Trendwende in den USA


Trendwende in den USA, auf dem größten Plattenmarkt der Welt: Disco baut seit kurzem ab, die New Wave bricht dafür durch; unterm Strich ergibt das in den US-Charts ein sattes Plus für Rockplatten, die in den vergangenen zwei Jahren ein wenig ins Hintertreffen geraten waren.

Erinnern wir uns: Ende 1977 erschien der „Saturday Night Fever“-Soundtrack und verlieh der Disco-Welle soviel Druck, daß sie im Verlauf des Jahres 78 zur beherrschenden Musikform auf dem US-Markt aufstieg. Allein von den beiden Doppelalben „Saturday Night Fever“ und „Grease“ wurden in den USA zusammen 27 Millionen Stück verkauft (weltweit knapp 40 Millionen)! Und eine wahre Flut von meist genormten und langweiligen Disco-Produktionen ergoß sich im Kielwasser dieser Top-Hits über den Markt.

Vor sechs Wochen, am 18. August 1979, wachte die dem Disco-Boom verfallene Plattenbranche indes plötzlich auf. Denn die Branchenbibel „Billboard“ meldete auf der Titelseite den Durchbruch der „New Wave Rockers“. Nachdem in den vergangenen zwölf Monaten Bands wie die Cars, Elvis Costello, die Talking Heads und Patti Smith den Weg zur Spitze der US-Hitlisten geebnet hatten, wimmelte es auf einmal nur so von New Wave-Platten: Nr. 1 die Knack, Nr. 4 und Nr. 35 die Cars, gefolgt von Bram Tchaikovsky, Nick Löwe, Joe Jackson, Graham Parker, Rachel Sweet, den B-52’s. Devo Greg Kinn. Police, Ian Dury und so weiter. Auch traditionelle Rockplatten lagen so gut wie lange nicht mehr: die Kinks, Supertramp, die Dire Straits, ELO, die Who, Cheap Trick und viele andere drängten sich auf vorderen Plätzen.

Der Marktumschwung ging einher mit einer allgemeinen Krise auf dem US-Plattenmarkt: sinkende Umsätze / Gewinne, Massenentlassungen, ständige öffentliche Klagen der Firmenbosse, spektakuläre Verkäufe: Ariola / Bertelsmann kaufte für 100 Millionen Mark Arista, Polygram sackte Casablanca und Capricorn ein, 50 Prozent von EMI gingen weltweit an Gulf & Western. Solche Vorgänge signalisieren seit Jahrzehnten im Plattengeschäft untrüglich tiefgreifende Veränderungen. Der Publikumsgeschmack wandelt sich schlagartig (wie z.B. auch 1964 mit Beginn der Beat-Ära oder 1977 am Anfang des Disco-Booms), und die Industrie hat Mühe, mitzuhalten. Die gewaltige Größe mancher Plattenkonzerne sorgt nämlich dafür, daß ihre Mitarbeiter betriebsblind werden – anders lassen sich die mit schöner Regelmäßigkeit alle paar Jahre auftretenden gigantischen Fehlentscheidungen nicht erklären.

In der Tat: Anstatt den Vormarsch kleiner innovativer Labels im New Wave-Bereich als Sturmwarnung zu werten, überschwemmten die Konzerne den US-Markt mit immer höheren Plattenbergen ihrer altgewordenen Superacts. Doch was 1977 und vor.allem 1978 fette Zuwachsraten gebracht hatte, funktionierte 1979 plötzlich nicht mehr: Von fünf Millionen siegessicher angepreßten Doppelalben des „Sgt. Pepper“-Soundtracks (Bee Gees, Frampton) kamen knapp vier Millionen als unverkäuflich wieder vom Handel zurück; von vier Millionen Kiss-Soloalben konnten drei Millionen nicht verkauft werden;ähnliche Einbrüche gab es zum Beispiel auch bei neuen Scheiben von Peter Frampton und den Allman Brothers. Gleichzeitig wurde offenbar, daß auch das Zugpferd Disco Schwächen hatte: Die meisten der nach einem Einheitsschema rasch aufgebauten Disco-Truppen waren zwar gut für ein oder zwei Single-Hits, doch auf dem LP-Sektor war mit ihrer durchweg mangelhaften künstlerischen Potenz nicht viel zu holen.

Die Konzerne setzten zunächst noch einmal auf ihr Geld: CBS etwa kaufte Paul McCartney & Wings für eine schwindelerregende Garantiesumme ein; Wings-Platten bringen nunmehr erst guten Gewinn, wenn sich die verkaufte Stückzahl in den USA der Fünf-Millionen-Grenze nähert. Warner Communications wiederum spuckten ihre Dollars für Plattenproduktionen aus: Die Aufnahmekosten für die in diesen Tagen veröffentlichten neusten LP’s der Eagles und von Fleetwood Mac betrugen jeweils mehr als 500.000 Dollar!

Wichtiger, und das sagen auch einsichtige Plattenbosse, wäre es wohl gewesen, neue Talente zu fördern. Denn davon lebt die Popmusik. Und die einstmals stolze und mächtige amerikanische Plattenfirma Capitol erinnerte sich auch prompt an dieses Grundgesetz, als ihr vor einigen Monaten das Wasser bis zum Halse stand: Sie machte einen Vertrag mit den Knack, die ja vorher bei vielen Firmen vergeblich angeklopft hatten. Die Knack produzierten anschließend eine LP für lächerliche 17.000 Dollar. Und seitdem ist für Capitol die Welt wieder in Ordnung…