Zwischen Wissen und Weezer Straße


Ein Festival in einer Gegend, in der es einen Fluss namens Wissen und die Weezer Straße gibt, kann nicht schief laufen.

Die abgefahrensten Anblicke beim Festival-Finale Terremoto (subjektive Auswahl); Platz 2: Turbonegro-Sänger Hank von Helvete abgeschminkt in zivil, mit weißem Shirt und Pferdeschwanz, sitzt eine Stunde nach seinem Rocksau-Auftritt im Backstage und sieht aus wie ein Altenpfleger bei der Zigarettenpause. Platz 1: Tim de Laughter, hyperaktiv-euphorisierter Chef (etwa: Flaming Lip Wayne Coyne in Achter-Potenz) des erstaunlichen Polyphonic Spree (23 lachende Menschen in weißen Roben, die auf Flöten, Harfen, Gezupf und Gebläs‘ die schönsten psychedelischen Sonntagmorgenlieder spielen) rutscht am Bühnenrand aus und fällt hintüber 2,50 Meter in den Fotograben. Schocksekunde – dann springt er mit erhobenen Armen hoch und weiter geht’s. Es sei ihm nichts passiert, erzählt er später (was Adrenalin alles kann), es habe ihm nur zu denken gegeben, dass seine Band weiterspielte.

Als place to be für Das Etwas Andere Konzert Zum Mittag hat sich Bühne Zwei schon tags zuvor bei Electric Six erwiesen. Keine Ahnung, ob man die in einem Jahr noch kennt – für den Moment sind sie ganz groß, mit Dick Valentine als undurchsichtig grinsendem Frontmann. Man geht erfrischt in den Tag – und langweilt sich dann etwas beim Gerocke der Datsuns und den ewigen Blackmail mit Brian-Molko-Imitator Aydo Abay. Oder hier, HIM und The Rasmus: Ist’s erlaubt, diese zwei Bands in ein und den selben Topf zu werfen? Und den dann nicht mehr allzu oft aufzumachen?

The Coral zerstreuen mit einem konzentrierten Auftritt weiter die mit dem Album Magic And Medicine eh schon ausgeräumten Befürchtungen, sie könnten nur die neuen Kula Shaker sein. Tolle Songs, ein etwas länglicher Noise-Freakout am Ende. So einer (das Finale des 20-Minüters „My Father My King“) hat am Tag zuvor den Gig von Mogwai gerettet, der bei Sonne und Minder-Lautstärke ansonsten nicht die archaische Wucht entfaltete, von der die Mogwai-Legende singt. Etwas wärmer dürfte es dafür später bei Gentleman sein, trotzdem werden bei der Party/Messe („Jah loves you!“) des weiter steigenden deutschen Reggae-Stars vieltausendfach die bootys geshaket. Umso abgemeldeter Suede, für deren Auftritt an gleicher Stelle 24 Stunden später sich ca. 14 Personen interessieren. Brett Anderson wirkt verbittert und macht es einem leicht, ihm keine Träne nachzuweinen. Traurig, eigentlich.

Placebo, die meiste Band des Festivalsommers, rocken freitags gewohnt sperenzchenfrei die Massen. Zum Abschied händigt Brian Molko einen Tipp aus: „Go and see Grandaddy, ladies and gentlemen.“ Die haben sich diese Saison auch nicht rar gemacht und führen Samstagnachmittag nochmal vor, warum das gut so war. Was für eine wundervolle Band! Jeder Song (also exakt 100 Prozent) ein Schatzkästchen. Wird ein harter Winter werden ohne das monatliche Grandaddy-Konzert. Leider sind beschämend wenige Leute Molkos Anregung gefolgt, weit mehr Aufmerksamkeit erhalten auf Bühne Drei 08/15-Punktypen wie das Alkaline Trio, Boysetsfire oder Less Than Jake.

Dann schon lieber richtigen Rock, und ab zu den Foo Fighters und ihrem einzigen Deutschland-Gig dieses Jahr. Super-Sympath Dave Grohl haut ohne viele Ansagen Song an Song, um seine knapp bemessenen 75 Minuten auszunutzen. Ob des Andrangs zum Stehen ab vom Schuss (zu leise ist es auch) verdammt, seufzt Kollege Lindemann, der so flammend begeistert vom Foos-Clubgig in New York gekommen war: „I’m not touched but I’m aching to be.“ Wie er’s nur immer rausschüttelt: Das ist eine Zeile von Heather Nova, die zeitgleich glöckchenstimmig Bühne Drei einsalbt.

Der Rock ändert sein Gesicht am Sonntag: Da hat Planet L.A. angedockt und den Künstler-Garderoben-Bereich in einen von tätowierten Schränken patrolierten Sicherheitsdistrikt verwandelt. Limp Bizkit, „the biggest band am Scheideweg“ (wieder der L.), bringen dann gut die Leute zum Hopsen. Aber was kann man diesbezüglich auch groß falsch machen mit viel wohlfeilem Gewummse, Coverversionen (neu: eine erschröckliche Unplugged-Version von „Behind Blue Eyes“ von The Who) und einem großen Namen. Sie spielen keine neuen Songs und nutzen – als einzige Band des Festes – ihre Bühnenzeit nicht aus. Hm. Zweifel nicht ausgeräumt. Auch Linkin Park, die mehrmals Gigs abgesagt haben, Schaffens heute. Chester Bennington, geht die rätselhafte Kunde, hat einen Riss im Zwerchfell, aber es fliegen Kuh und Kids zu der steril und überraschungsfrei wie ein Computerprogramm ablaufenden, aber effektiven Performance.

Und was ist mit The Mars Volta, den gespannt erwarteten? Die Redaktion ist so gespalten (prätentiöses Freejazz-Gewurschtel mit unfreiwillig komischem Appeal oder doch eher, äh, super?), dass wir für ein endgültiges Urteil die Clubgigs im September abwarten. Und die Fantas unplugged waren natürlich auch dufte, sagen die Leute auch dazu mehr im nächsten Heft. Und jetzt die Zelte eingemottet. Gut trocknen vorher, sie werden doch wieder gebraucht nächstes Jahr.

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