U2 mit heiligem Zorn


Hast du noch Fragen?“, fragt Bono Vox. Sänger und Chefdenker der irischen Band U 2. „Wenn nicht“, sagt er im Stehen, „dann entschuldige mich bitte. Ich muß mit den anderen noch das Cover-Foto aussuchen.“

Spätnachmittag in Dublin. Wir befinden uns im Windmill Lane Studio, dem Hauptquartier der Iren, die vor einigen Stunden ihr fünftes Album UNFOR-GETTABLE FIRE fertiggestellt haben. „Wenn du dir vorstellst, daß ich heute morgen um neun Uhr die letzte Vokalspur besungen habe, dann weißt du, warum ich dir jetzt noch keine druckreifen Statements abliefern kann.

In den letzten Wochen bin ich manchmal nachts aufgewacht und habe gedacht, das ist alles Avantgarde – und Avantgarde ist, nach John Lennon, bekanntlich das französische Wort für Bullshit. Heute jedoch fand ich die Musik sehr reich, sehr farbenprächtig, sehr stimmungsvoll. Ich glaube, wir benehmen uns noch wie frischgebackene Väter, die nicht so recht wissen, was sie mit dem blutverschmierten Baby anfangen sollen. „

Bono, der sonst ohne Punkt und Komma redet und auch diesmal eine Reihe lockerer Bonmots vom Stapel läßt, gerät ins Stocken, wenn er über das neue Album sprechen soll. „Es tut mir leid, aber zu den Texten kann ich überhaupt nichts sagen. Schon früher habe ich oft erst nach einem halben Jahr begriffen, wovon ein Text eigentlich handelte.

Auch diesmal habe ich einfach die Bilder und Stimmungen, die in meinem Kopf herumspukten, rausgespuckt. Ich habe vorher nichts notiert oder niedergeschrieben. Manchmal lese ich in meinem Tagebuch, aus dem ich dann einiges herausziehe, aber meistens kommt alles völlig spontan.

Nimm nur das Stück mit dem Arbeitstitel .M.L.K‘ – Martin Luther King. Das ist mein Thema, darüber improvisiere ich dann. Sowohl in Irland als auch in Amerika herrscht Gewalt. Die Menschen wollen Macht. Macht über andere Menschen.

Das ist der Bono. wie wir ihn kennen. Voll in Fahrt. Das Herz auf der Zunge. Ein Kämpfer für Frieden und Freiheit. Ein geborener Revoluzzer.

Ganz anders die bedächtige Intelligenz von Gitarrist Dave Evans, wegen seines kantigen Profils nur „The Edge“ genannt. Während Bono am liebsten das Ruder der Weltgeschichte herumreißen würde, nippt The Edge an einem Glas Rotwein, beißt auf einem Plätzchen rum, blättert in der „Irish Times“ und schaltet sich nur ins Geschehen ein, wenn musikalische Belange diskutiert werden.

Als sich das Gespräch der Kombination U2/Brian Eno zuwendet, ergreift er das Wort:

„Wir hatten nie vor. die. drei ersten Alben BOY. OCTOBER und WAR von Steve Lillywhite produzieren zu lassen. Schon nach dem Debüt haben wir uns nach einem anderen Producer umgetan, aber aus Zeit und Termingründen mußten unsere Wunschkandidaten – wie z. B. Conny Planck – immer absaqen.

Was, so will euer Reporter wissen, hat sie an ihrem neuen Produzenten Brian Eno besonders gereizt? Gehörte er nicht seit Roxy Music und seinen Ambient-Music-Experimenten zu jener Pop-Avantgarde, die Bono eigentlich als Bullshit denunziert?

„Mag sein“, antwortet der Angesprochene, „wir wissen nur zu genau, daß es ein Risiko war und ist, mit ihm zu arbeiten. Es kann ohne weiteres sein, daß viele U 2-Fans UNFORGETTA-BLE FIRE nicht mögen.

Uns selbst hat diese Arbeitserfahrung jedoch sehr viel gebracht. All das. was man verändern kann, sollte man verändern, wenn Band und Besetzung konstant bleiben. Wir konnten also Studio. Produzent und Aufnahmeprozeß verändern, da wir selbst als Fixum bleiben. Das haben wir getan. Brians Methode hieß Improvisation. Er ging damit direkt ins Herz von U2. Er beton’e die atmosphärische, die spontane Seite unserer Musik. Er war der Mann mit der Schere, der das Band zur Vergangenheit durchgeschnitten hat.“

Blenden wir sechs Jahre zurück. 1978 wurde U2 an der Mount Temple School in Dublin gegründet. Schlagzeuger Larry Müllen, damals gerade wegen seiner langen Haare aus einer Marschmusik-Kapelle ausgeschlossen, pinnte eine Suchanzeige ans Schwarze Brett. Es meldeten sich Paul Hewson. nach einem englischen Hörgerät und mit schrägem Vulgärlatein Bono Vox („Gute Stimme“) genannt. Gitarrist Dave „The Edge“ Evans, der blonde Bassist Adam Clayton und der später bei den Virgin Prunes wieder auftauchende Evans-Bruder Dick, der hier nur eine Nebenrolle spielt.

