Kolumne

Wer braucht bitte 2025 noch Plattencover? Die Pop-Kolumne von Linus Volkmann


Plattencover sind Kulturgut. Volkmann huldigt sogar die richtig hässlichen. Eine Kolumne, die sich nicht vor dem Giftschrank scheut.

Wer braucht heute noch Plattencover? Was eine Frage – na, wir alle! Album-Artwork ist Kunst, Plattencover sind Kult. Bei allem Pluralismus-Fetisch – aber wer das anders sieht, liegt falsch! Hier daher ein paar Gedanken zu einer bunten Kulturpraxis, die langsam droht, durchsichtig zu werden, ja, zusammen mit dem Album-Format zu verschwinden.

Der Abend bricht herein. Ich sitze am Fenster, der Schaukelstuhl wiegt mich sanft, mehrere Katzen drängen sich warm in meinem Schoß. Ja, meine Kleinen. Ich breche einen neuen Stein an und erhitze die Crackpfeife. Ah, endlich Feierabend! Endlich Zeit für liegen gebliebene Popkultur letztes Jahres.

Beim Betrachten von Jahresbestenlisten (verrotte in der Hölle, 2024) fällt mir auf, dass mir zwar viele der hochgevoteten Alben bekannt sind, ich aber teilweise staune über ihre dazugehörigen Cover. „Ach, so sieht das Artwork aus?!“ denke ich mehrfach, ja, verstehe plötzlich auch das ein oder andere Musiknerd-Meme, das sich offensichtlich auf manches Cover bezogen hatte. Blauer Rauch liegt schwer in der Luft und Pointen entblättern sich vor mir mit Halbjahres-Delay – soweit ist es also schon gekommen. Doch wen wundert’s? Schließlich kann man sich längst nicht jede – vermeintlich so wichtige – Platte auf Vinyl besorgen und dann zumindest mal anstarren, bevor sie mitunter unausgepackt mit der eigenen Sammlung assimiliert wird. Daher geht einiges an dem visuellen Beiwerk eines Albums verloren, oder zumindest in den körperlosen, briefmarkengroßen Abbilder bei den Streamingdiensten unter.

Noch so ein Verdienst von Spotify und Co.: Erst wurde die Entlohnung von Artists abgeschafft und dann auch noch die Artwork-Kunst bis zur Quasi-Entsorgung marginalisiert. Danke Zukunft, danke entgrenzte Tech-Konzerne, danke Super-Milliardäre. Möge Satan auf die Gebeine eurer Vorfahren pissen. Positiv gemeint!

Um auch visuell in Erinnerung zu bleiben, empfiehlt sich daher den unerschütterlichen Artists, besser sehr einfache Cover-Konzepte zu fahren. Solche, die man auch noch vom Weltall aus sehen kann. Zumindest scheinen kleinteilige Schlachtengemälde oder Wimmelbilder im Jahre 2025 verschenkte Liebesmühe. Das sieht man auch, wenn man auf ein sehr prominentes Cover des letzten Jahres zurückblickt, das überdauert hat: BRAT von Charli XCX.

Schlammgrün, Typographie, vier Buchstaben, fertig. Hier habe ich die Memes dazu sogar zeitnah kapiert. Schwöre!

Wohingegen es selbst bei Big Shots wie Taylor Swift schwer wird: Welches der dramatischen Cover-Portraits war jetzt noch mal von der letzten Platte? „KP“ – wie wir Absolvent:innen hochrangiger Journoschulen sagen. Das einzige Swift-Cover, was ich zuordnen kann, ist das Allererste von 2006 (!). Lieb, oder?

Coverkunst wegoptimieren

Doch nicht nur um die Sichtbarkeit von Cover-Artwork steht es nicht gerade gut, auch die Konkurrenz seitens KI kündigt hier einen Umbruch an: Drohen uns bald schreckliche, von Robotern aus unzähligem, letztlich geklautem Material zusammengesetzte Plattencover mit sieben Fingern an einer Hand? Definitiv. Der Wandel hat längst begonnen – und mit dem Kostenargument wird auch hier an einem weiteren kreativen Berufszweig gesägt. Also Graphiker:innen, Illustrator:innen. Wobei das gesparte Geld am Ende doch nur in weitere App-Abos überführt wird. Verlange leisten beflissen ihren Beitrag für die dystopische Welt der Musks, Apples und Bezos. In der und um die Buchbranche herum gibt es aber bereits Oppositionen zu dieser Entwicklung. Denn jene ist schon so weit fortgeschritten ist, dass selbst die „Stiftung Lesen“ ihre Werbekampagne zur Leseförderung bei Kindern von einer KI illustrieren lässt. Unter anderem die bekannte Illustratorin Amelie Persson hat die Initiative gegen die überall hereinbrechenden KI-Cover aufgegriffen.

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Schön hässlich

Wie kommt man vom Buchcover wieder zurück zum Tonträger? Natürlich über das Bindeglied Hörbuch. Dieser Tage erschien bei den Streamingdiensten die von Autor Heinz Strunk selbst eingelesene Hörversion seines jüngsten Romans „Zauberberg 2“. Das dazugehörige Cover hat mich nochmal besonders motiviert, eine Kolumne zum Thema Artwork aufzusetzen. Denn schaut es euch an, ich meine… „what the fuck“?

