Kritik

„Your Honor“ bei Sky: Neue moralische Konflikte für „Breaking Bad“-Star Bryan Cranston


Thriller mit Substanz: Die ersten vier Folgen der neuen Miniserie „Your Honor“ mit „Breaking Bad“-Schauspieler Bryan Cranston erzählen mit großer Finesse vom moralischen Niedergang eines Richters – und der erinnert stark an seine Paraderolle des Walter White. Auch Rassismus und Klassenunterschiede werden verhandelt.

Ein junger Mann steht morgens auf, verabschiedet sich von seiner Freundin und macht sich auf den Weg. Bevor er sich ins Auto setzt, greift er noch nach seinem Inhalator, sammelt ein Foto ein, reißt ein paar Blumen ab. Nahezu zeitgleich wird einem weiteren jungen Mann vor der Kulisse des exklusiven Anwesens seiner Familie ein ebenso exklusives Motorrad geschenkt. Noch vor ihnen ist ein Jogger zu sehen. Er zieht an Grabsteinen vorbei, dann durch eine ärmlich-kriminelle Gegend und landet schließlich vor einem vergitterten Hauseingang, durch den er einen Blick wirft, nur um umgehend wieder umzudrehen.

Seine Wegstrecke ist mindestens ein böses Omen. Wenn sich „Your Honor“ auch nach den vier ersten Episoden, die zur Vorabsichtung zur Verfügung standen, als derart intelligent komponiert erweist, deutet sie vielleicht sogar den Handlungsverlauf der Miniserie an. Doch selbst ohnedies, wird mit dieser Trias aus bald eng miteinander verknüpften Schicksalen der Grundstein für eine der beeindruckendsten Eröffnungssequenzen der jüngeren Seriengeschichte gelegt.

Ein atemloser Auftakt

Im ultra-cleanen Look erzählen elegant choreographierte Bilder von einer Tragödie, die zum Ausgangspunkt unzähliger weiterer schicksalhafter Wendungen der insgesamt zehn Episoden wird: Als der erste junge Mann, der sich bald als Adam (Hunter Doohan) herausstellen soll, in jener ärmlich-kriminellen Gegend, durch die soeben noch der Jogger seine Runden zog, Blumen und Bild niederlegen möchte, wird er von Gangmitgliedern ihres Territoriums vertrieben. Aufgeregt fährt er davon und erleidet, in Panik versetzt, einen Asthmaanfall. Verzweifelt fischt er nach dem Inhalator, der mittlerweile unter dem Beifahrersitz verschwunden ist.

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Seine Unaufmerksamkeit wird ihm zum Verhängnis: Sein Wagen erfasst den Jungen auf dem Motorrad. Der wird mehrere Meter durch die Luft geschleudert. Als Adam aussteigt, kann er immer noch nicht atmen, er keucht so sehr, dass einem selbst als Zuschauer*in die Luft wegbleibt. Die Szenerie, die sich ihm dann bietet, überrascht in ihrer nüchternen, und deswegen umso gnadenloser erscheinenden Brutalität. Verdrehte Gliedmaßen, ein aufgeschlagener Schädel, Schwalle an Blut. Endlos erscheint Adams Martyrium, der versucht zu helfen, in seiner Atemlosigkeit aber nicht einmal mit dem Notruf sprechen kann. Als er erkennt, dass die Situation aussichtslos ist, fährt er weg.

Vom Gangster zum Richter – und zurück?

Szenenwechsel: Wir sehen einen Richter, der seinen Beruf nach höchsten moralischen Standards ausübt. Ab hier tritt Bryan Cranston („Breaking Bad“) ins Bild. Genauer genommen, ist er das bereits, war aber als Jogger mit Kapuze nicht erkennbar. Das oben erwähnte Haus hat er besucht, um die Aussage eines Polizisten persönlich zu überprüfen – und schließlich eindrucksvoll zu widerlegen. Erst dann fällt auf, dass bis zu diesem Punkt nahezu kein Wort gesprochen wurde, aber bereits die Hälfte der ersten Folge vergangen ist. Fesselnder können die ersten Minuten einer Dramaserie nicht sein.

