Weather Report


„Heavy Weather“, „Schwere Wetter“ – so ein Plattentitel — signalisierte die Vorhersage für den Herbst, von Nordamerika über den Ozean herüberziehend. Sieben Wochen lang, vom 27. August bis 16. Oktober, fegte der Orkan über Europa, von Kopenhagen über Helsinki, Westdeutschland, die Schweiz und Österreich, Italien, Frankreich und Schottland. Erwartet wurde Weather Report mit umsatzträchtigen Lobeshymnen in Zeitungen und Rundfunkprogrammen. Aber niemand übertrieb: Die Jazz-Rock-Szene wurde aufgewirbelt von den Turbulenzen einer aufs neue angetörnten Wettermaschine.

Die Dramaturgie der Konzerte lief nach einer raffinierten Regieanweisung ab. Zur Einstimmung aus der Konserve der „Bolero“ von Maurice Ravel – absolut ungewöhnlich für ein Rock- oder Jazzkonzert, dafür umso durchschlagender. Da wurden zwei Motive 18mal repetiert bis zum totalen Zusammenfall aller Orchesterstimmen. Nach dem furiosen Finale Schweigen und Finsternis. Aus dem Nichts erstanden erste Synthesizeratmungen. Licht: Jaco Pastorius war auch da. Und jetzt stieg der Rest des Quintetts mit voller Schubkraft ein.

Sofort wurde deutlich, welche Rolle Baßmann Pastorius in dieser Band spielt. Denn wie das bewegliche Zentrum eines Planetengetriebes trippelte er über die Bühne vom einen zum anderen. Musikalisch erfüllt er diese Funktion allemal. Seit seinem Einstieg bei Weather Report vor eineinhalb Jahren hat sich das musikalische Spektrum der Band unverkennbar ausgebreitet. Weather Report hat herausgefunden aus Funky-Strömungen, zurück zu ergiebigeren Jazzanteilen, die natürlich das Repertoire bereichern.

Der erst 26jährige Pastorius ist eine der wichtigsten Neuentdeckungen im Jazz der letzten Jahre. Neu an seinem Baßspiel ist vor allem die Übernahme der sonst an Gitarren praktizierten Oktaventechnik. Diese Spezialität beispielsweise eines Wes Montgomery schien für Bassisten bislang unerreichbar — bis Pastorus kam. Damit stimmt für sein Instrument die Bezeichnung „Baßgitarre“, sonst fälschlicherweise gebraucht, genau. Zu seinen Ausdrucksmitteln gehört ferner der „growl -Effekt alter Bluesinterpreten. Er selber erklärt: „Ich spiele Baß, als ob ich mit der menschlichen Stimme spielte.“ Wie er das hinkriegt, weiß er selber nicht; möglicherweise kommt das von den ihn beeinflussenden Musikern: nicht Bassisten, sondern Sänger wie Wilson Picket, Frank Sinatra und Otis Redding. Seine Herkunft, Fort Lauderdale in Florida, mit Kuba in der Nachbarschaft, bedingt seine musikalische Nähe zum auch rhythmisch heißen karibischen Raum; sein erstes Instrument waren gleich Bongos — kein Wunder, daß er ein so swingendes Zeitgefühl hat. Dann zeichnet ihn eine unglaubliche Geschwindigkeit aus. Wie er zum Beispiel auf seiner ersten eigenen Platte (Epic PE 33949) „Donna Lee“ abspult, das ist schon atemberaubend.

