On Set

„4 Blocks“: Krise im Kokshandel


Selten lebte eine Serie so sehr von der Authentizität ihrer Darsteller. In der TV-Serie „4 Blocks“ kämpfen Ur-Berliner, Söhne libanesischer Einwanderer und ein knasterfahrener Rapper darum, wer den Hipstern die Drogen verkaufen darf.

Berlin-Neukölln. Am Hermannplatz wird gehupt, Humus verkauft, geschnorrt. Auf dem Weg zum Set sieht man vorm Parkeingang an der Hasenheide die Dealer bei der Arbeit. Wenige hundert Meter weiter geht es in den stickigen Keller einer Shisha-Bar. Die Crew von „4 Blocks“ macht sich bereit: Zwei Nachwuchsgangster haben Rivalen des Neuköllner Clans Hamady einen Ziegenkopf an die Tür genagelt, einen Auftrag hatten sie dafür nicht, ein Bandenkrieg kündigt sich an. Jetzt stehen sie angsterfüllt vor Veysel Gelin, der Abbas Hamady spielt und dem Nachwuchs gleich eine Lektion erteilen wird. Ein Choreograph erklärt, wer jetzt gleich wen und wie schlagen soll. Mehrere Takes werden gedreht, nur ein Darsteller braucht kaum Anweisungen: Veysel saß nämlich wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Gefängnis. Gefühlt halten alle Beteiligten kurz den Atem an, sobald der Hüne die jungen Darsteller am Genick packt und durch den Raum schleudert. Dieser Moment ist „4 Blocks“ in Reinkultur. Gefilmt wird Fiktion, genährt wird sie von unangenehm viel Wirklichkeit.

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Noch vor der TV-Premiere: „4 Blocks“ bekommt eine 2. Staffel
Veysel ist Schauspieldebütant, zuvor war er nicht nur im Knast, sondern auch als Rapper bei Haftbefehls Label unter Vertrag. Und er ist nicht der einzige Grund, warum das zusammengemischte Team hinter „4 Blocks“ etwas skurril erscheint: Frederick Lau und Kida Khodr Ramadan sind damit nicht gemeint, denn das sind genau die gegerbten Kerle, die man in einer Serie über Gangs in Berlin sehen will: Schauspieler, Berliner, Gesichter, an denen man ablesen kann, dass sie sich im Leben nicht nur vor öffentlich-rechtlichen Kameras herumgetrieben haben. In der zweiten Reihe kommen dann allerdings: Marvin Kren, „Tatort“- Regisseur aus Wien, dazu Geld und Konzept aus München, das nun zu Authentizität werden soll. Auch Massiv hat eine Nebenrolle. Der Pirmasenser war 2007 kurz mal eine große Nummer im Hip-Hop, als der „Mond in sein Ghetto krachte“.

In der ersten Szene von „4 Blocks“ kracht jetzt die Drogenfahndung in die Deals seiner Figur Latif, was den Plot um die Geschäfte der Familie Hamady in Neukölln lostritt. Latif kommt in den Knast und hinter- lässt ein Machtvakuum, das Tony (Ramadan) und dessen Bruder Abbas (Veysel) ausfüllen wollen. Der eine mit Getto-Diplomatie, der andere mit Gewalt und Drohgebärden. Frederick Lau darf als „Falsche Neun“, als verdeckter Ermittler im Assi-Look, für noch mehr Intrigen auf Neuköllns Straßen sorgen, die durch Drohnenaufnahmen und Farbfilter besonders verführerisch wirken.

Kida Ramada in „4 Blocks“

In sechs Episoden der ersten Staffel erzählt Regisseur Kren die Geschichte der Hamadys. Und bereits nach der zweiten wünscht man sich, er hätte direkt noch mehr drehen dürfen, was aber erst Ende 2017 geschehen wird. Weil Kida Ramadan mit seinem Tony eine Ambivalenz in „4 Blocks“ bringt, die man in vielen Milieu-Krimis vermisst. Der Clan-Chef will eigentlich raus aus den Koksgeschäften, kein Schutzgeld mehr eintreiben, keine Hipster mehr in Spülbecken drücken. Die Gentrifizierung – und hier wird die Geschichte herrlich aktuell – bietet ihm einen Ausweg. Der libanesische Kurde hat sich ein Wohnhaus ausgeguckt. Kauf und Untervermietung im mittlerweile überlaufenden und überteuerten Bezirk soll ihm legal mehr Geld bringen als die krummen Geschäfte.

Ronald Zehrfeld in „4 Blocks“

Doch Tony bekommt seit Jahrzehnten keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, hat seiner Ansicht nach also keine andere Wahl, als seine Familie mit inoffiziellen Einnahmen durchzubringen. Im Gegensatz zur Gentrifizierung ist dieses Thema auch außerhalb Berlins schon seit den 60ern aktuell. Sobald Tony mit seiner Frau im Warteraum des Bürgeramts sitzt und darauf hofft mithilfe schnöder Formulare ein neues Leben zu beginnen, macht es beim Zuschauer klick. Dann wird der unerreichbare Neuköllner Pate plötzlich sehr greifbar. Drehpause in der Shisha-Bar. „Die Autoren haben super recherchiert und nicht einfach eine Geschichte über ein paar Araber geschrieben, die jetzt einfach so kriminell sind“, sagt Ramadan am Set. Er erzählt vom sehr realen Sog Neuköllns. „Wenn du 26 Jahre nur in Deutschland geduldet wirst und nicht auf Lohnsteuer arbeiten kannst, dann denkst du: Okay, komm her!“ Und was dann folgt, sind eben manchmal: die Drogen, die Schlägereien, die Fahnder und wie in der Serie die rivalisierenden Nazi-Rocker aus Wedding. „Das Drehbuch ist das authentischste, das ich je in der Hand hatte“, sagt Ramadan, der lange in Neukölln gelebt hat und all diese Typen kennt, von denen „4 Blocks“ nun erzählt.

Entertainment und keine erhellende Doku

Wenn Tony sich über den enormen Koks-Konsum der Zugezogenen freut und Deals in trostlosen Hinterzimmern oder dunklen Kellern einfädelt, dann fühlt sich „4 Blocks“ besonders echt an. So echt, dass man über ein paar holprigen Dialoge oder sterile Club-Szenen hinwegsehen kann. Die braucht es wohl für den Trailer und ein bisschen Kino-Flair. Kren bewegt sich gekonnt auf diesem schmalen Grat zwischen Fiktion und Realität. Statisten und Nebendarsteller der Serie kommen zusammen auf ein hübsches Vorstrafenregister. Kunstnebel und Rap-Songs erinnern aber daran, dass das, was hier gedreht wird, am Ende doch Entertainment und keine erhellende Doku sein soll.

Geschrieben wurde „4 Blocks“ übrigens vom selben Trio, das auch Matthias Schweighöfers „You Are Wanted“ erdacht hat. Eigentlich kann man das kaum glauben, denn während der Hacker- Thriller schon nach einer halben Stunde seine komplette Glaubwürdigkeit verloren hat, wirkt „4 Blocks“ in vielen Szenen so, als hätte Kren einfach die Geschichten verfilmt, die der wachsame Berliner sowieso immer mal wieder auf der Straße aufschnappt.

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