ist ja noch gar nicht vorbei! Aber wer im Dezember was veröffentlicht, hat’s schwer… Die Bestenlisten sind schon geschnürt, Pech gehabt. Aber macht eure besser wieder auf, denn in diesem Jahr kommt wirklich mal das Beste zum Schluss. Natürlich ist es das langersehnte zweite Album von SZA “SOS“ und es schlägt gerade alle Rekorde. Hier in New York, wo ich ja gerade bin, läuft es die ganze Zeit überall und es ist wirklich so gut wie sein Ruf, feinster Heartbreak-R‘n‘B von der Besten. Aber damit nicht genug! Rapperin Little Simz hat auch noch im Dezember ein Album rausgehauen („NO THANK YOU“). Und Singer-Songwriterin Shitney Beers ebenso („This Is Pop“)! Mit drei Kracheralben gehen wir also raus aus 2022. Da muss dieser Laden hier aber noch mal wischen…
Und last but not least soll hier unbedingt noch Malondas kürzlich erschienene Antirassismus-Hymne „Deutungshoheit“ samt großartigem Video erwähnt werden, die einigen Debatten aus diesem Jahr noch mal richtig eins mitgibt.
Have a nice day, wie wir hier sagen (NY). Und guten Rutsch!
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.