„Was hattest du an?“: Diese Ausstellung heißt wie eine Frage aus der untersten Andrew-Tate-Schublade
Nicht die Kleidung ist das Problem, sondern die sexualisierte Gewalt. Die aktuelle Stil-Kolumne von Jan Kedves.
Diesmal wird’s hier ernst, lieber Leser, liebe Leserin, es gilt nämlich leider zum xten Mal daran zu erinnern, dass ein Outfit nie eine Handlungsaufforderung ist. Nur weil eine Person sich auf eine bestimmte Art und Weise kleidet, heißt das noch lange nicht, dass sie damit in irgendwelche Handlungen einwilligt, schon gar keine sexuellen. Das unterstreicht die vielschichtige und hochgelobte Ausstellung „Was hattest du an?“, die nach Stopps in Kiel und Hamburg nun vom 12. bis 28. April im Kunsthaus sans titre in Potsdam zu sehen ist.
Ihre Organisator:innen Emely und René Unger bezeichnen sie als „Ausstellung zu sexualisierter Gewalt und falscher Opferschuld“ (www.washattestduan.de). Aufgehängt ist sie an Kleiderbügeln, darauf: Outfits, die dem nachempfunden sind, was anonyme Opfer von sexualisierter Gewalt zum Zeitpunkt der Tat trugen. Sowohl die Kleider wie auch die Berichte der Betroffenen darüber, was ihnen widerfahren ist, zeigen, wie irregeleitet und verletzend es ist, Menschen mit sexualisierten Gewalterfahrungen zu fragen: „Was hattest du an?“ Es impliziert, dass zwischen Textil und Tat eine Kausalität bestehe. Das ist victim blaming, eine Täter-Opfer-Umkehr.
Miesester, archaischer Male-Supremacy-Schrott aus der untersten Andrew-Tate-Schublade
Die Frage mag aus der Denke stammen, dass Männer sich nehmen (dürfen), was sie wollen, und dass ihr Sextrieb so unkontrollierbar ist, dass man – vor allem: frau – sich gut überlegen muss, welche „Signale“ das eigene Outfit sendet. Aber come on, das ist miesester, archaischer Male-Supremacy-Schrott aus der untersten Andrew-Tate-Schublade.
Die Ausstellung möchte das Sprechen über sexualisierte Gewalterfahrungen enttabuisieren – und zeigt kaum Outfits, die klassischerweise als „sexy“ bezeichnet würden. Da ist ein Bikini, aber auch eine Kombination aus Karottenjeans, gelbem T-Shirt und weitem Herrensakko. Das Problem sind eben nicht die Kleider, sondern die Täter. Und ja, auch in einem Popmagazin wie diesem kann man darüber mal nachdenken. Gerade im Pop werden ja über Kleidung – häufig über knappe, sexuell anspielungsreiche Outfits – Fragen des (Selbst-)Empowerments verhandelt.
Das impliziert gerade nicht sexuelle Verfügbarkeit für alle, im Gegenteil: Auf Bühnen und in Musikvideos sind Outfits Tools der Selbstbejahung, und damit Tools der Selbstbestimmung. Das kann für das Publikum vorbildhaft werden, gerade weil Selbstbestimmung das Gegenteil von Fremdbestimmung ist – also davon, zu irgendetwas genötigt zu werden. Für alle, die Sex wollen, gilt eben weiterhin: Erst fragen. Und Nein heißt Nein.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 05/2023.