Verpuppung in Schlappen


Wer gut gekleidet ist, entscheidet Jan Joswig. Heute vor dem Stilgericht: Kanye West

Das Foto täuscht. Kanye West sitzt nicht auf einem Stuhl, er sitzt zwischen allen Stühlen – zumindest Style-technisch. Das war nicht immer so. Mitte der 2000er erfand er neben Outkasts André 3000 den Preppy-Hop. Er entführte die pastellfarbenen V-Pullover aus dem Kleiderschrank weißer Ostküsteninternatszöglinge auf die Hip-Hop-Bühne. Der afroamerikanische Musiker, der immer noch mit Ghetto-Zuschreibungen zu kämpfen hat, eignet sich weiße Herrschaftssemantik an. André 3000 bewahrte sich durch parodistische Übertreibung davor, als Anbiederer an die Ästhetik der ehemaligen Sklavenhalter zu gelten (so wie Cab Calloway mit seinen Zoot Suits in den Dreißigern). Kanye West ist durch sein Monsterego über jeden Anbiederungsverdacht erhaben. Der Preppy-Rapper markiert nach dem Gangster- und dem Backpack-Rapper die kultivierte Erwachsenenstufe im Hip-Hop. Das „College“ im Titel von Kanye Wests Debüt The College Dropout war viel aussagekräftiger als das Anhängsel „Dropout“. Pharrell Williams, Wests Kollege in der Gruppe Child Rebel Soldier, versucht sich gleichzeitig an einem dritten Style-Weg. Er setzt mit seinem Modelabel „Ice Cream“ auf das Gegenteil vom Erwachsenwerden, auf den ewigen Pennäler. So lanciert er sich als der Angus Young des Hip-Hop, während West sich an die afroamerikanische Neuschreibung von Ralph Laurens und Tom Fords Welt macht.

Kanye Wests schwarze Samtschlappen verweisen noch auf seine Preppy-Hop-Phase. Aber mit Schredderjeans, dekolletiertem T-Shirt, Goldkette und Leopardenjäckchen steuert er in der Frontrow der Vivienne-Westwood-Show in Paris in neue Gefilde. Vielleicht wollte er im Leopardenmuster nur sichergehen, dass ihn die ehemalige Punkqueen diesmal registriert, nachdem sie ihn 2009 partout nicht zuordnen konnte, als er ihr seine Glückwünsche überbrachte. Aber das wäre eine zu schnöde Erklärung. In dem disparaten Outfit schwingt weitaus mehr mit: der Herrschaftsanspruch eines Stammesfürsten genauso wie der Versuch, seine weibliche Seite herauszukehren. Der Künstler, der sich gegen Rassismus in der Politik und gegen Homophobie im Hip-Hop ausgesprochen hat, steckt in einem Verpuppungsstadium, dem er auf zwei Weisen entsteigen könnte: als Style-Nachfolger von Isaac Hayes oder als beste Freundin von Victoria Beckham.

Jan Joswig ist studierter Kunstgeschichtler, wuchs in einer chemischen Reinigung auf, fuhr mit Bowie-Hosen Skateboard und arbeitet als freier Journalist für Mode, Musik und Alltag. Was LL Cool J in den 80ern die Kangolmütze bedeutete, ist ihm der Anglerhut.