Die da oben

Wie Kerstin Ott es in die heile, weiße & heterosexuelle Schlagerwelt geschafft hat


Kerstin Ott bringt verlässlich Queerness ins sonst so gut abgeschottete Li-La-Laune-Zelt. Die aktuelle Hitparaden-Kolumne von Julia Lorenz.

Die Älteren werden sich erinnern: In den goldenen Tagen des Privatfernsehens wurden in der Show „Switch“ erfolgreiche Fernsehformate heiter bis bösartig parodiert. Den besten Auftritt lieferte dabei verlässlich der Comedian Michael Kessler, der als aggressiv fröhlicher Schlagershowzar Florian Silbereisen sein geriatrisches Publikum anstachelte: „Ihr Lieben! Heute sind wir gut drauf, weil die ganzen Inder und Schwarzen draußen bleiben müssen – heeeeeey!“Gut, im Originalsketch nutzt Kessler das N-Wort, das es heute aus besten Gründen nicht mehr durch die Redaktion schaffen würde. Aber abseits dieses unnötigen Begriffs bleibt die Parodie enorm lustig. Schließlich galt lange: Selbst die härteste Clubtür ist einfacher zu bezwingen als das Tor zur allzu heilen, weißen und heterosexuellen Schlagerwelt.

Ein Look, den man eher in Queer-Bars als beim Volksfest der Volksmusik erwartet

Es ergibt also in gewisser Weise Sinn, dass die offen lesbisch lebende Sängerin Kerstin Ott, die gerade mit ihrem selbstbewusst betitelten Album BEST OTT auf Platz drei der Charts steht, eine Art DIY-Schlagerstar ist. Ihren ersten Erfolg, den Song „Die immer lacht“, schrieb die ehemalige Malerin und Lackiererin der Legende nach am Küchentisch. Auf selbstgebrannten CDs verschenkte sie den Song an Freunde. Das Ganze landete (ohne Otts Zutun) erst auf YouTube, dann auf dem Tisch des erzgebirgischen Partyduos Stereoact – und bald darauf Ott als Schlagerhoffnung beim Majorlabel Universal.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Das ist insofern bemerkenswert, dass sich die 40-jährige Berlinerin schon äußerlich von den meisten Schlagerkolleginnen unterscheidet: kurze Haare, üppig tätowierte Arme. Ein Look also, den man eher in Queer-Bars als beim Volksfest der Volksmusik erwartet – und den Ott in ihren Songs auch ziemlich offensiv verteidigt: In „Mädchen“, ihrer toll getexteten Antwort auf „Junge“ von den Ärzten, besingt sie aus der Perspektive der besorgten Eltern eine junge Frau, die sich nicht genderkonform verhalten mag. Draußen bleiben, das ist Otts Botschaft, soll in der Li-La-Launewelt des Schlagers niemand mehr. Ob man aber tatsächlich hinein will in dieses Partyzelt, das ist die andere Frage.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 03/2023.