Die Schulfreunde waren musikalisch blutige Anfänger. Bono sang so laut, daß man alles brauchte, nur kein Hörgerät. Edge hackte auf seiner Klampfe wie ein Berserker. Adam hätte in jedem Studio einen Fußtritt bekommen, und Larry verstand sich auf nicht viel mehr als donnerndes Marsch-Bumm Bumm.

Aber genau das war der Punkt. Die vier jungen Burschen konnten sich nämlich nicht daran aufgeilen, ihre damaligen Favoriten – Talking Heads, Television, Patti Smith – abzukupfern. Sie mußten – nolens volens – eigenes Material schreiben und, was viel schwieriger war, auch umsetzen.

Der Weg ins Profi-Lager war steiniger, als die Beteiligten dachten. Mit aggressiver, wuchtiger Rockmusik, hergestellt ohne Trend-Zugeständnisse, ohne Elektronik und Drum-Computer, konnte man eigentlich keinen Talentscout hinter dem Ofen hervorlocken.

Das neuromantische Zeitalter stand in voller Blüte: Technound Euro-Pop waren hip, wilde Gesellen mit Gitarren störten nur die Parties der „beautiful people“. Während U2 heute als die Protagonisten der Gitarren-Renaissance gelten, gehörten sie damals zu den unchicen Outsidern.

Blutarme Betbrüder waren sie deshalb noch lange nicht.

„Ich weiß selbst am allerbesten, wieviel Fehler ich habe“, erzählt Bono. „Als Junge war ich ein richtiger Bastard. Ich prügelte mich rum. suchte Streit und tat immer das, was ich nicht sollte.

Man porträtiert mich gerne als den guten, den gerechten, den heiligen Bono – schön, aber lächerlich. Wenn du mal genau hinhörst, wirst du mitkriegen, daß die meisten U2-Songs vom Versagen handeln und nicht vom Siegen. Wer immer siegt, der lernt wenig, und wer immer gut ist. weiß gar nicht, was Sünde ist. Man fürchtet den Teufel nur, weil man ihn genau kennt. „

Dieser Einsicht folgend, betrieb Bono seinen ganz persönlichen Exorzismus. Auf jeder LP setzte er sich mit Themen wie Krieg und Frieden, Liebe und Haß, Freiheit und Unterdrükkung auseinander. „A Day Without Me“ schrieb er als Reaktion auf den Selbstmord des Joy Division-Sängers lan Curtis; „Electric Co.“ wurde von einem Schulfreund inspiriert, der sich nach einer Elektroschockbehandlung mit einem Messer die Kehle durchschneiden wollte; „New Year’s Day“ handelte von der polnischen Gewerkschaft Solidarität; „Sunday Bloody Sunday“ beschrieb u.a. das Blutvergießen in Dublin (1920) und in Londonderry (1972).

Bono und die Seinen servieren keine leichte Kost. Manchmal nimmt er den Mund sicher auch ein bißchen zu voll. Aber selten habe ich jemanden erlebt, der so bereitwillig wie Bono die eigene Position hinterfragt, der auf Widerspruch wartet, der mit freudiger Erregung Dispute eingeht und mit einer besessenen Ehrlichkeit diskutiert.

Abgesehen von Deutschland, wo „einige gravierende Fehler“ begangen wurden, stand der Iren-Vierer bald ganz oben in der Gunst der internationalen Rockgemeinde. Nicht nur Kritiker und Publikum, sondern auch Musiker beklatschen die Rock-Rabauken mit dem religiösen Hintergrund; Bruce Springsteen fährt 200 Meilen, um eines ihrer Konzerte zu besuchen. Auf Wunsch von Peter Wolf treten sie im Vorprogramm der J. Geils Band auf.

Trotz all dieser Ehrenbezeigungen hat Bono ein gespaltenes Verhältnis zu den USA:“.Es ist eine Haßliebe. Viele sehen Amerika als das gelobte Land des Rock ’n‘ Roll. Auch ich liebe sein musikalisches Erbe die Doors. Jimi Hendrix. Joplin. Die Tragödie ist nur. daß die meisten Kids diese Musiker gar nicht mehr kennen. Sie wissen nicht, wer Chuck Berry. wer B. B. King ist. Sie wissen nicht einmal, daß Rock ’n‘ Roll aus Amerika kommt. „

Das Windmill Lane Studio liegt mitten im Bauch der Stadt in einer Gegend, die man hier „industrial wasteland“ nennt. Dieses Gewirr kleiner Gassen, dieses filmreife Szenario aus runtergekommenen Fabrikanlagen, verkommenen Backsteinhäusem mit schreiend bunten Fensterläden, rostigen Verladekränen und dunklen Pinten hatte James Joyce wohl vor Augen, als er vom „schmutzigen, alten Dublin“ sprach.

Auf dem Hof stehen dreckige Autos herum. Linker Hand in dem kleinen Knusperhäuschen, vor dem sich ein riesiger Müllberg auftürmt, residieren Anne Louise Kelly, der gute Geist des U 2-Untemehmens, und Manager Paul McGuiness, ein ganz ausgebuffter Bursche.

