„You my most favorite Band – but I must study“
Bei zwei kuriosen Konzerten in Seoul lernen Mia die Strenge des koreanischen Schulsystems, die Begeisterungsfähigkeit der Rentner und nicht zuletzt sich selbst neu kennen.
Ein schmales, langes Plakat mit Schriftzeichen und einem unscharfen Mia-Foto wurde vor dem Eun-Pyeong-Kulturzentrum aufgestellt. Doch die wenigen Leute, die an diesem brütend heißen Nachmittag Anfang Mai auf der Straße sind, schenken ihm keine Beachtung. Mit großen Schirmmützen aus UV-abweisendem Plastik suchen sie kleine Parks und Grünflächen auf, wo sie im Schatten von Kiefern auf Baumstümpfen sitzen, schwatzen und die vorbeiziehenden Grundschulklassen belächeln. Es ist ein ungewöhnlich friedlicher Samstag in der sonst so geschäftigen Zwölf-Millionen-Stadt, und die Band aus Berlin verläßt ganz langsam aber sicher der Mut. Eine halbe Stunde vor dem ersten Korea-Auftritt von Mia, der auf Betreiben der eifrigen aber wenig popgewandten Organisatoren aus Seoul um 15 Uhr in einem gesichtslosen Vorort stattfinden muß, bereiten sich die Musiker in ihrer Garderobe auf eine kolossale Enttäuschung vor. „Wir konnten ja gar nicht steuern, wer auf die Information, daß Mia an dem und dem Ort um so und so viel Uhr spielen, sagt:, Prima, da geh ich hin. Wollt’ich mir schon immer mal ankucken. Weil ich so viel davon gehört hob'“, sagt Mieze frustriert, während sie ihr Make-Up für den Auftritt auflegt. Als Schlagzeuger Gunnar hereinkommt und berichtet, daß inzwischen zwar zögerlich ein paar Gäste eintreffen, der Großteil davon aber aus Senioren und Müttern mit kleinen Kindern besteht, lassen auch Andy, Ingo und Rob die Köpfe hängen.
„Sollen wir vielleicht die Setliste nochmal überarbeiten?“, schlägt Mieze vor und packt das Schminkzeug weg: „Die Leute da draußen sehen nicht so aus, als ob sie darauf vorbereitet sind, laute Popmusik zu hören.“
Noch beim Soundcheck brannten Mia darauf, Musik zu spielen. Voller Vorfreude haben sie einige Songs nicht nur an- sondern gleich durchgespielt und mit liebevoller Geduld eine „musikalische Überraschung“ einstudiert. „Die Aussicht darauf, daß wir hier in Korea spielen werden, hab‘ ich total genossen „, sagte Gunnar: „Es war super, sich ganz viele Sachen anzuschauen, hier was zu essen, da was zu essen und dann noch mehr zu essen. Aber irgendwann denkst du: Da war doch noch was …“ Bevor es auf dieser Reise, die vom deutschen Auswärtigen Amt als Kulturaustausch organisiert wurde, zum ersten Mal Gelegenheit gab, die Instrumente auszupacken, hatten sich Mia mit dem R.O.T-Label- und Band-Management Nhoah, Staab und Inga Königstadt zwei Tage lang müde aber beeindruckt durch die energiegeladene Stadt treiben lassen. Neugierig haben sie buddhistische Tempel, moderne S hopping-Malls und schäbige Kleidermärkte besucht, wenig für Souvenirs und zu viel für T-Shirts bezahlt. Immer wieder zog es Mieze und Inga zu den kulinarischen Exotika der Imbißbuden am Straßenrand – besonders mißtrauisch wurden die Suppen aus Käferlarven und die im Wok frittierten Schweinehufe begutachtet-, während Ingo, Gunnar, Andy und Rob an den Schaufenstern der zahlreichen Hundegeschäfte nach Hinweisen auf die Bestimmung der ausgestellten Welpen suchten (Haustier? Kochtopf?). Die Zeit im Bus nutzte die Band, um mit Hilfe eines selbstgemachten Mini-Wörterbuchs und einer einheimischen Dolmetscherin an der Aussprache von „Bitte“, „Danke“, „Darf ich dich küssen?“ und „Bringen sie mir Sake“ zu arbeiten, die örtlichen Eßgewohnheiten, die Fußball-WM, den Korea-Krieg und die deutsche und eine mögliche koreanische Wiedervereinigung zu diskutieren. Am zweiten Abend schließlich hatte sich die Gruppe mit Ausnahme derpflichtbewußten Sängerin, die sich und ihre Stimme schonen wollte, in das Nachtleben rund um die Hongik-Universität gestürzt, wo der halbherzige Vorsatz, zu „fragen, ob man in einem Club vielleicht spontan ein Konzert organisieren könnte , schnell vergessen war.
