Weshalb wir uns in das Roskilde Festival 2017 verliebt haben
Die 47. Auflage des Non-Profit-Festivals im dänischen Roskilde brachte Regen und Matsch, aber auch Kunst, kulinarische und musikalische Highlights mit sich. Wir haben uns inzwischen wieder erholt und für Euch unsere liebsten Momente aufgeschrieben.
Rund 130.000 Menschen über acht Tage hinweg zu bespaßen und mehr als nur ein paar wenige Bands und Bierstände zu bieten, ist eine Mammutaufgabe, der sich die Veranstalter des in Dänemark angesiedelten Roskilde Festival Jahr für Jahr stellen. Sie selbst werben nicht mit der bloßen Festival-Erfahrung, sondern sprechen von einer Woche voller „freedom and togetherness“. Und dieser Zusammenhalt ist es, der sich auf dem riesigen Gelände in Roskilde, das während der Festivalzeit zur viertgrößten Stadt Dänemarks mutiert, bemerkbar macht. Auf den Leinwänden prangen nach Konzerten nicht etwa Werbung und Anweisungen, sondern so etwas wie ein Leitspruch: „Take care of each other“.
Gemeinsam können die Besucher beim Roskilde Festival nicht nur Musik auf der berühmten Orange Stage und den weiteren kleineren Bühnen entdecken, sondern auch eine Fülle an Kunst, Essen aus allen möglichen Ländern, können sich in der „Dream City“ ihre eigene Vision einer Stadt aufbauen oder werden zu Aktivitäten motiviert wie zum Beispiel eigene Seife herstellen. Das Festivalgelände ist trotz seiner Größe und der Vielzahl an Besuchern, die sich darauf tummeln, erstaunlich übersichtlich, die Bühnen gut erreichbar, an jeder Ecke kann man ein weiteres Details entdecken, das das Roskilde Festival zu einer besonderen Erfahrung machen soll.
Die Liebe zum Detail weitet sich auch auf das Line-up aus, denn das besteht aus einer bemerkenswert geschmackvollen Vielfalt. Neben Headlinern wie The xx und Arcade Fire kann es schon mal vorkommen, dass Oathbreaker sich mit ihrem Postcore mit Blackmetal-Einschlägen auf der einen Bühne verausgaben, während wenige Meter weiter Rapper Gucci Mane einen Haufen 18-Jähriger ziemlich glücklich macht und die überdachte Bühne fast zum Platzen bringt.
Wir haben uns an drei der acht Festivaltage für Euch zwischen den insgesamt neun Bühnen treiben lassen, sind durch den Schlamm gewattet, haben im Regen getanzt und sogar ein bisschen dänisch gelernt. Die folgenden Auftritte mögen vielleicht nicht die „besten Auftritte des Festivals“ gewesen sein, zählen aber zu unseren Highlights des Roskilde Festival 2017.
Lorde
Manchmal wundert man sich, wie es sein muss, einen Künstler so sehr zu verehren, dass man kreischend vor die Bühne rennt und sich in der ersten Reihe verkeilt. Ist das noch Liebe oder es ist schon Wahnsinn? Diese Frage konnten wir nicht klären, aber eines ist sicher: die Fans von Lorde sind verrückt nach ihr, können jeden Song fehlerfrei mitsingen und bejubeln jede Bewegung der 20-jährigen Neuseeländerin. Und davon macht sie ziemlich viele. Lorde ist bekannt für ihren Ausdruckstanz auf der Bühne, der sich aber wunderbar mit ihren energetischen Songs paart. Live erschließt sich einem der Hype um die junge Sängerin endlich, sie ist sympathisch, spricht nach fast jedem Song zum Publikum, erzählt kleine Anekdoten und bedankt sich artig. Nur ein wenig Unmut kommt auf, als sie wiederholt dem Publikum vom Kopenhagen dankt, sind wir doch rund 30 Kilometer westlich davon.Angel Olsen
Ein wenig schwieriger hat es Angel Olsen, die einen Slot am späten Nachmittag auf einer kleineren Bühne erwischt hat, während der Regen sich über dem Gelände ergießt und zu einem Matschsee verwandelt. Es ist ein Genuß ihrer bezaubernden Stimme zu lauschen, wie sie Songs vom aktuellen Album MY WOMAN zum Besten gibt. Doch der Großteil des Publikums möchte einem diesen Genuß nicht gönnen und quatscht fröhlich vor sich her. Das gefällt auch der 30-Jährigen nicht ganz so gut und irgendwann platzt es aus ihr heraus: „Please shut the fuck up“ ruft sie in die brabbelnde Menge und erntet dafür Jubel und Buh-Rufe. Schade nur, dass es so gut wie gar nicht hilft und ihre wirklich schöne Darbietung einfach im Regen verpufft.