Doch eine moralische Überlegenheit wird Richter Michael Desiato vom hierzulande noch weitgehend unbekannten Showrunner Peter Moffat („Hawking – Die Suche nach dem Anfang der Zeit“) – wie zuvor schon von der israelischen Vorlage „Kvodo“, auf der „Your Honor“ basiert – nicht lange zugestanden. Denn der stellt sich alsbald als Adams Vater heraus. Und das Unfallopfer als Sohn des einflussreichen Gangsterbosses Jimmy Baxter (Michael Stuhlbarg), der dessen Tod auf jeden Fall rächen möchte.

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Die neuen Projekte etablierter Schauspieler*innen immer wieder mit ihrer charakteristischsten Rolle zu vergleichen, ist eigentlich Quatsch. Doch die Parallelen zwischen Walter Whites moralischem Niedergang und dem des rechtschaffenen Richters Michael Desiato sind nicht zu übersehen – und die Besetzung wohl auch deswegen ganz bewusst gewählt. Ganz ähnlich wie in „Breaking Bad“, bricht Bryan Cranstons Rolle mit ihrem geordneten Alltag und entwickelt ein Doppelleben, um die eigene Familie zu schützen. Denn während Adam die Ereignisse über den Kopf zu wachsen drohen, schwört ihn sein Vater auf absolute Verschwiegenheit ein.

Thriller mit Substanz

Bekanntlich entpuppten sich Walter Whites vorgeblich familienorientierte Beweggründe dafür, ins Drogenbusiness einzusteigen, letztlich als der Wunsch nach Selbstverwirklichung. Was aus Michael Desiato wird, ob ihm sein moralischer Kompass zurück auf die Spur der Tugend führt oder er ihn komplett über Bord werfen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht sowohl, dass ihm sein bester Freund (Isiah Whitlock Jr.) gerade eine Karriere in der Politik in Aussicht gestellt hat, als auch dass ihm das Vertuschen von Beweisen, Verdrehen von Tatsachen und Verhandeln krummer Deals erstaunlich leicht von der Hand geht. Die Lösungen, die er findet, um das Lügennetz zusammenzuhalten, werden von „Your Honor“ bislang glaubhaft erzählt – auch wenn die knapp 400.000 Einwohner*innen zählende Stadt New Orleans manchmal zu klein und der ein oder andere Zufall etwas zu groß erscheint.

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Skrupel plagen ihn dennoch, wenn durch sein Handeln andere in die Schussbahn geraten. Während Rassismus und Klassenunterschiede in „Breaking Bad“ nur stellenweise aufblitzten, rückt „Your Honor“ sie ins Zentrum des Geschehens: Klar erkennbar kann sich Michael aus vielen Situationen dank seines Status als angesehener Richter und den so entstandenen Beziehungen leichter herauswinden. Gleichsam sind es vor allem diejenigen, die in der gesellschaftlichen Hackordnung unter ihm stehen, wie der junge Schwarze Kofi Jones (Lamar Johnson), die es stattdessen trifft.

Obwohl es der Miniserie so durchaus gelingt, soziale Ungerechtigkeit auf eine erzählerisch kluge Art anzuprangern, neigt sie in ihrer Figurenkonstellation stellenweise selbst zu diskriminierenden Stereotypen, wenn Schwarze erstaunlich oft im Kontext von Armut auftreten, als Gangmitglieder und Drogendealer. Ob „Your Honor“ diese Tendenz noch berichtigen kann, werden die verbleibenden sechs Folgen zeigen – auch, ob sie das vorgelegte hohe Niveau halten können wird. Oder ob ihr nach einem atemlosen Auftakt die Puste ausgeht.

Die zehnteilige Miniserie „Your Honor“ startet mit einer Episode pro Woche am Montag, den 18. Januar um 20.15 Uhr auf Sky Atlantic  –  sowie auf Sky Ticket und über Sky Q auf Abruf.

Skip Bolen Skip Bolen/SHOWTIME