Wer hat Angst vorm Hit?
In New York wird wieder getanzt. Grund dafür: das Label Wolf + Lamb Music bringt das Schöne zurück in den Techno.
Dass in Amerika richtungsweisender House und Techno produziert wird, ist nun nichts Neues. Dass aber gerade ein New Yorker Label für den Hype-Sound der Saison sorgen kann, hätte wohl niemand erwartet. Aber doch, kaum ein Club-Abend, kaum ein Mix, kaum ein Gespräch über House und Techno kommt derzeit ohne Wolf + Lamb Music aus. Sie hätten das Schöne zurück in den Techno gebracht, heißt es dann manchmal und gemeint ist wohl, dass sich in vielen der auf dem Label erschienenen Tracks, in Live- und DJ-Sets der Künstler, Spuren von Songstrukturen wieder finden. Vocals gehen über das übliche „Move your body“ hinaus, Weltmusik-Geklöppel wird abgelöst von Instrumentensamples aus Klassik und Hip-Hop, Muttis Lieblingssong wird eingemischt und das alles, ohne dabei den tragenden Beat zu verraten.
Herkunft des Hypes ist ein Haus in der Marcy Avenue in Brooklyn. Das haben die beiden Freunde Zev Eisenberg und Gadi Mizrahi vor etwa sieben Jahren zum Club, Studio und Abhäng-ort umgebaut und damit New York wieder auf die internationale Party-Landkarte geholt. Einzigartig sei dieser Ort, sagen sie, raum- und zeitlos. Der richtige Platz also, um Techno und House von seinen Grenzen zu befreien.
Die Angst vor Pop-Hits ist ja ein weit verbreitetes Problem im zuletzt dominanten Minimal-Techno, der sich nach den verpönten Große-Rave-Zeiten geradezu protestantisch dem leichten Spaß versagend an ernsthaften Schemen abarbeitet. Die Musik aus dem Wolf + Lamb-Umfeld dagegen ist erfrischend offen, man hört ihr das Interesse an Soul, R’n’B und süßlichem Popsong an. Eisenbergs Edit von Molokos „Sing It Back“ (auf der Homepage gratis herunterzuladen) zeigt recht gut, in welche Richtung es bei den Amerikanern gehen darf. Sie verweigern sich scheinbar dem konsumentisch geforderten Endlos-Hammer-Takt, Mixe werden zu eigener Musik, Übergänge können überlegt brachial sein, beauty anstatt function. „Nuevo disco, hipster crossover, sex house“, so beschreiben sie selbst den Sound.
Auf dem Label veröffentlichen nicht nur Mizrahi und Eisenberg als Wolf + Lamb, sondern auch Deniz Kurtel, die aus der Türkei nach NYC kam, der 21-jährige Pariser Le Loup, der mittlerweile in Berlin lebende Amerikaner Seth Troxler, Nick de Bruyn und Greg Paulus. Die beiden letzteren, die als No Regular Play produzieren, verdienen sonst ihr Geld als Jazz-Musiker: Paulus hat mit Lauryn Hill gearbeitet, liest man, und begleitet als Trompeter die Band Beirut auf Tour.
Und auch der als Wunderkind bezeichnete Nicolas Jaar, der in New York City und Chile aufgewachsen ist und mit 17 seine Debüt-EP rausbrachte, steht für das Label, von dem es heißt, es ließe seine Musiker keine Verträge unterzeichnen. Vor kurzem spielte der 20-Jährige in der Berliner Panoramabar ein heiß erwartetes Live-Set; zur Afterhour konnte er nicht mehr gehen, er müsse zurück nach New York in die Uni, hieß es. Nicolas Jaars unverschämt langsamer „Billie Jean“-Remix, (gibt es ebenfalls auf der Label-Homepage) scheint fast triefend vor sommerlicher Hitze, und auch seine DJ-Sets klingen wie für einen endlosen Frühling gemacht. Alles wahnsinnig hitsicher. Wer hätte das gedacht.
www.wolflambmusic.com