Warum ganz Hollywood gerade das Imitation Game spielt
Julia Friese erklärt in ihrer Kolumne, warum Imitation immer noch die höchste Form der Anerkennung ist.
Drei Beobachtungen:
1. imitation verwirrt
Das Jahr endete in Imitationen. So fasst das eigentlich irische, mittlerweile aber vielmehr amerikanisch konnotierte Halloween zunehmend Fuß in Deutschland, beziehungsweise in Berlin, wo man Kinder bei der noch sehr offenen, deutschen Aneignung des Festes erleben konnte: Ein Halloween-Marsch, der eine Mischung aus Laternenumzug, also mit Laternen und Laternenliedern, und Karneval darstellte, also Verkleidungen und einen Spielmannszug beinhaltete, dann aber dennoch – wie Silvester – in Feuerwerk mündete. In Amerika ist es mittlerweile gang und gäbe, dass sich Stars an Halloween als andere Stars verkleiden.
So ging Halle Bailey endlich als Halle Berry, Adele verkleidete sich als Meryl Streep in „Der Tod steht ihr gut“ (1992), und Kylie Jenner posierte als Demi Moore in „Striptease“ (1996). Wohingegen Moore zeitgleich im Kino („The Substance“, 2024) dabei zuzusehen war, wie sie – deutlich jünger gespritzt – mittels fiktiver Spritze ein noch jüngeres Ich aus dem eigenen Körper schälte, das ihr Leben als Fernseh-Aerobic-Animateurin dann zwar imitierte, es aber doch zeitgeistig abänderte. Und Timothée Chalamet? Der, der in diesem Jahr sein Geld damit verdiente, erst Bob Dylan zu imitieren („A Complete Unknown“, Filmstart 2025) und nun gerade den Tischtennis-Star Marty Reisman imitiert? Der besuchte seinen eigenen Look-a-like-Contest in New York.
2. imitation kreiert
Unterdessen veröffentlicht Halsey mit THE GREAT IMPERSONATOR ein Konzeptalbum, das der interessanten Fragestellung nachgeht: Inwiefern ist man immer nur Abbild der Zeit, in der man lebt? 2014 wurde Ashley Frangipane zu Halsey. Aber wie hätte ihre Musik geklungen, wenn sie in einer anderen Ära mit dem Pop begonnen hätte? Die Songs des Albums sind ihre jeweiligen, hypothetischen Antworten. In den frühen 2000ern angelegt ist ihr Song „Lucky“, der sich dem Refrain von Britney Spears’ „Lucky“ (2000) annimmt, im Video in mehreren Szenen auch auf Britneys Leben anspielt, aber dennoch sieht Halsey in diesem Video vielmehr der frühen Pink ähnlich. Halseys Variante eines Cranberries-Neunziger-Hits „Ego“ hingegen klingt exakt wie Avril Lavigne auf LET IT GO (2002). Während Halseys Version einer späten Siebziger Stevie Nicks mit „Panic Attack“ vielmehr nach Taylor Swifts RED-Ära (2012) klingt.
3. barbara was da los
Wie weit sich von Kopie zu Kopie alles von seinem Ursprung entfernt, hört man, wenn man Shirin Davids neueste Single „It Girl“ („Ich bin eine zwölf von zeeehn, ich bin brutal gutausseheeeend“), die ja als Rap verkauft wird, aber im Grunde ein Readymade für TikTok-Memes ist, mit dem etwa zur gleichen Zeit veröffentlichten Shirin-David-Disstrack „Barbara was da los“ vergleicht. Die Leipziger Battlerapperin Vita kommt eben nicht nur mit dem nötigen, griffigen Rap-Flow daher, sondern auch mit tief sitzenden Takes: „Dann zahlst du Geld, damit Hiphop.de dich posted / Girl zahl noch mehr, damit auch der Diss hier von den’n geghosted wird.“ Vita landet auf der ernüchternden, aber eben nicht ganz von der Hand zu verweisenden Line: „Alles, was dich ausmacht, kann man sich kaufen“.
Einzig nicht zutreffend ist Vitas Kritik, Shirin David kopiere noch immer Nicki Minaj. Bis auf manch eine Betonungs-Reminiszenz sowie den leicht überstrapazierten „Brr“-Onomatopoetika hat diese Imitation wirklich keine Ähnlichkeit mehr mit ihrem Original. Vita fragt: „Trotzdem bist du nicht sie, also wer bist du, Shirin?“ Halsey fragt: „Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, nicht Ich zu sein. Wer bin ich?“ Vielleicht sind alle mit leicht abgewandelte Lines eines sehr guten, alten Tocotronic-Songs zu trösten: Es gibt kein wahres Ich. Verspürt und bereut nichts! Spuckt den Leugner:innen ins Gesicht.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 1/2025.