Wenn Zauberpilz und Pop aufeinandertreffen
Die Verbindung von Musik & psychedelischen Substanzen fasziniert seit den 60ern Künstler & Wissenschaftler. Im therapeutischen Kontext wird ihre transformative Kraft nun wiederentdeckt. Unser Autor wagt den Selbstversuch und spricht mit Ärzten über die Grenzen der Forschung.

Dass die Wirkung einsetzt, merke ich zuerst an der Musik. Das Stück von Brian Eno, das aus den im Raum verteilten Lautsprechern plätschert, vermischt sich mit den Geräuschen der anderen Teilnehmer. Tiefes Atmen, Giggeln, sogar ein leises Wimmern verwandelt sich in den Rhythmus der eigentlich rhythmuslosen Ambient-Komposition. Im Dunkel meiner Schlafmaske verdichten sich die Klänge zu einem Kaleidoskop aus Mustern. Was Ton ist und was Farbe, kann ich bald nicht mehr auseinanderhalten: Die synästhetische Zauberkraft des Pilzes malt meine inneren Räume in faszinierenden Fresken aus. Wir befinden uns in einer zum Ferienhaus umgebauten Kapelle im niederländischen Zeeveld, nicht weit vom Meer. Als Teil eines psychedelischen Retreats habe ich 25 Gramm gemahlene Trüffel eingenommen, die den psychoaktiven Wirkstoff Psilocybin enthalten. In Holland sind Magic Mushrooms legal. Keiner muss Paranoia schieben, dass die Polizei gleich die Tür eintritt. Grundvoraussetzung für ein entspanntes „Set & Setting“ – so lautet auch der Name des Retreat-Anbieters. Auf seiner Webseite wirbt er mit der „Förderung tiefgreifender Einsichten“ und „Mystischen Erfahrungen“.
„Die Schönheit der Musik ist die Schönheit in dir“
Vier Tage verbringe ich hier mit sechs anderen Teilnehmern und erfahrenen Tripsittern, wir sprechen, malen und meditieren, um die Dinge, die während der Erfahrung hochgekommen sind, zu „integrieren“. Am Ende sollen wir einen Brief an uns selbst schreiben, der uns später daran erinnern soll, was wir erlebt und gelernt haben. In meinem steht: „Die Schönheit der Musik ist die Schönheit in dir.“ Noch Monate später erinnert mich die handverlesene Playlist unseres Trips daran, wie wahr sich das in diesem Moment anfühlte, und wie erhaben einige Stücke klangen, die ich eigentlich auswendig zu kennen geglaubt hatte.
Doch warum geht Musik und Zauberpilz so gut zusammen? Chemisch gesehen wandelt sich Psilocybin im Körper zu Psilocin, das im Gehirn Andockstellen simuliert, die auf den Botenstoff Serotonin reagieren, das sogenannte „Glückshormon“. Unser serotonerges System reagiert wiederum empfindlich auf Töne, weshalb Musik in vielen Psychotherapiepraktiken eine wichtige Rolle spielt. „Musik hilft den Menschen, sich vertieft auf die psychedelische Erfahrung einzulassen“, erklärt Professor Uwe Herwig, ärztlicher Direktor am Zentrum für Psychiatrie Reichenau und Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Psychedelische Forschung und Therapie e.V. „Die Frage ist nur: Wie können wir sie aktiv nutzen, um zum Beispiel therapeutische Vorgänge zu fördern?“ Die 2021 von Herwig mitgegründete Fachgesellschaft aus Ärzt:innen und Psycholog:innen versucht, solchen Fragen im psychotherapeutischen Rahmen nachzugehen. Welche Rolle Klänge genau spielen, ist erstaunlich wenig erforscht. Vergleichende Studien, die die Effekte für nachhaltige Anwendungen dokumentieren, gibt es wenige. Dabei gehen Musik und Psychedelika spätestens seit den 60er-Jahren Hand in Hand. Die galaktischen Soundlandschaften von Bands wie Pink Floyd oder Hawkwind versprachen dem Hörer, ihn in ein Universum jenseits des Alltagsverstandes zu katapultieren – umso higher, desto weiter.
