Wie viel Pop darf HipHop?


Auch bei Tower Records, dem „besten Plattenladen Hollywoods und der ganzen Welt“ (steht so in meinem Reiseführer, stimmt aber nicht), sind die Black Eyed Peas längst aus der HipHop-Ecke ins Pop/Rock/Soul-Fach umgezogen. Zwar weist der Sticker auf dem Cover von Elephunk ihr letztes Album als „groundbreaking, multi-million selling record“ aus, aber eine Umsortierung rechtfertigt das alleine kaum: Die jüngsten Langspieler von Eminem, Snoop Dogg und Kanye West etwa (allesamt filed under: HipHop) verkauften sich noch besser. Vielmehr scheint man bei Tower Records zu denken, was viele Kunden denken, wenn sie an die Black Eyed Peas denken: früher ein HipHop-Act mit Vorlieben für Pop, heute ein Pop-Act mit Vorlieber für HipHop. Eine Band, die sich dem weißen Mainstream erschlossen hat – aber nicht auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit im schwarzen Untergrund. Oder vielleicht doch?

Ein paar hundert Meter den Sunset Strip hinauf, in einer Suite eines außen so bunten wie innen tristen Art-Deco-Hotels aus den 30er Jahren, deutet zunächst wenig daraufhin, daß das Management der Black Eyed Peas besonderen Wert darauflegt, die Band als etwas anderes als ein Pop-Produkt zu vermarkten. Zur ersten Listening Session des Tages, bei der das frisch fertiggestellte vierte Album Monkey Business vorgestellt wird, sind geladen; die Autorin einer großen deutschen Frauenzeitschrift, der L.A.-Korrespondent eines US-Lifestyle-Magazins, eine junge Dänin, die schwärmt, daheim für ein Teenagerblatt („like Bravo, you know“) zu schreiben. Der Plattenfirmenmann teilt das Tracklisting aus und eilt hinüber zum CD-Player, der sicherheitshalber im abschließbaren Nebenraum platziert ist, weil in ihm nun eine der derzeit wohl diebstahlanfälligsten Promo-Kopien der Welt zu rotieren beginnt.

Monkey Business geht loswie der Soundtrack zu Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“: mit Dick Dales hibbeligem, bald von feisten Beats und Raps durchfurchtem Surf-Thema „Misirlou“. Nicht originell, aber doch origineller, als man vermuten mag, weil es Dale selbst war, der das Stück auswählte, als er sich mit den Black Eyed Peas im Studio traf. Als einer von einigen hier nicht erwartbaren Gastmusikern: James Brown etwa röhrte in „They Don’t Want Music“ ein wenig Seventies-Funk-Exstase aufs Album, Jack Johnson arbeitete seine Akustiknummer „Gone“ ins Hip-Hop-affinere „Gone Going“ um, und Sting gab für „Union“ abermals den „Englishman in New York“. Überhaupt macht Monkey Business weiter, wo Elephunk 2003 aufgehört hat- in der selten sensationellen, stets aber eingängigen Verschmelzung von HipHop mit so ziemlich allen Ausdruckformen, die die moderne bis mittelalte Populärmusik kennt: Soul, Funk und Disco, R’n’B, Rock und Latin.

„Vielfarben-HipHop. Darf ich mir das merken und bei nächster Gelegenheit verwenden „, fragt Stacey Ferguson, die niemand so nennt, und lehnt sich mit einer seltsamen Mischung aus Dankbarkeit und Schadenfreude ins Couchleder zurück. Der Autor hatte einen Fehler gemacht: Er hatte Fergie gefragt, wie sie den Stil ihrer Band bezeichnen würde – woraufhin sie kurz mit den Achseln zuckte, um dann den Spieß umzudrehen:

„Ich weiß nicht genau. Wie würdest du ihn bezeichnen?“ jetzt sitzt man hier, hat in der Ratlosigkeit, die eigentlich dem Gegenüber bestimmt war, etwas von „Vielfarben-HipHop“ gestammelt, im Zimmer riecht es nach Gras, und neben Fergie reibt sich Indianer Taboo die Hände. Vermutlich geht es dem Journalisten im Raum nebenan, wo mit will.i.am und apl.de.ap die übrigen Black Eyed Peas Fragen beantworten (oder stellen), nicht besser; womöglich besteht gar ein konspiratives Abkommen zwischen den vier Bandmitgliedern, das vorschreibt, die Rollen Interviewer/Interviewter zu vertauschen – oder aber den Gesprächspartner mit schalen Floskeln abzuspeisen:

Dieses Interview sollte schon vor einem halben Jahr stattfinden, wurde dann aber kurzfristig abgesagt. Was war da los?

Fergie: Unsere Platte war noch nicht fertig.

Aber ihr dachtet, sie wäre fertig?

Fergie: Ja. Und dann fanden wir doch kein Ende. Wir hatten auf einmal einen regelrechten Lauf, jede Woche neue Ideen, die unsbesser erschienen als die alten. Wir fingen an, fertige Songs durch unfertige zu ersetzen, und schließlich hat es Monate gebraucht, bis wir durch waren.