Ganz ehrlich? Ich war fast ein bisschen geflasht, weil ich ein Faible besitze für hässliche Cover (werde ich gleich noch beweisen). Aber trotzdem habe ich mich erschrocken, als ich sah, was der Verlag seinem silberhaarigen Alpha-Male hier angetan hat. Ein Foto, das keines ist, aber auch keine Illustration darstellt. Ein trauriges Zwitterwesen aus dem Ordner „Jetzt muss es aber schnell gehen, der Vertrieb wartet!“. Das Knarzige des Sanatoriums-Themas findet sich in dieser verstolperten KI-Art mit Windows-95-Bildschirmschoner-Charme wirklich gar nicht wieder.

Und wer glaubt, dass Finger den Pferdehuf von Computer-Artwork darstellen, der hat noch nicht genauer auf die „Vögel“ in diesem Bild geblickt.

Das finale Arschgeweih stellt aber natürlich die Schrift dar. Eine Schrift, die möglicherweise zeigen will, dass die zuständige Agentur (oder wer auch immer hier durchgeknallt ist) weiß, dass die Neunziger und frühen Nuller zurück sind – aber ist das wirklich ein Grund dafür, eine Typo zu verwenden, die für den Grabbeltisch-Release einer 2Unlimited-Remix-Maxi-CD 2002 vermutlich als „zu billig“ befunden worden wäre? Oder bezieht sich dieses Cover in seinen Farben von welkem Erbrochenen auf irgendetwas, das ich nicht kapiere? Eine mega smarte Super-Referenz? Oder ist KI-lieblos jetzt das neue Schön? Falls ja, möchte ich mich bei dem defekten Roboter selbstverständlich entschuldigen! Ansonsten kommt der Umschlag zu „Zauberberg 2“ mit Anlauf in meine Sammlung hässlicher Albumcover.

10 Plattencover aus der Hölle

Virtuell habe ich tatsächlich einiges gespeichert zu diesem Thema. Natürlich unterliegen Geschmacksurteile wie „hässlich“ am Ende des Tages keinen objektiven Kriterien – dennoch glaube ich, dass angesichts dieses kleinen Einblicks hier, mir der eine oder die andere zustimmen wird müssen: Ist echt ganz schön hässlich! Na, dann … viel Spaß.

CARS / Gary Numan
Für viele Rapper ein Must-Have – der geile Arschlochschlitten. Gary Numan hält es auf diesem Cover allerdings eher wie Monty Python in „Die Ritter der Kokosnuss“. In Ermangelung von kostspieligen Pferden ersetzten sie jene durch keine Pferde. Tut man halt einfach so, als würde man reiten. Oder eben – wie im Fall von Numan – Autofahren.

MISPLACED CHILDHOOD / Marillion
Das Cover betrachtet versonnen der Kunstpädagogik-Lehrer, wenn er den Eindruck hatte, mit seiner Doppelstunde die Phantasie der Schüler:innen mal wieder richtig gefördert zu haben. Darauf einen CBD-Joint.

KOMM MAL LECKER UNTEN BEI MICH BEI / Eisenpimmel
Ein Cover, das uns mahnt, Sexualität nur privat im Dunkeln zu vollziehen.

CREAM CORN FROM THE SOCKET OF DAVIS / Butthole Surfers
Ja, ihr habt natürlich recht: Streng genommen ist das ein Meisterwerk. Aber in dem Fall auch ziemlich creepy.

PINK BUBBLES GO APE / Helloween
Einfach nur nein!

LOVEDRIVE / Scorpions
Aber wer von Musik schmähenden Cover-Artworks spricht, muss natürlich immer auch sexistische Kackscheiße sagen. Auch hier quillt der Spuckeimer über. Bekannte Vertreter waren zum Beispiel die bis heute (mittlerweile einbalsamiert) weiterrockenden Scorpions. National Treasures oder einfach nur ungute Penisse von nebenan? Das kann ja Gerhard Schröder entscheiden. Hubba Bubba distanziert sich auf jeden Fall von diesem Werk.

SLICE OF YOUR LOVING / The Jancee Pornick Casino
Objektifizierung des Frauenkörpers Richtung Gebäck? Solche Cover entstehen bei hohem Mehlanteil im Kopf.

SCREAM DREAM / Ted Nugent
Gut, hier könnte man tatsächlich zugunsten der KI votieren: Bei so einer beknackten Graphikidee hätte Photoshop sogar noch ein bisschen was rausholen können – wenn es das 1980 bereits gegeben hätte. Aber was sollte man aus dieser Idee denn noch groß rausholen? Wäre, wie wenn man ein Auto zu waschen versucht, während es verschrottet wird.

KOLLEGAH / Kollegah
Das ist eines dieser Cover, das einen versöhnlich stimmt anlässlich eines möglichen Untergangs der Zivilisation in diesem Jahrzehnt. Man schaut vom Atompilz zu dem Machwerk hier und wieder zurück auf das heranbrausende Inferno – und denkt: Naja, vielleicht ist es wirklich besser so …

NIGHT ROCKER / David Hasselhoff
Sollte man dieses Cover den Behörden melden oder – hear me out – nicht doch einen alten Van kaufen und dieses Motiv auf die Flanke airbrushen?

Das waren zehn Cover-Exemplare der Sammlung „Schön hässlich“. Trefft mich, wie ich eines Tages damit bei einer Galerie vorspreche!
PS: Das irgendwo oben im Text verwendete „KP“ bedeutet übrigens Kein Plan. Grüße!

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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