„Musik kann in der psychedelischen Reise als eine Art Geländer Sicherheit und Struktur geben“
Wohl auch wegen der Bilder mähneschüttelnder Hippies waren LSD und Psilocybin schnell als Teufelsdrogen verschrien, auf denen man mit Sicherheit in die Psychose schlittert. „Zu Unrecht, nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand“, sagt Herwig. Schon ab Ende der 60er wurde die klinische Forschung mit den Substanzen verboten. Gut 40 Jahre später können die Ärzte und Therapeuten nun wieder an die Erkenntnisse mit Psychedelika anschließen, die vor allem bei Krankheiten wie Depressionen vielversprechend sind. Musik bleibt dabei ein integraler Bestandteil. So pflegt das US-amerikanische Johns Hopkins Center for Psychedelic and Consciousness Research, eine der wichtigsten Forschungsinstitutionen auf dem Gebiet, seit 1967 eine Playlist mit dem wenig wissenschaftlichen Titel „Sacred Knowledge“, die mit Stücken von Vivaldi, Louis Armstrong oder den Beatles die Bewusstseinserweiterung bereichern soll. „Musik kann in der psychedelischen Reise als eine Art Geländer Sicherheit und Struktur geben, aber beispielsweise auch als überflutend empfunden werden“, sagt Helena Aicher. Die Psychologin und Psychotherapeutin führt an der Universitätsklinik Zürich und in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis Gruppen-Therapien mit MDMA, Psilocybin und LSD durch. Musikalisch schlägt sie dabei einen weiten Bogen, der von meditativen Klängen, über den Einsatz von Klangschalen bis hin zu Stücken von Portishead führen kann. „Die Stille ist meine Baseline, auf die ich bewusst einzelne Musikstücke lege. Ganz ohne Musik kann so eine Erfahrung gerade für Ungeübte schnell uferlos wirken und Orientierungslosigkeit erzeugen“, erklärt Aicher. „Einerseits gibt es neurophysiologische Erkenntnisse, was bestimmte Harmonien und Rhythmen mit dem Gehirn machen. Letztlich reden wir bei einer psychedelischen Erfahrung wie auch dem Erleben von Musik von Sachen, für die es nur ungenügende Worte gibt.“ Herwig pflichtet bei: „Manches ist noch immer Trial and Error. In der Tat sagen wir auch den Patienten immer vorher, dass wenig plan- und steuerbar ist.“
Wer die Playlist zusammenstellt, trägt also große Verantwortung. Ein zu intensiver Song kann den Reisenden in eine fiebrige Hölle schicken – ein Kandidat hierfür wäre etwa das nervenzersägende Stück „Ego, The Living Planet“ der Stoner-Rocker Monster Magnet. Aber auch gut Gemeintes oder vermeintlich Neutrales gipfelt mitunter in Seelenqualen, wie der Journalist Michael Pollan in seinem Standardwerk „Verändere dein Bewusstsein: Was uns die neue Psychedelika-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt“, berichtet. Als ihm sein Tripsitter ein meditatives Stück des New-Age-Komponisten Thierry David vorspielt, fühlt er sich plötzlich, als habe man ihn in ein dystopisches Computerspiel gesperrt. „Der Klang (…) beschwor eine entvölkerte futuristische Stadt herauf, in der jeder Ton einen weiteren weichen Stalagmit oder Stalaktit formte, die zusammen der Hochrelief-Schallisolierung in Aufnahmestudios ähnelten.“ Pollan schreibt, er habe sich gefühlt, als säße er, jeglichem Zeitgefühl enthoben, für immer in einer aus toten Klängen geformten Welt fest: „Keine Pflanzen, keine Menschen, kein Sonnenlicht.“
Über „unbefleckte“ Musik
Der „DJ“ und Guide unserer Reise in Holland fordert von jedem psychedelischen Musik-Kurator deshalb eine große Portion Demut. „Man muss akzeptieren, dass Musik immer etwas Individuelles ist“, sagt Patrick Liebl, der schon seit Jahren für Retreat-Anbieter wie „Set & Setting“ oder „Evolute“ im Einsatz ist. Der 39-Jährige empfiehlt Musik, die möglichst „unbefleckt“ ist, also nicht im Radio rauf-und runterläuft und schnell Assoziationen oder bestimmte Kindheitserinnerungen weckt. Auch der kulturelle Kontext sollte stimmen. Aus dem traditionellen Zusammenhang gerissenes Tribal-Getrommel empfindet er als aufgesetzt. „Im Idealfall kennt der Teilnehmer die Stücke nicht, zumindest am Anfang der Erfahrung.“ Nur gegen Ende, wenn der Trip nach fünf, sechs Stunden abflaut, kann ein bekanntes Lied den letzten Stoß zurück in die Realität geben. Im Johns Hopkins Center sprechen sie von „welcome back to earth music“ und empfehlen beispielsweise „Here Comes The Sun“ aus der Feder von George Harrison. In unserer Runde kommt Madonnas „Frozen“ zum Einsatz: „How can life be what you want it to be, when your heart’s not open?“ fragt die Queen of Pop suggestiv im Refrain. Es ist ein „bewusster Bruch“, erklärt Liebl. Der Popsong ist wie der Abspann nach einem langen, intensiven Film, in dessen Mittelpunkt man selbst gestanden hat.
Trotz solch bewährter Formeln stellt Musik im Zusammenhang mit psychedelischen Substanzen unseren Begriff von ganzheitlicher Medizin noch immer vor Rätsel. Mittlerweile gibt es auch zahlreiche Tech-Startups, die diese entschlüsseln wollen. Firmen wie Mindcure oder Lucid versprechen personalisierte, in Echtzeit erstellte Trip-Musik. Dafür tracken sie mit Stirn- und Armbändern die Körperfunktionen und generieren anhand von Biodaten Musik, die mal beruhigt und mal aktiviert. Die KI-gestützten Soundtrack-Tools richten sich auch an Therapeuten, die im Zusammenhang mit Musik keine Risiken eingehen wollen. „Ich denke, in Zukunft wird es viele Therapeut:innen geben, die sich nicht über Jahre mit Musik auseinandersetzen und eigene Erfahrungen sammeln“, glaubt Aicher. „Tools und Apps oder vorgefertigte Playlists werden dann vielleicht die Normalität sein. Meinem Herz tut das ein bisschen weh.“