„We want people to get spaced out to our music“
Es stimmt also doch: Air sind Vorreiter der New Age of New Age. Sie sind Eskapisten und kennen doch ihre Grenzen genau. Ihre Hörer hingegen reisen nahezu grenzenlos.
Ausgerechnet das Hyatt. Für Air musste es das Hyatt sein. Noch beim Betreten der Berliner Filiale spielt das keine Rolle. Aber dann sitzt Jean-Benoit Dunckel in diesem großen Raum, in dem nur ein kleiner Tisch und ein paar Sessel stehen. Das in Braun gehaltene Interieur soll Chic ausstrahlen und wirkt doch nur steril. Mittendrin Dunckel, der sich in diesem Ambiente so verloren verkommen muss wie Bill Murray in „Lost In Translation“. Auch eT saß in einem Hyatt-Hotel. In Tokio.
Dunckel und Partner Nicolas Godin sind in Berlin, um über das neue Air-Album POCKET SYMPHONY zu spTechen. Und das geht nicht, ohne irgendwann auf das Thema Japan zu stoßen. Schon deshalb nicht, weil der Air-Song „Alone In Kyoto“ (eben vom Soundtrack zu „Lost In Translation“ und 2004 auch auf talkie WALKlE zu hören) bei der Initiierung der neuen Bandetappe eine wichtige Rolle gespielt hat: „Wir kommen ja immer eher zufällig zu dem, was wir auf einer Platte veröffentlichen. Dieses Mal wussten wir immerhin, was wir auf Iceinen Fall wollen. Zum Beispiel aggressive Musik machen. Und uns wiederholen. Ein wichtiger Ansatzpunkt war dieser Song. Wir wollten weiter in diese Richtung gehen und mehr von diesen entrückten Momenten der Leichtigkeit anbieten, denen es trotzdem nicht an Tiefe mangelt.“
Also tauchten Air tiefer in die fernöstliche Materie ein. Godin tat es, indem er das Spiel von japanischen Zithern und anderen Zupfinstrumenten erlernte. Dass er diese inzwischen gut als Klangfarbe einsetzen kann, ist auf dem neuen Album zu hören. Dunckel war auch nicht untätig. Er verbessert sein Klavierspiel mit Hilfe einer chinesischen Lehrerin. Alles dient letztlich dem einen Ziel – Dunckel formuliert es so: „We want people to get spaced out to our music.“ Ohne Drogen, betont er. Es geht um Eskapismus, um geistige Schwebezustände, nicht um den banalen Rausch. Wer wollte, konnte das aber vor neun Jahren auch schon aus dem Titel ihres Debüts herauslesen: moon safari.
Heute ISt ihr Ort der Inspiration leichter zu erreichen. Nach Tokio fliegt man in elf Stunden. Ohne Astronautentraining. Trotzdem ein langer Flug, den Air in ihrer Musik so darstellen, als schwebten sie auf einem Kissen elektronischer Klänge einer Welt des Wohlfuhlens entgegen. „Körper und Seele der Menschen müssen sich auch einmal vom Alltag verabschieden können“, sagt Dunckel. ,Jds Künstler sind wir dazu da, diese Flucht zu erleichtern. DieLeute müssen sich im Überschwang der Akkorde berauschen können und high werden.“
Dem Sujet angemessen heißt der erste Song auf dem neuen Album „Space Maker“. Es ist ein sphärisches Instrumental, ein Ambient-Track mit dem gewissen Gefühl für Melodik. Gesungen wird aber auch auf POCKET symphon y. Godin und Dunckel tun das. Aber es gibt auch wieder Gastsänger: Jarvis Cocker, Wahlpariser, und Neil Hannon, mit The Divine Comedy in Frankreich erfolgreicher als andernorts, haben Air bei den Aufnahmen zum Album 5:55 von Charlotte Gainsbourg kennen und schätzen gelernt.
Charlotte fand großen Gefallen an der Sache und machte sogar Verbesserungsvorschläge. „Erst traute sie sich nichtrecht mit der Wahrheit heraus, aber dann sagte sie uns, dass wir nicht unbedingt die besten Texter auf diesem Planeten seien. Wir sahen das ein. Charlotte spricht nun einmal perfekt Englisch, sie merkt das. Da kam Nigel Godrich auf die Idee, Jarvis und Neil zufragen. Deren Texte haben sofortfunktioniert und Charlottes Album den letzten Kick gegeben.“
Die Herren hielten Kontakt, und nun sind die Stimmen des Nordengländers und des Iren auch auf dem Air-Album verewigt. Jarvis singt im Studio genauso wie auf der Bühne. Er nimmt die Haltung eines großen Sängers ein. Das ist sehr beeindruckend. Neil ist auf der ständigen Suche nach dem perfekten Popsong. Er hat eine goldene Stimme und war sehr in den Song verliebt, den wir geschrieben haben“, berichtet Jean-Benoit Dunckel. „Angenehme Leute.“
Ihre Nebenprojekte nehmen Air sehr ernst, auch wenn sich die Öffentlichkeitsarbeit dafür in Grenzen hält. Der Soundtrack zu „The Virgin Suicides“, die vertonten Westerngeschichten des Schriftstellers Alessandro Baricco (city reading) und Dunckels im September 2006 unter dem Namen Darkel veröffentlichtes Soloalbum – die Arbeitsweise unter Low-Budget-Bedingungen erlaubt ihnen, mehr der Kunst als dem kommerziellen Produkt zu frönen: „Wirbrauchen die Nebenprojekte, um die Qualität unserer Musikzu verbessern. Air ist das kreative Zentrum, aber es funktioniert nur, wenn wir es ständig mit neuen Ideen füttern. Dieseentstehen durch das Zusammentreffen mit anderen Künstlern unddurch die Auseinandersetzung mit ihrer Philosophie. Darkel war in dieser Hinsicht eine Ausnahme, diese Platte war von dem Gedanken geleitet, dass ich mich mal selbst treffen wollte, (lacht) Das Album mit Charlotte aber hat uns wirklich viel gegeben. Wir haben den Umgang mit spartanischen Piano- und Gitarrenarrangements gelernt. Dadurch kamen wir auf eine akustische Lesart des Air-Sounds.“
pocket symphony spinnt diesen Faden weiter, doch im Kern bleiben Air elektronisch. Alle Soundgrundierungen werden mit Hilfe von Computern, Synthesizern und Sequencern komponiert. Auf der Bühne haben Air auch schon mit rockgeschulten Musikern wie Schlagzeuger Brian Reitzell und Keyboarder Roger Manning jr. gearbeitet. Vor Gründung der Band haben sich Duncfcel und Godin jahrelang selbst als Rocker versucht. „Auf dem Darkel-Album habe ich mit Rockelementen gespielt. In größerem Stil geht das aber nicht. Es gibt da ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wir sind Franzosen. Glaubst du, irgendjemand auf der Welt nimmt es uns ab, wenn wir Rockmusik machen? Französischer Rockergibt keinen Sinn… Deutscher übrigens auch nicht. Die Engländerund Amerikaner beherrschen Um so gut, da bleibt kein Platzfür Varianten. Ich werde mich doch nicht ernsthaft hinstellen und so tun, als käme ich auch nur im Ansatz an die Überzeugungskraft von Leuten wie Led Zeppelin oder AC/DC heran. >» www.intairnet.org