Jetzt seid ihr aber zufrieden?

Taboo: Das kann ich dir sagen. Mann! Die Platte ist im Kasten, genau so, wie wir sie haben wollten.

Was, denkt ihr, erwarten die Leute von Monkey Business?

Fergie: Schwer zu sagen, gerade für uns. Was hast du erwartet?

Das, was ich gehört habe: ein HipHop-Album, das in jeder Minute die Nähe zum Pop sucht.

Fergie: Sehr gut.

Wen es das ist, was ihr wolltet?

Fergie: Weil es das ist, was zu uns paßt. Zur Formel der Black Eyed Peas.

Wie genau geht die?

Fergie: Hier ein Text über Beziehungskrisen, dort ein Text über soziale Probleme. Und viel darüber, wie es ist, nachts durch die Clubs zu ziehen, weil es das ist, was wir am liebsten tun.

Protzerei, gern HipHop-immanent, gehört nicht dazu.

Fergie: Es wäre heuchlerisch, wenn ich sagen würde, das ich nicht glücklich bin mit dem Lebensstil, den ich mir inzwischen leisten kann. Es ist an sich nichts Verwerfliches daran, sich an materiellen Dingen zu erfreuen, solange das nicht alles ist, was dich ausmacht.

Könnt ihr es nachvollziehen, wenn frühere Fans jetzt, da ihr euch zunehmend dem Pop öffnet – und ja im wahrsten Wortsinn mit Erfolg -, eure Glaubwürdigkeit in Frage stellen?

Taboo: Hältst du uns für glaubwürdig?

Das ist nicht die Frage.

Taboo: Wir machen uns grundsätzlich keinen Kopf darüber, wie glaubwürdig wir auf andere wirken. Das würde uns künstlerisch hemmen. Du kannst nicht mehr tun als das, was du für richtig hältst, und hoffen, daß es andere auch für richtig halten. Durch Elephunk haben wir überall auf der Welt neue Hörer hinzugewonnen, eben nicht nur klassische HipHop Heads. Mütter, Väter, Leute, die mit optimistischem, progressivem HipHop etwas anfangen können. Kann ich mir mehr wünschen?

Wohl kaum, zumal den Vergraulten ja immer noch die frühen Black Eyed Peas bleiben: Behind The Front, das verhältnismäßig schroffe Debüt, das will.i.am, apl.de.ap und Taboo – zuvor alle als MCs und Breakdancerim Underground von L.A. aktiv- 1998 veröffentlichten, bevor sie sich im Vorprogramm von Cypress Hill landesweit Aufmerksamkeit erspielten und für ihren zweiten Langspieler Bridging The Gap zwei Jahre später illustre Gäste wie Macy Gray, De La Soul und Wvclef Jean empfingen. Während Band-Lenker will.i.am sich damals noch als Co-Produzent im Hintergrund hielt, übernimmt er seit Elephunk die Verantwortung vom Songwriting bis zum finalen Mixing. Taboo sagt: „Erformt das Gesicht der Black Eyed Peas. Er sorgt dafür, daß wir als Musiker nicht auf der Stelle treten.“ Der bisher wichtigste Schritt auf diesem Weg: die Erweiterung der Band um Chanteuse Fergie während der Arbeit an Elephunk. „Es hat seine Zeit gebraucht, bis wir sie als vollen Teil der Black Eyed Peas aufgenommen und ihre Rolle verstanden haben „, gibt Taboo zu, und als müßte er sich gleich dafür entschuldigen, überhäuft er seine Couchnachbarin mit Komplimenten („she brought happiness, enjoyment, beauty, talent, sexiness… „), bis die mit einem verlegenem „Jesus Crist“ dazwischengeht.

Bleibt zu fragen: Wie kritisch ist der Albumtitel Monkey Business aufzufassen; am Ende gar als Affront gegen die Mühlen und Manierismen der Plattenindustrie, mit denen die Black Eyed Peas während der letzten zweieinhalb Jahre gewiß zur Genüge vertraut gemacht wurden? „Es gab Tage auf Tour“, meint Fergie, „an denen wir uns tatsächlich fühlten wie Affen, die in einem Zirkus rundum die Welt geschleppt werden, damit sie jeden Abend vor Publikum ihre Kunststückchen vorführen. Und wenn man danach im Tourbus abreisen wollte-in Europa ist das ein paar Mal passiert -, klopften Fans an die Türen und hielten ihre Kameras in die Fenster. Wir saßen drinnen in unseren Pyjamas und wußten nicht, was wir machen sollten.“

Taboo lächelt, nicht ahnend, daß er am nächsten Morgen mit dicker Wange aus dem Hotelaufzug steigen wird. „Wurzelentzündung“, nuschelt er, „mein Zahnarzt sagt, ich solle unbedingt im Bett bleiben. „Was tut er dann hier? „Interviews geben, den ganzen Tag. Es ist die Hölle, aber es geht nicht anders. In zwei Wochen müssen wir schon aufToursein.“ Dann läuft er den langen Flur entlang, verschwindet in einer Suite. It IS a Monkey Business.

www.blackeyedpeas.com