Yazz Oder Nie
Sie sieht aus wie eine Kreuzung aus Lennox und Nielsen. Doch Yazz, bislang die Stimme von Coldcut, will mehr sein als nur ein Abziehbild. In England gelang es: In drei Wochen schoß Ihre Single an die Chart-Spitze AAls sich die blonde Britin nach Erscheinen ihrer Debüt-Single erstmals den Fotografen stellte, runzelten einige Herren die Stirn — irgendwo hatten sie dieses Gesicht doch schon mal gesehen. Kein Wunder: Yazz stand schon als hochbezahltes Model in den Katalogen der Mode-Agenturen, als ihre spätere Gruppe Coldcut bei dem Wort HipHop noch an den Gang des Osterhasen dachte. Was bringt einen professionellen Kleiderständer mit vierstelligen Tages-Honoraren dazu, als Sängerin in den Verheiz-Betrieb deT Popmusik zu wechseln?
„Finanziell stelle ich mich damit bestimmt nicht besser, aber das Leben als Model ging mir langsam auf den Geist.“
Besonders geistvoll ist ihre erste Single „The Only Way 1s Up“ zwar auch nicht, der Ehrgeiz des Song-Titels aber ist für Yazz Lebenselexir. Vor zwei Jahren warf sie dem Agenturchef den Kleiderbügel vor die Füße, denn sie „wollte den vollschlanken Frauen nicht mehr vormachen, daß sie in den Kleidern, die ich mit meinen 1,80 Meiern tragen kann, gut aussehen.“ Das Schlüsselerlebnis passierte in Deutschland: „Bei einer Mode-Gala in München hatte ich endgültig genug. Da standen zehn Mädchen um mich herum, die mir bis aufs Haar glichen: groß, schlank, alle gleich aufwendig geschminkt und alle in enganliegende rote Trikots gezwängt. Und dann kam diese füllige Dame mittleren Alters, deutete auf mich und bestellte sich den Fummel.“
Yazz besann sich auf ihr Hobby — schon lange singt sie nicht nur in der Badewanne: „Ich halle oft in irgendwelchen Bands gesungen und war zwischen Fototerminen auch live aufgetreten. Inzwischen weiß ich, daß ich viel lieber Musikerin ah Model bin. “ Das „Musikerin“ meint sie ernst: Yazz beschränkt sich nicht darauf, den Disco-Hasen zu spielen, der auch singt. Zwei Jahre lang lernte sie, Keyboards zu spielen, Drumcomputcr zu programmieren und Songs zu schreiben. Was Wunder, daß ihre ersten Demos überall Gehör fanden. “ Yazz hat viel Stil“, sagt ihr Mit-Entdecker Youth von den ßeatfarniers (früher bei Killing Joke), „Sie sieht verdammt gut aus. Aber das beste an ihr waren die Demos. Die waren überhaupt nicht so roh und billig wie sonst. Die Bänder halten gute Arrangements und strotzen vor guten Sound-Ideen“.
Klar — in Sachen Aulnahmetechnik und Arrangement hat sie zwei der besten Lehrer, die es dafür gibt: die Sound-Techniker und Sampling-Spezialisten Coldcut, deren Samples von James Brown bis Ofra Haza durch die Charts geistern. Doch die Beziehung zwischen Yazz und den beiden Londoner Ex-DJs beruht auf Gegenseitigkeit: Das Duo hatte gerade die Musik für die erste Single fertig auf Band, nur eine zündende Gesangs-Melodie fehlte. Zufälligbekam Yazz‘ Manager das Band auf den Tisch, und sein wasserstoffblonder Schützling zog sich damit zurück. Drei Tage später stand sie im Coldcut-Studio und sang den Refrain für die Single „Doctoring The House“. Ihr Gesicht tauchte in dem dazugehörigen Video — mit nur rund 20 000 Mark eher eine Low Budget-Produklion — auf, kurz darauf stieß der Song bis auf Platz sechs der UK-~Charts vor.
„Gut, es hat einen Riesenspaß gemacht. Aber ich habe zum ersten Mal mitgekriegt, wie verdammt wichtig es ist, sich ein schlagkräftiges Image zu basteln, um im Pop-Geschäft Erfolg zu haben“. Daß Image vor allem über das Auge geht, hatte sie schon früher bemerkt, als sie für prominente Kollegen nebenher die Bühnenklamotten schneiderte: „Ich habe das ————-Ouifil von George Michael für die erste Wham-Tour entworfen und die Kleidung von Nik Kershaw und Pepsi & Shirlie für deren Videos designl. Ich bin mir sicher, daß sie alle viel weniger Platten verkaufen würden, wenn sie als Otto Normalverbraucher daherkämen. “ Die Frage, wieviel Musik dazugehört, um eine Platte zu verkaufen, stellt sich für Yazz nicht: „Es muß einfach alles zusammenpassen, wie auch ein Kleid zu der Frau, die es trägt, passen muß“.
Die Meinungen zu ihrer Musik sind m England vielfältig: Während sie schon vor Monaten vom Titel des Zeitgeist-Magazins „The Face“ lächelte und die Kids auf der Insel die Single binnen drei Wochen auf Platz Eins der Charts hievten, schimpft die Musik-Presse zwischen „schlimmer ah Brigitte Nielsen“ und“.gequirlte Disco-Grütze“. Dabei hat Yazz gar nichts gegen Discotheken, sie sieht ihre Musik „irgendwo zwischen Motown und 70er Jahre-Disco, Hauptsache schwarz.“
Ärgerlich findet sie nur die Kritik an ihren Texten: „Ich habe nichts gegen .Baby I Love K>u‘-Songs, über ich will mehr vom Zeilgeschehen in meinen Texten einfangen, ich will den Frauen Mut machen und gegen Unterdrückung singen. Deshalb wird es auf meiner LP auch ein Lied gegen Apartheid lieben.“
Selbst wenn den Disco-Kids das zu politisch werden sollte und sie das Votum des blonden Wirbelwinds einfach schnöde ignorieren, bleibt ihr letztlich immer noch der Weg zurück zum Laufsteg des Models. Schließlich hängt in einer renommierten Mailänder Agentur inzwischen auch wieder die Scl-Kartc von Brigitte Nielsen. Die hatte auf Falco gebaut und war auf den Bauch gefallen. Hoffentlich blüht Yazz nicht dasselbe Schicksal.