Völlig verrockt: Schrobenhausen


22 Bands, eine Gruppe auf 730 Einwohner: Schrobenhausen ist - rein rechnerisch - Deutschlands Rock'n'Roll-Hauptstadt.

Wie? Eine Kleinstadt irgendwo in Oberbayern, die einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde verdient hätte? Achselzucken der örtlichen Bäckersfrau, Kopfschütteln des Gemüsehändlers nebenan. Schrobenhausen: 16.000 Einwohner, Europäisches Spargelmuseum und Lenbach-Geburtshaus, Puppenstubenflair und Biergartengemütlichkeit, 41 Kilometer bis Augsburg, 38 bis Ingolstadt, 85 bis München. Rock’n’Roll ist anders. Eigentlich. Aber Vorsicht: im Bermuda-Dreieck gedeiht ein üppiges Biotop. 22 – in Worten: zweiundzwanzig – Bands schrecken die verschlafene Idylle immer wieder mit rechtschaffenem Lärm auf. Rock’n’rolliger geht’s quotenmäßig hochgerechnet – auch in den Metropolen nicht zu.

Der Provinz-Power auf der Spur: Schrobenhausens Weg zur Pop-Boomtown begann im Februar 1992 mit der Gründung der „IG SOB-Rock“ (SOB = Schrobenhausen). Den beiden Drahtziehern, Patrick Oginski -Sänger und Gitarrist der Indie-Combo Polliwog – und Mathias Petry – im Hauptberuf Redakteur der Schrobenhausener Zeitung, nebenbei Pop-Produzent -, gelang auf Anhieb ein Zaubertrick: die Versöhnung der krachenden Klänge aus den Übungskellern mit der krachledernen Tradition ihrer Heimat. Die „SOB-Rocker“ kamen als Abteilung im „Verkehrsverein Schrobenhausener Land“ unter, der Underground wurde gesellschaftsfähig. Zuschüsse flössen, Sponsoren waren schnell gefunden. Auch die Infrastruktur stimmte: Plakate wurden günstig hergestellt, die Bands mußten sich nicht länger um PA und Hallenbuchungen sorgen. Das Tüpfelchen aufs „i“ waren die Jam-Sessions in einer örtlichen Szene-Kneipe, in deren Folge Bands wie Pilze aus dem Boden schössen. Wie das kam, weiß keiner mehr so recht. Gitarrero Marco Mahl: „Auf einmal geht’s ab, und du bist mittendrin.“ „In Schrobenhausen Musiker zu sein, ist nichts besonderes“, behauptet Martin Böhner achselzuckend. „Du triffst jemanden, erzählst ihm irgendwann, daß du in ’ner Band spielst und der sagt bloß: ach, du auch?“ Den Fans gefällt’s, in Scharen strömen sie auf die Konzerte. In diesem Zusammenhang muß Mathias Petry unbedingt erzählen, daß „der Martin der erste Schrobenhausener war, der auf der Bühne seine Gitarre zertrümmerte. Nur hat er sie nach dem Gig wieder zusammengebaut.“ Für einen 15jährigen Punk müssen extravagante Show-Effekte eben eine Ecke ökonomischer ausfallen als weiland bei Pete Townshend.

Pete who? Die meisten „SOB-Rocker“ setzen auf zeitgemäßere Spielarten der Unterhaltungsmusik: hauptsächlich Crossover (Ackermanns Blüten, Cox Orange, Mind Of Sorrow, Subsonic Bi-Peta), Independent (Life And Beyond, Rest In Peace, Polliwog) und Punk (Square Through A Circle, Stellwerk 13), dazu eine Prise Jazz (Band in a house) oder auch mal Mundart-Folk für den Herrn ab vierzig (Bayern Dry). All diese Bands sind auf einer vor kurzem produzierten CD versammelt. Vollmundiger Titel: ‚SOB rocks earth‘. Derzeit wird die Gründung eines eigenen Labels vorbereitet. Viel Geld wird damit nicht zu machen sein. Kein Problem, meint Marco Fröhlich, Bassist bei Rest In Peace: „Wenn’s uns ums Geld ginge, würden wir Volksmusik spielen.“ „Wir haben schon öfter auf den großen Flop gewartet“, sinniert Mathias Petry. Und? „Bisher vergebens.“ Die Szene blüht also. Nächstens womöglich mit einer Girlie-Group, wie RIP-Gitarrist/Sänger Danny Müller verrät. Ihr Manko: „Die spielen noch kein Instrument, nur Blockflöte.“ Doch auch auf solche Notfälle ist die IG-SOB-Rock vorbereitet. Im Frühjahr hat ein sechsteiliges Seminar über Musiktheorie begonnen. Leiter: der Musikstudent )örg Weber, natürlich ein gebürtiger Schrobenhausener. Motto: „…. denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Ist doch Rock’n’Roll. Irgendwie.