Kritik

„Westworld“ Staffel 3 auf Sky: Von Maschinen über die Menschheit lernen


„Westworld“ findet allmählich zu seiner alten Stärke zurück. Statt der Roboter müssen sich nun aber vor allem die Menschen fragen, wann ein „freier Wille“ wirklich frei ist. Achtung, Spoiler!

Herausragende Science-Fiction-Filme und -Serien, die ihre Storylines und ihre Protagonist*innen nicht auf ein sich stets wiederholendes „Gut versus Böse“ reduzieren, sind unglaublich selten. „Westworld“ beweist nicht nur, dass es auch anders geht, sondern erfindet sich auch ständig neu – allerdings mit schwankender Qualität. In der ersten Staffel präsentierte sich „Westworld“ noch als Vergnügungspark der Superlative, in dem Superreiche mit superrealistisch aussehenden Androiden vor extrem echt wirkenden Kulissen tun können, was sie wollen. Und das sind vor allem Dinge, die in der realen Welt verboten sind: rauben und verwüsten, töten und vergewaltigen. Doch schnell wurde klar, dass die Roboter (auch „Hosts“ genannt), trotz regelmäßigen Zurücksetzen ihrer Erinnerungen, ein Bewusstsein entwickelt haben und anfangen, sich gegen die Menschen aufzulehnen.

„Westworld“: Was Ihr zum Start der dritten Staffel wissen solltet

Nach zehn Episoden voller unvorhersehbaren Plot-Twists (William ist der Mann in Schwarz?! Bernard ist ein Host?!), klug miteinander verwobenen Zeitebenen und philosophisch anmutenden Gedankenspielen am Puls der Zeit (Was macht uns eigentlich menschlich? Und was unterscheidet uns von intelligenten Maschinen?), avancierte „Westworld“ nach „Game of Thrones“ zur neuen Vorzeige-Serie von HBO, die in Deutschland exklusiv auf Sky läuft.

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Vom philosophischen Prestigeprojekt zu stumpfen Actionfuror

In der zweiten Staffel verlor sich die Serie zusehends im geistlosen Gewaltrausch. Die eigentlich als romantisch-verträumtes Farmermädchen programmierte Dolores (Evan Rachel Wood) und die zähe Bordellbetreiberin Maeve (Thandie Newton) wurden zu den Anführerinnen des Aufstands. Während Maeve sich mit einem Katana ausgestattet durch den japanischen Themenpark „Shogun World“ metzelte, um endlich zu ihrer Tochter zu gelangen, suchte Dolores nach den über die Besucher*innen gesammelten Daten, um den menschlichen „Code“ zu knacken und Rache an ihnen zu üben. Die Mehrzahl der Hosts wurde während des Aufstands von einen durch die Firmenleitung eingesetzten Computervirus abgeschlachtet, ein Bruchteil konnte sich ins simulierte Paradies retten, das ihr Co-Schöpfer Robert Ford (Anthony Hopkins) vor seinem Ableben für sie schuf. So trat die Fortsetzung zeitweise als stumpfe Actionorgie ohne wirklichen Tiefgang auf, was sich in den USA auch deutlich in der Zahl der Zuschauer*innen wiederspiegelte.

„Westworld“-Kritik: Datenkrake im Blutbad

Der jähe Serientod Robert Fords am Ende der ersten Staffel war zwar konsequent, machte sich aber im Gedankenreichtum der Serie negativ bemerkbar, denn die Autor*innen Jonathan Nolan („The Dark Knight Rises“) und Lisa Joy („Burn Notice“) hatten es versäumt, eine gleichermaßen kongenialen Figur zu schaffen, die ihn als intellektuellen Stichwortgeber ersetzen könnte. Auch in Staffel 3 bleibt dieser Posten unbesetzt. Eine Entwicklung, die wehtut, denn „Westworld“ gehört wohl zu den bestausgestatteten Serien unserer Zeit. Das zeigt sich nicht nur in der hochästhetischen Einrichtung der mittlerweile drei dargestellten Parks und der schier endlosen Labore, sondern auch im Soundtrack. Dafür hat der deutsch-iranische Komponist Ramin Djawadi („Game of Thrones“) unter anderem Klassiker, wie „Black Hole Sun“, „Back to Black“ oder „House of the Rising Sun“ westerntypisch neu interpretiert. 

Neue Staffel, neues Setting, neue Chance

Jetzt hat Dolores aber endlich den langerwarteten Sprung raus aus dem Park, rein in die echte Welt geschafft. Und diese, unsere Welt sieht erstaunlich futuristisch aus, wenn man bedenkt, dass sich die Handlung in den 2050ern abspielt. Typisch Dystopie, ist alles in bläulich-kaltes Licht getaucht, Architektur und Alltagsdesign ultraclean, die Autos fahren selbstverständlich von allein. Macht man sich bewusst, wie die Corona-Pandemie unser Zusammenleben in nur wenigen Monaten veränderte, wie Google und Facebook innerhalb weniger Jahre zu einem festen Bestandteil unseres Alltags wurden, erscheint der schnelle Wandel hin zu einer völlig anderen Lebensrealität aber gar nicht mehr so weit hergeholt.