In dem verwinkelten Backsteinraum mit den Sackleinen-Bespannungen und der verschachtelten Holzdecke steht ein Gewirr nicht angeschlossener Mikrofongalgen. Hier entstanden also nicht nur die drei ersten U 2-Werke, hier wurde auch UNFORGETTABLE FIRE abgemischt.

Nach dem zu urteilen, was man mir vorspielt, hat sich die Arbeit gelohnt. Ohne ihre spezielle Identität verleugnet zu haben, wirken U 2 freier, experimenteller. Ist das der Beitrag von Brian Eno und Daniel La-Noir, der als Toningenieur an dem Projekt beteiligt war?

Edge ist an der Reihe: „Daniel ist ein seltsamer Typ. Franko-Kanadier mit einem Schuß Apachenblut. Er kommt von einem total anderen Hintergrund als Eno oder wir.

Die Produzententätigkeit von Eno bestand z. T. darin, sehr viel auf dem Band zu lassen, was andere nachher herausgeschnitten hätten. „

Hier fällt Bono seinem Kollegen ins Wort und erzählt, daß er beim Singen die unmöglichsten Urwaldlaute erzeuge. „All diese Atemgeräusche, das Gegrummel und Gebrummel hat Eno einfach in die Songs integriert. Andere Produzenten sehen so etwas als Fehler an. Er steht darauf.“

Brian Eno war es wohl auch, der U 2 einerseits zu Experimenten mit einer 20köpfigen String Section und andererseits zu kargen Klangskizzen mit Stimme und Computer überredete. „Wir haben“, meint Edge halb zweifelnd und halb überzeugt, „mit allen musikalischen Regeln gebrochen. „

Bono – die langen schwarzen Haare zurückgekämmt, obendrauf eine graue Tweedkappe, schwarze Hose, dunkles Hemd, rote Stiefel – ist kein sonderlich begabter Zuhörer. Immer, wenn Edge länger ausholt, rutscht er unruhig auf dem Sofa herum. Auch diesmal fällt er ihm ins Wort: „Ja, wie konnten wir es wagen, ein großes Streicher-Ensemble einzusetzen ? Risiko, Risiko! Wir hatten keine Ahnung, wie das ausgehen würde, aber ich finde, es hat funktioniert. UNFORGETTABLE FIRE sollte unsere 3-D-Platte werden nicht Weite, sondern Tiefe sollte sie haben. Das ist, glaube ich, gelungen. „

Bono mag kleine Sensationen und kleine Siege. Vor kurzem hat er für ein irisches Musikmagazin Bob Dylan interviewt: „Ich habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß er ein Querkopf ist. Beim Konzert hat er mich dann auf die Bühne gebeten, und gefragt, ob ich den Text zu Blowin‘ In The Wind‘ kenne. .Klar‘, habe ich gesagt. Das war die reine Lüge. Ich habe einfach wild drauflos improvisiert und Blowin‘ In The Breeze‘ gesungen, aber ihm scheint’s gefallen zu haben. Er bat mich, die Liner Notes für eine ,Rare Dylan‘-LP mit Aufnahmen aus den frühen Sechzigern zu schreiben.“

Bei einer anderen Gelegenheit wurde er nicht auf die Bühne gebeten, sondern bekam ungebetenen Besuch. „Ach, du spielst auf das Inner City Festival in Dublin an! Ja, das war eine prickelnde Situation!

Während des Konzerts stieg dieser Karwenzmann – hoch wie breit – auf die Bühne, latschte auf mich zu und sagte: Sing Let’s Twist Again‘. Und ich nur: ,Yes. Sir, sehr wohl‘. Ohne jede Begleitung habe ich dann ,Let’s Twist Again like we did last summer… ‚ gesungen und der Kleiderschrank lächelte. „

Nicht immer gehen solche Konfrontationen glimpflich aus. Wie etwa unlängst in Los Angeles:

„Ich bin dort mit der weißen Flagge ins Publikum gegangen und habe mich in einen Faustkampf mit einem Besucher verwickeln lassen. Ich war so aggressiv, daß ich mich einfach von der vier Meter hohen Bühne ins Publikum fallen ließ. Ein Kritiker schrieb, daß er so etwas Extremes noch nie gesehen habe und daß er auch keinen Wert darauf lege, jemals wieder so etwas zu erleben.

Bono hat aus den Vorfällen gelernt. In Zukunft will er seinen heiligen Zorn im Zaum halten. Von Flaggen hat er die „Nase voll“ – und er verspricht, „ein guter Junge zu sein“.

Aber keine Bange, auch die Ehe mit der schwarzhaarigen Alli – im August 1983 gaben sie sich das Jawort – hat aus dem streitbaren Rocksänger keinen Biedermann gemacht. „Leute, die verspannt in unsere Gigs kommen“, sagt er zum Abschluß, „werden weichgeklopft wieder herausgehen. Dafür garantiere ich!“