„“Unsere Texte? Sind nicht wichtig.“


Im Juni 1989 reiste Tomasso Schultze nach Seattle, um für das Underground-Fanzine „Trust" über die brodelnde Grunge-Szene und Sub Pop zu berichten. Es kam auch gleich ein Kontakt zu einer der aufstrebenden neuen Bands des Labels zustande: Nirvana. An deren Frontmann Kurt Cobain war allerdings nicht ranzukommen. Dafür stand der zweite Gitarrist Jason Everman dem Reporter Rede und Antwort - wer konnte voraussehen, dass der schon wenige Wochen später aus der Band fliegen würde? Im Interview gab er sich jedenfalls als recht selbstbewusstes, vollwertiges Bandmitglied zu erkennen. Hier, leicht gekürzt, der Original-Artikel.

Nirvana sind die neuen Wunderkinder aus Sub Pop Rock City, Seattle, WA. Ihre eben erschienene Debüt-LP „Bleach“ ist einer der Höhepunkte des Sommers. (…) „Blew“, der erste Song, öffnet mit einem unglaublichen, total nach unten gestimmten Bassriff.das vor den Augen der Zuhörer förmlich stehen zu bleiben scheint, steigert sich in einen manischen Refrain und scheint schließlich bei Kurdts (Anm. Cobain buchstabierte seinen Namen auf bleach noch Kurdt Kobain) Solo endgültig abzuheben. „Floyd the Barber“ lebt von seinem wahnsinnigen Stop-Motion-Break, während „About a Girl“ eine frühe Beatles-Melodie in St.-Vitus-Gewand verpackt., „School“ überrollt einen schließlich, wobei Kurdts erregender/erregter Refrain „norecess“ dazu angetan ist,Glas zerspringen zu lassen. Und wieder ein Gitarrensolo, das mich wünschen lässt, Punk 77 hätte nie existiert. Was wir da an genialen Solos verpasst haben! Fernöstliches und Träge verpassen dem lasziven „Love Buzz“ den Nirvana-Stempel. „Paper Cuts“, ein zerfranster, erstarrter, bittersüßer Alptraum, beendet die bisher beste LP-Seite des Jahres. Die B-Seite kann die Spannung nicht aufrecht erhalten. Trotzdem können Trax wie „Scoff“, „Mr. Moustache“ oder „Sifting“ mit ihrer Tiefe, Schwerfälligkeit und fesselnden Melodien Tage retten. Drone. Grunge. Dirge. Nirvana implodieren und explodieren gleichzeitig, haben die seltene Gabe, auf engstem Raum Punk, Pop und Metal unterzubringen und zünden zu lassen. Kurdt Kobains alles überragende, ergreifende Vocals und Gitarre sind gefüttert vom täglichen Wahnsinn und treffen den Zuhörer so frontal wie möglich. Als Tomasso im Sub-Pop-Büro der zweite Gitarrist Jason über den Weg läuft, ist ein Interview unvermeidlich…

Okay, erzähl mir alles über Nirvana…

jason: Nirvana gibt es jetzt etwas länger als ein Jahr, obwohl Kurdt, der Sänger und Gitarrist, und Chris (Anm: Nouoselic wird auf bleach als „Chris“und nicht als „Krist“ gelistet), der Bassist, schon seit fünf Jahren zusammenspielen. Chad, der Drummer, und ich spielen jetzt auch schon bald seit sechs Jahren gemeinsam in Bands. Und diese beiden Paare sind jetzt das solide Lineup Nirvanas, das auf der LP zu hören ist. (…) Chads und meine Wurzeln liegen bei Punk und Hardcore. Wir gingen zusammen auf die High School, wo wir von dieser verrückten Band, Malfunction (Anm: eigentlich Malfunkshun), einer der ersten Bands in Seattle, beeinflusst wurden. Kurdt und Chris lebten 60 Meilen entfernt- natürlich kannten wir sie da noch nicht-in der Stadt, in der die Melvins wüteten. Und wenn du dir die Nirvana-Scheibe anhörst, merkst du das. Wir sind eine Kombination aus beiden Einflüssen, die Verschmelzung der Metal mit der Popfraktion. Das klappt sehr gut.

Bei all dem Überschuss an Seattle-Bands, hattet Ihr da keine Schwierigkeiten, eine Identität zu finden?

Das beeinflusst uns überhaupt nicht. Wir würden unsere Musik überall spielen. Seattle hat damit nichts zu tun. Wir haben schon immer unserer Obsession für,heavy music’gefrönt. Es ist nur gutes Timing, dass man davon jetzt Notiz nimmt.

Steckt eine tiefere Bedeutung hinter dem Namen Nirvana?

Es war Kurdts und Chris‘ Idee. Sie hatten ein paar Namen davor: Bliss oder Skid Row. Nirvana ist einfach ein guter, simpler Name.

Ich denke dabei an östliche Philosophien oder Psychedelic…

Nee, damit haben wir nichts am Hut.

…oder Drogen…

Ach, das haben wir alle hinter uns. Wir sind Langweiler, bleiben daheim und schauen fern.

Was sind Eure Ziele mit Nirvana?

Soweit gehen wie möglich. In erster Linie sehen wir uns als Künstler und Musiker. Die Musik kommt zuerst. Aber gegen Kohle hätten wir nichts einzuwenden. Wir hassen Arbeit, da käme das gelegen. Ansonsten wollen wir teuren, und dass die nächste Scheibe besser wird.

Seid Ihr nicht zufrieden mit „Bleach ?

Sie ist okay.

Bereitet es Euch Probleme, ins Sub-Pop-Schema gepresst zu werden?

Das Cover ist nicht zu typisch, obwohl es zu Sub Pop passt. Für die nächste Platte werden wir in ein anderes Studio gehen und einen anderen Produzenten ausprobieren.

Seattle scheint nach sechs Uhr abends eine ziemlich tote Stadt zu sein…

Ja, verglichen mit anderen Städten in Europa und den Staaten. Es gibt zwei Clubs, und das ist es.

Gibt es einen großen Unterschied zwischen Nirvana auf Platte und live?

Live sind wir tausendmal energetischer. Studios sind wie eine Gruft.

Sind Eure Texte von Bedeutung?

Ach was, überhaupt nicht. Solang die Gesangsmelodie stimmt, ist es schon in Ordnung. Kurdt singt live ohnehin jedes Mal was anderes.

Ihr kommt auf Tour nach Europa?

Ja, hoffentlich im Oktober mit TAD, dem alten Schweinigel.