Gelöst scheint damit nun auch das Problem der Rhythmusgruppe. In der Beziehung hat es bei Weather Report immer wieder mal gehapert. Beständigkeit war da kaum auszumachen; ganz im Gegenteil zur Melody-Section mit Joe Zawinul und Wayne Shorter, die selbstverständlich weiterhin die tragenden Säulen des Sound-Gebäudes sind. Gewöhnlich paaren sich in einer Band ja Schlagzeug und Baß — wie und ob sie synchron aufeinander getrimmt sind, das mag schon ein Maßstab sein. Darüber ist Pastorius hinaus. Ohne die Kopplung mit Drummer Acuna schleifen zu lassen, drängt es ihn – ganz ausgeprägt in Unisonodurchgängen mit Zawinul – stark zu den Keyboards. Dadurch gewinnt die harmonische Komponente eine wertvollere Qualität und eine wechselnde Bedeutung, wie sie auch im historischen Jazz selten war. Das drückt sich dann bei Weather Report in solchen Stücken aus wie „A Remark You Made“ – eine von Wayne Shorter am Tenorsaxophon den mehr jazzorientierten Hörern ans Herz gelegte Ballade. Was sich dabei von Shorter wie Kurzatmigkeit ausnahm, war jedoch ein spannungssteigerndes Stilmittel.

Ein rhythmischer Jahrmarkt gleich darauf offenbarte, was an südamerikanischem Highlife in der Gruppe steckt – dank Alijandro Neciosup Acuna aus Peru, dank Manolo Badrena aus Puerto Rico, der als Perkussionist mit seiner Vitalität und seinem Hmor völlig allein ein ganzes Konzert bestreiten könnte.

Einzelne Soli sollten hauptsächlich den Kollegen Verschnaufpausen gönnen, erlaubten aber auch willkommene Abwechslung. Da schwelgte Zawinul mal in Phantasien a la Neuschwanstein — warum sollte er seine europäische Herkunft auch völlig verleugnen. Und Pastorius legte die Rasanz von Bebop-Phrasen vor, hielt sich an strenge Barock-Chromatik oder ließ den Baß stark marschieren. In einer Passage legte er es darauf an, die Obertöne zusammenwirken zu lassen, wie er sie aus komplexen Akkorden hervorlockte.

Abgewandelt wird bei Weather Report das Improvisationsverfahren. Zawinul versteht darunter, daß ihm zuhause am Klavier etwas einfällt, was er später überarbeitet (der Hit „Badia“ beispielsweise kam ihm schon vor 20 Jahren in den Kopf), weit entfernt also von „instant improvising“, der eher klassischen Kompositionstechnik. Daher mag es rühren, daß Weather Report in Konzerten den eigenen Platten gegenüber weitgehend werktreu ist. Nun wird das bei einer Supergruppe, positiv wie negativ, organisatorisch kaum anders zu bewältigen sein. Aber wie und wann die Einzelbestandteile eingesetzt werden, das wird doch noch ziemlich spontan entschieden. Und da hat jeder ein bißchen mitzureden. Das Grundkonzept von Weather Report ist nämlich die Gleichwertigkeit aller individuellen Stimmen in der Gruppe. Dabei besteht noch nicht die Gefahr der Nivellierung, sondern sie sind im Gesamtsound durchaus prägnant.

Befremdlich nimmt sich bloß aus, wenn „Such Sweet Thunder“ von verblendenden Blitzzuckungen untermalt wird. Denn mit dieser bunten Beleuchtung wird die musikalische wie die soziologische Ordnung der Bandmitglieder untereinander aufgehoben, wenn nicht zerstört. Wenn beispielsweise Zawinul violett, Shorter gelb und Pastorius grün leuchten, dann durchbricht dieses dämlich-kitschige spotlightning optisch den akustischen Zusammenhalt.

Harte Amerikanismen gibt es also reichlich bei Weather Report. Indessen trifft man nicht nur auf Zutaten von der rauhen Ostküste, sondern auch auf die der Gentleness von der West Coast, in einer phantastischen, aufregenden Überbrückung. Das macht die Universalität der Musik von Weather Report aus — jenseits von Rock und Jazz, E-Musik und Elektronik, Fusion und derlei Etiketten. Es ist ein totaler Sound, von dem Zawinul selber sagt: „Entweder magst Du ihn oder nicht. Ein Mittelding gibt es nicht.“