Kolumne

Wie die Tödin ihren ganz eigenen giftigen Zaubertrank braut

Jan Müller erklärt, warum die Musik von Die Tödin weniger aus der Zeit gefallen ist, als es den Anschein hat.


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Ich bin Teilnehmer diverser WhatsApp-, Signal-, und iChat-Gruppen. In einer dieser Gruppen versammeln sich ein Punk, ein Metaller und zwei Indie-Rocker. Wir schicken einander viel Unsinn hin und her. Aber manchmal sind die Inhalte spektakulär. Letztens setzte einer der beiden Indie-Rocker (ich war es nicht) einen YouTube-Link in die Gruppe: „Verderben“ von Die Tödin. Selten fand etwas so viel Nachhall in unserer Gruppe. Und womit? Mit Recht!

Die Headline des Bandcamp-Profils von Die Tödin lautet „True Darkwave from Gelsenkirchen“. Und was da alles drin ist: Goth, Wave, Minimal, Electro. Die Mixtur von Die Tödin klingt zu 100 Prozent nach Malaria!, zu 100 Prozent nach Anne Clark und zu 100 Prozent nach Xmal Deutschland. Aber eben nicht nur. Ihr giftiger Zaubertrank enthält auch etwas Eigenes, etwas Neues. Zum Beispiel die Texte: „Ich sitze da / Und starre an die Wand / Starre in das Nichts / Ich sitze da / Und starre an die Wand / Starre in das Nichts“ (aus „Verderben“).

Das Gefühl der Leere kann ja heutzutage fast schon ein Privileg sein

Im Jahre 2025 hat solch eine verweigernde Underground-Haltung durchaus Berechtigung. Das Gefühl der Leere kann ja heutzutage fast schon ein Privileg sein; in einer Welt in der aus West und Ost auf uns eingeprügelt wird. Vielleicht ist die Musik von Die Tödin weniger aus der Zeit gefallen, als es im ersten Moment den Anschein hat. Die Tödin veröffentlichte ihren ersten Track vor drei Jahren im April 2022. Er trug den programmatischen Titel „Ich bin schon tot“: Im Text heißt es „I like Sterben / I like Patchouli / / I like die Death / I like Kreuze / And Kreuzigungen“. Ist das nicht reichlich übertrieben? Und lässt sich das überhaupt ernst nehmen?

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Mir gefällt es zumindest supergut. Die Herangehensweise von Die Tödin ist fast schon japanisch. In diesem Land zeichnete sich Pop von jeher durch Überzeichnung des Bestehenden aus. Die ästhetische Komponente hat einen übergroßen Stellenwert. Die Iros der japanischen Punks waren höher und akkurat aufgestellt und die Nieten auf den Lederjacken waren zahlreich und saßen im rechten Winkel zueinander.

Die perfekte Hymne für jedwede Alltagssituation

Die optische Komponente spielt auch bei Die Tödin eine wichtige Rolle. Bei ihrem Internet-Auftritten auf Bandcamp und Instagram blicken wir auf eine Welt im kompletten Schwarzweiß. Die Coverästhetik der Singles vermittelt neben Darkwave auch starke Anleihen an Black Metal. Das Corpsepainting auf dem Gesicht der Künstlerin verstärkt diesen Eindruck. In ihrer Musik spielt dieses Genre allerdings keine Rolle. Trotzdem trägt einer ihrer Hits den Titel „Living Tat DSBM Lifestle“. DSBM ist das Kürzel für „Depressive Suicidal Black Metal“. Dieses Subgenre entstand Anfang des Jahrtausends und verursachte Grabenkämpfe. Fraglich ist allerdings, was stupider ist: Das Anzünden hübscher Holzkirchen oder das Verteilen von Rasierklingen ans Publikum.

Aber diese Frage sollen andere klären. Denn hier geht es ja nicht um Black Metal, sondern um Darkwave. Der eben genannte Song von Die Tödin ist für mein Empfinden aber eher Punk als Wave oder DSBM: „Geht mir weg mit eurer Sonne / Geht mir weg mit eurem Licht / Geht mir weg mit eurer Freude / Dieses Leben brauch’ ich nicht“ und schließlich: „Ich such mir einen dunklen Keller / Da bleib ich bis zum Armageddon“. Das könnte im Frühjahr 2025 eigentlich fast schon wieder eine sinnvolle Handlungsanweisung sein.

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Jeder Mensch mit Herz, sollte sich außerdem den Track „Angepasste Spießerschweine“ anhören: „Life has changed / I am cold inside / I want to die / When I see / Angepasste Spießerschweine“. Das ist nun wirklich die perfekte Hymne für jedwede Alltagssituation. Dazu präsentiert uns Die Tödin einen minimalistischen, aber mitreißenden Audio-Background inklusive einer catchy Kindermelodie. Ich pflege ab sofort, diesen Track täglich vor dem Frühstück zu hören. Aber nur bei gutem Wetter.

Ich denke, dass die Musik von Die Tödin viel mehr ist als nur eine Meta-Dark-Wave-Überzeichnung

Im Dezember 2023 erschien mit SELECTED SINGLES der erste physische Tonträger von Die Tödin. Zunächst als Tape bei Sonic Centurion und 2024 dann als Vinyl/CD bei Minimalkombinat. Selbstverständlich sind sämtliche Formate schon ausverkauft. Insbesondere die Vorzugsausgabe inkl. schwarzer Kerzen und Rosen und in das Vinyl eingearbeiteter schwarzer Rosenblätter.

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Was bleibt zu sagen? Ich denke, dass die Musik von Die Tödin viel mehr ist als nur eine Meta-Dark-Wave-Überzeichnung. Ich vermute, dass die von Schmerz und Verzweiflung geprägten Texte durchaus auf erlebtem Leid beruhen. Aber ich hoffe sehr, dass die Musik ein Kompensationsmittel für die Künstlerin und auch für ihr Publikum ist. Und wenn wir das als Hörer:innen im Sinn behalten und keinen rein ironischen Umgang mit dieser Musik pflegen, so kann sie sogar gute Laune machen. Vielleicht sollte ich im Juni zum 32. Wave-Gotik-Treffen nach Leipzig fahren?

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 4/2025.