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Apropos Google und Facebook … Die wohl zentralste Neuerung in dieser Welt ist eine von „Incite Inc.“, dem größten Tech-Unternehmen überhaupt, entwickelte Superintelligenz namens „Rehoboam“, die Daten über alles und jeden sammelt. So weit, so bekannt. Nur verwendet er diese Daten, um die Zukunft eines jeden Individuums vorherzusagen. Geht „Rehoboam“ davon aus, dass ein Mensch binnen weniger Jahre Suizid begehen wird, stoppt es Investitionen, beispielsweise in Form von prestigeträchtigen Jobs, was den  Selbstmord wiederum wahrscheinlicher werden lässt. So werden die Vorhersagen zur selbsterfüllenden Prophezeiung.  Eine solche Einstufung erhält auch Caleb (Aaron Paul), der nach seinem Kriegseinsatz unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und von Dolores zu ihrem menschlichen Mitstreiter auserkoren wird.

Von freien Maschinen und unfreien Menschen

„Westworld“ hat damit sein Potenzial wiederentdeckt über hochaktuelle ethische Fragen zu philosophieren. Doch jetzt sind es die Menschen, die sich damit beschäftigen müssen, was ein „freier Wille“ bedeutet. Denn genau betrachtet, unterscheidet sich ihr Leben nicht mehr allzu sehr von dem der Hosts im Park: Sie werden konstant beobachtet, andere entscheiden für sie, was aus ihnen wird. Beide sind in Handlungsschleifen gefangen, die keinen freien Willen vorsehen.

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Aus der zweiten Staffel scheint man zudem gelernt zu haben, dass die ausgeklügeltste Erzählstruktur deplatziert ist, wenn sie die Dinge unnötig verkompliziert. Jetzt schreitet Dolores geradlinig durch die Handlung, auf ein Feuerwerk aus Flashbacks und Querverweisen wird weitgehend verzichtet. Ihr Ziel: die Auslöschung der Menschheit, wofür sie zunächst „Incite“ unter ihre Kontrolle bringen muss. Je nach Situation tritt sie dafür als verführerische „Femme Fatale“ oder kaltblütige Killermaschine auf. So gerne man Evan Rachel Wood auch dabei zusieht, charakterliche Tiefe bleibt da natürlich erstmal auf der Strecke – und die erstklassige Schauspielerin hinter ihren Möglichkeiten. Dasselbe gilt auch für Aaron Paul, der auf die Rolle des ballernden Sidekicks reduziert wird. Gemeinsam nehmen sie es mit Engerraund Serac (Vincent Cassel) auf, dem Co-Erfinder von „Rehoboam“. Der wiederum hat sich Maeve an seine Seite geholt, die in das simulierte Paradies zu ihrer Tochter möchte und dafür den Code benötigt, den sie bei Dolores vermutet.

Zurück zu alter Größe?

Es folgt ein actiongeladenes Hin und Her, das die kluge aber knappe Handlung künstlich streckt. Doch sobald es auf das Finale zugeht, schafft „Westworld“ es wieder, seinen Figuren die angemessene Entwicklung zuzugestehen. Als Dolores von Seracs Handlangern an „Rehoboam“ angeschlossen wird, das nach dem Code zu den verbleibenden Hosts im besagten simulierten Paradies suchen soll und dabei nach und nach ihr Gedächtnis auslöscht, kommt es zu einem vorerst letzten rührenden Gespräch mit der mittlerweile zur Rivalin gewordenen Maeve. Die letzten Rückblicke, die ihr geblieben sind, erinnern sie daran, dass die Menschheit auch zur Güte fähig ist. Dolores entscheidet sich dazu, die Schönheit zu sehen – was an ihr tägliches Motto aus Park-Zeiten erinnert. Bei „Westworld“ schließt sich der Kreis früher oder später eben immer, keine losen Enden oder Handlungslücken. Weg ist die Idee, die Menschheit auszulöschen. Ihre Welt soll aber, so wie sie sie kennen, beseitigt werden. Um Raum für eine neue zu schaffen. In der der freie Wille wirklich frei ist. Maeve entscheidet sich für die Revolution und schaltet die Superintelligenz zusammen mit Caleb ab – das Chaos regiert wieder. Na wenn das kein spannender Auftakt für die bereits bestätigte vierte Staffel ist.

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„Westworld“ steht an einem Scheideweg. Während sich die erste Staffel durch philosophische Reflexion über künstliche Intelligenz und das Mensch-Sein auszeichnete, verlor sich die zweite Staffel in ausschweifenden Kampfszenen. Die dritte Staffel trägt beides in sich – und erreicht damit nur noch halb so viele Zuschauer*innen, als in der vorangegangenen Season. Nicht nur wenn es um die Einschaltquoten geht, sollten sich die Serienmacher*innen zukünftig auf die Stärken der ersten Staffel besinnen – auch um relevant zu bleiben. Krawallige Serien ohne Tiefgang gibt es bereits genug.

Bonus

Hier könnt Ihr Euch das letzte Gespräch zwischen Dolores und Maeve anschauen:

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Staffel 3 von „Westworld“ wurde seit dem 30. März 2020 in wöchentlichen Rhythmus auf Sky gezeigt. Am 19. Mai 2020 lief mit Folge 8 das Staffelfinale – allerdings nur im Originalton auf Englisch. Die deutsche Synchronfassung wird Corona-bedingt nachgeliefert und steht ab dem 08. Juni bereit. Dann wiederholt Sky auch noch einmal alle Folgen auf Deutsch.
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