Als sich die Mitglieder von Mia am Samstag zu der Rock n Roll-untypischen Tageszeit mit einer umgeschriebenen Setliste und flauem Magen auf den Weg zur Bühne machen, spüren sie weder den Schlafmangel, noch den beachtlichen Jetlag, der ihnen seit ihrer Ankunft in Seoul zu schaffen gemacht hat. Die wenigen Worte, die in den kahlen, neonbeleuchteten Gängen des Kulturzentrums gewechselt werden, drehen sich noch immer um das Publikum. „Nächste Woche sind Prüfungen in Korea unddeswegen dürfen viele junge Leute offenbargar nicht aus dem Haus. Das hätte man mir auch gleich sagen können „, beklagt sich Mieze mit verständlicher Enttäuschung bei allen und niemandem zugleich und versucht, vom dunklen Bühnenrand einen Blick auf die knapp 100 im Saal verstreuten Gäste zu erhaschen. Mit Ausnahme von zwei europäischen Mädchen und ein paar wenigen koreanischen Teenagerinnen sind tatsächlich keine Jugendlichen auszumachen.
Als die Fünf nach einer rätselhaft langen Ansprache eines würdevollen Koreaners auf die Bühne kommen, lassen sie sich nicht anmerken, daß ihnen der Anblick der vielen Senioren und Kleinkinder, die mit ausdruckslosen Gesichtern den Auftritt erwarten, die Kehle zuschnürt. Trotz aller Nervosität klappt der Auftakt perfekt: Zu einer effektvollen Lightshow trommelt Gunnar lange den einfachen, treibenden Beat von „Hoffnung“, bis nach und nach die anderen Instrumente einsetzen. Der Song ist mit seiner maschinellen Rhythmik und der euphorischen Melodie so mitreißend, daß die Band selbst in seinen Bann gerät und im Zusammenspiel nach und nach alle Zweifel zu verlieren scheint. Mieze tanzt ausgelassener über die Bühne als das unter diesen Umständen zu erwarten wäre, und beim zweiten Refrain beginnt eine Reihe weißhaariger Herren lächelnd mitzuklatschen.
Gemäß der Bandphilosophie, immer und unabhängig von der Reaktion des Publikums mindestens eine halbe Stunde lang alles zu geben, bemühen sich Mia redlich, das Eis zu brechen. Beim zweiten Song werden im Publikum hier und da ein paar Arme geschwenkt und als Mieze, die in ihren Shorts mit Bommel am Po, einem türkisen Badeanzug und Knieschonern wie immer in gleichem Maße verboten, wundervoll und – wie man in Korea höflich sagen würde „sehr interessant“ aussieht, einen vorsichtigen Versuch wagt, den Saal zum Mitsingen eines einfachen Melodiebogens zu bewegen, sind tatsächlich ein paar dünne Stimmen zu hören. Song für Song wird die Band lockerer, werden die Ansagen häufiger, die die Sängerin zur Freude des Publikums mit auswendig gelernten und vom Blatt gelesenen BTÖckchen Koreanisch versucht, und in der Folge wird auch der Applaus lauter. „Es funktioniert*. Es funktioniert!“ ruh Mieze in „Skandal“ und sie klingt erleichtert, denn der Funke springt über: Mehr und mehr Leute klatschen nun unermüdlich im Takt, ganze Reihen von Senioren haben ein glückliches Lächeln im Gesicht, und ein paar Mädchen formen mit den Händen ein Herz.
Als Mia nach einer Stunde ihren Trumpf ausspielen, und Mieze, begleitet nur von Ingo am Klavier, mit klarer Stimme das koreanische Volkslied „J-Ege“ anstimmt, passiert etwas Erstaunliches. Ein überraschtes Raunen geht durch den Saal, und viele Menschen stehen mit gerührten Mienen auf und stimmen laut und engagiert mit ein. Daß sich die Band mit diesem wackeligen Vortrag der schönen, schlichten Weise verletzlich macht, wird ihr mit euphorischem Applaus gedankt. Eine wahrhaftige Ergriffenheit bewegt nun das Publikum, das offensichtlich nicht damit gerechnet hatte,daß ihnen eine Popband aus dem Westen mit so viel Bescheidenheit, Respekt, Neugierde und Offenheit begegnen würde. Als Mia nach einigen Verbeugungen den Ekktromarsch-Remix von „Was es ist“ losbrechen lassen, hält es auch eine ältere Dame mit Sonnenkappe nicht mehr auf ihrem Platz. Sie beginnt, zunächst ihre noch sitzenden Nachbarn und dann auch wildfremde Menschen in anderen Reihen hochzuziehen, animiert sie, ihre Hüften zubewegen und nach vorne zur Bühne zu gehen, wo bereits die Kinder ausgelassen tanzen. Daß am Ende das Publikum tobt, dessen Begeisterungsfähigkeit man zuvor so sehr in Zweifel gezogen hatte, ist so rührend, daß den Musikern und allen mitgereisten Europäern Tränen die Wangen herabkullern. Wie mächtig die Kraft war, die an diesem Nachmittag im Kulturzentrum gewirkt hat, sieht man in den Gesichtern der zahlreichen Vier- bis 75jährigen, die nach dem Konzert strahlend und mit roten Backen in der Garderobe erscheinen, um mit der erschöpften, glücklichen Band für Fotos zu posieren und sich Autogramme zu holen.