Slowdive
Die Briten Slowdive befüllen etwa 24 Stunden später einen ähnlichen Slot beim Roskilde und schaffen es die Meute, die nach dem Schlamm-Desaster mit ein paar Sonnenstrahlen belohnt wird, in den Bann zu ziehen – und wie. Gefühlt 100 Lichter flirren auf der Bühne umher, begleiten den sphärischen Klang der Shoegaze-Band bis sie sich vollkommen in Rage spielen und der Sound wie eine gewaltige Welle immer wieder über das Publikum schwappt, das jubelt und applaudiert und gar nicht genug kriegen kann.
Solange
Die kleine Schwester von Beyoncé ist den Vergleich mit der übergroßen Queen B wahrscheinlich leid, aber – Achtung, gewagte These – sie ist auf dem Weg zu einer besseren Beyoncé. „Ich möchte nicht nur performen, ich möchte Kunst für euch machen“, sagt Solange während ihres Sets. Und in der Tat, es werden keine Outfits gewechselt und keine wilden Choreographien getanzt. Geschmackvoll und elegant lässt sie mit zwei Backgroundsängerinnen Tanzelemente in die Show einfließen – kleine, kurze, nicht aufgesetzt wirkende Choreographien begleiten die Songs. Die Bühne ist komplett weiß, alle Musiker tragen ausschließlich rot. Eine perfekte Inszenierung, die Solange als das in Szene setzt, was sie tatsächlich ist: eine hervorragende Sängerin.
The xx
Schüchtern und eher wortkarg sind die drei besten Freunde von The xx meist auf der Bühne anzutreffen. Sie lassen ihre Musik für sich sprechen. Doch das Roskilde Festival ist ein besonderer Moment, vor allem für Sängerin Romy Madley Croft. „Mit 16 Jahren war ich auf dem Roskilde. Ich hatte eine wirklich gute Zeit, abgesehen davon, dass ich verlassen wurde“, erzählt sie. Die Anteilnahme des Publikums schwenkt in Jubel um, als sie fortfährt: „Aber alles geschieht aus einem bestimmten Grund. Denn mit euch hier zu sein, macht mehr Spaß als mit ihr.“ Das sonst so zurückhaltende Trio zeigt sich an diesem Abend auf der Orange Stage strahlend glücklich, was ihren Auftritt immens beflügelt und das Publikum den hereinbrechenden Regen vergessen lässt.
Arcade Fire
Eine Show von Arcade Fire in nur 70 bis 80 Minuten quetschen zu wollen, ist eigentlich eine Untat. Doch die Band verliert keine Zeit. Sie betreten die Bühne, legen ohne Aufwärmphase los und hauen dem Publikum einen Querschnitt ihrer ganzen Karriere um die Ohren – ohne Verschnaufpause. Win Butler nimmt ein Bad zwischen den Fotografen, Will Butler springt trommelnd von der Bühne, Régine Chassagne hört gar nicht mehr auf zu tanzen. Vielleicht passt so ein energetischer Auftritt einfach besser in die Szenerie eines letzten Festivaltages, an dem den Besuchern eh schon alles egal ist – die Klamotten sind voller Matsch und das Bier fließt immer noch in Strömen. Einen Tag später spielen Aracde Fire in der Berliner Wuhlheide. Alles ist ein wenig entspannter, die Show nimmt langsamer Fahrt auf, das Publikum muss sich noch warmtanzen. Und während die Berliner besonderen Gefallen an THE SUBURBS gefunden haben, scheint das internationale Publikum Fan von FUNERAL und REFLEKTOR zu sein.