Der große Auftritt am Sonntag, der der eigentliche Grund für die Reise ist, findet im Zentrum von Seoul vor einigen tausend Menschen statt, ist im Vergleich zu den Erlebnissen am Vortag aber fast schon Routine. Am Hi-Seoul-Festival präsentieren sich auf einer riesigen Bühne Tanz-, Rock-, Pop- und Folklore-Gruppen aus der ganzen Welt, und Mia bestreiten einen von zahlreichen Programmpunkten, die am Nachmittag abgespult werden. Während des Soundchecks einer Art „Korea sucht den Superstar“-Gruppe erzählt Staab, wie es zu der Einladung kam. „Vor ein paar Wochen klingelte morgens im Tourbus mein Handy. Da war Jörg Tramm aus der Senatskanzlei in Berlin dran ick nah schon jedacht, die haben mein Auto ahjeschleppt“, sagt der Manager belustigt. „Jörg Tramm wollte wissen, ob man die Musik von Mia im weitesten Sinne als,Popmusik’bezeichnen könnte, da er Berlin gerne in Seoul durch was .Frisches, Junges‘ vertreten haben wollte.“ Der Politiker traf eine gute Wahl: Wären Mia auch nur ein kleines bißchen weniger frisch und jung gewesen, sie wären kurz vor Beginn des Festivals wohl im allgemeinen Chaos der unorganisierten Last-Minute-Proben unter die Räder gekommen. So aber erkämpfen sie sich mit einer Überraschungsaktion einen unangekündigten Soundcheck, während ein mongolisches Orchester für seinen Auftrittüben wiü – „Schneller- ihr müßt Töne machen, bevor die Töne machen! ,feuert Staab seine Band an – und absolviert am Nachmittag einen souveränen Auftritt.
Die große Überraschung wartet auf Mia beim Hi-Seoul-Festival nicht auf, sondern hinter der Bühne. Als die Musiker nach dem Abbau des Equipments zurück zum kleinen Tourbus gehen, bemerken sie eine Gruppe von Autogrammjägern, die geduldig an einem Zaun auf die Band gewartet hat. Ganz vorne steht ein etwa i4jähriges koreanisches Mädchen, das auch am Tag davor im Publikum war und über Nacht zum größten Mia-Fan ihres Landes geworden ist. Strahlend überreicht sie selbstgemalte Schildchen, auf denen die Namen „Miez“, „Andy“, „Ingo“, „Rob“ und „Gunnar“ in Glitzerschrift stehen. Dazu übergibt sie einen Brief von ihrer Freundin, die ebenfalls im Kulturzentrum war, heute aber Ausgangssperre hat. „I will buy your CD if I can „, steht in sorgfältiger Schrift auf dem Briefbogen. „You my most favourite band- but I must study.“ Erst als alle der knapp 30 neuen Fans ihr Autogramm bekommen haben, brechen Mia auf.
Am Abend trifft man sich zu einem letzten großen Dinner in einem traditionellen Restaurant, das ohne Schuhe betreten wird. Während die Köche dünnes Fleisch direkt auf heißen Kohlen am Tisch zubereiten, kehren die Gedanken der Berliner immer wieder zu dem Konzert am Vortag zurück. „Es war so, so, so schön“, sagt Mieze. „Bei null anzufangen, hat einegroße Qualität – daß man sich gegenübersteht und sagt: Laß mal kucken, wo wir uns treffen.“ Robert: „Was mich während des Konzerts an Emotionen gepackt hat, das hab ich noch nie erlebt.“ Ingo: „Das war für mich hier die Bestätigung, daß Musik unabhängig von Sprachefunktionieren kann, daß die Leidenschaft und die Energie ansteckend sind.“ Auch Gunnarist noch bewegt: „Gestern bin ich daran erinnert worden, daß nichts von dem, was uns umgibt, selbstverständlich ist. Das heißt nicht, daß man wochenlang demütig auf Knien rutschen muß, aber es ist ein guter Moment, um sowas mal kurz ans kh rankommen zu lassen.“ Andy: „Wir haben kommuniziert mit ihnen, obwohl wir nicht Koreanisch sprechen. Dabei ist Musik ja gar nicht faßbar – sie ist in einem Moment existent und im nächsten schon wieder verflogen. Sie ist offensichtlich materiell wertlos und hat aber doch einen ganz anderen Wert.“ Als man spät nachts durch die von grellen Leuchtreklamen erhellten Straßen zurück zum Hotel geht, ist ein bißchen Wehmut zu spüren. Am nächsten Tag werden Mia Korea verlassen und Mieze spricht für alle, als sie sagt:
„Die tanzenden Kinder und meine heulenden Bandkollegen – das werde ich auf jeden Fall nie mehr vergessen.“
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