Travis
Nach dreijährigem Urlaub von der Musikindustrie spielen die Schotten mal wieder "our best tour ever".
Die Münchner Vorband The Taste, die Travis auf deren gesamter Deutschlandtour begleitet, knüppelt sich durch ein wuchtiges Aufwärmprogramm, am Souvenirstand werden Travis-Hemden mit der Rückaufschrift „Born To Rock“ feilgeboten, und Neil Youngs „Rockin‘ In A Free World“ bestreitet die Umbaupausenunterhaltung. Dieser Rockismus-Zirkus wird in dramatischer Plötzlichkeit unterbrochen, als sich die Saalbeleuchtung senkt und drei finstere Gestalten auf die Bühne treten und mit klobigen Scheinwerfern eine Lichtschneise durch das Publikum ziehen und Travis, allen voran Sänger Fran Healy, den Weg weisen, die sich vom hinteren Saalende aus in kampfbereiter Boxerkluft den Weg durch das Publikum zur Bühne bahnen. Manchem im vorwiegend Mitt-3oer-Publikum wird es mulmig zumute. Die werden doch nicht…? Nein. sie werden nicht. Travis. deren größter Moshpit-Aufmischer immer noch „Why Does It Always Rain On Me“ heißt, bekämpfen eine eventuelle Midlife-Crisis nicht mit dem verzweifelten Seemannshecht in den Rock’n’Roll-Jungbrunnen. Zwar zitiert gleich der erste Song „Selfish Jean“ schamlos Iggy Pops „Lust For Life“ (aber, mal ehrlich, wer tut das schließlich nicht?), doch selbst dieserPunk-Anflug landet sanft, als der mittlerweile schütter behaarte Healy das Mikro erobert. Die Menge reagiert mit lückenloser Begeisterungskundgabe und „flippt“ beim (längst gebeichteten) „Wonderwall“-Diebstahl „Writing To Reach You“ zum ersten Mal – so gut das eben mit um die Hüften gewickelten Regenjacken geht- „aus“. Der Sympathie-Schnee ball kommt ins Rollen. Healy streut über den Abend verteilt „some german words you might know“ in die Audienz und überzeugt mit seiner Interpretation (immerhin werden der 34-Jährige, seine deutsche Ehefrau Nora Kryst und ihr Sohn Clay nächstes Jahr nach Berlin ziehen) von Begriffen wie „Hallo“, „Tschuldigung“ und „Wichser“. Dem nicht genug: Wiederholt erkundigt er sich nach dem physischen Zustand seiner von der Hallenhitze geplagten Fans, verteilt Wasserflaschen und bittet sogar einen der Ohnmacht Nahen auf die Bühnenseite, auf dass sich die strammen 30 Euro Eintrittskohle auch für diesen armen Hund rentieren mögen. Den Rahmen zu all diesem Gemenschle bildet eine Setlist, die alle fünf Alben der Band gleichberechtigt berücksichtigt: Die Klassiker „Good Feeling“ und „All I Wanna Do Is Rock“ aus dem Debüt stoßen auf ebenso textsichere Resonanz wie die großen Hits „Driftwood“ und „Sing“ (während dessen Tastensolo Healey das willige Publikum zu lauten „Klaus! Klaus!-Chorälen aufruft, um dem schwedischen Tourpianisten Klaus Bjorkman Tribut zu zollen), aber auch Zeitgenössisches wie „Closer“ fügt sich beschwerdenlos in das Repertoire ein. Mit dem restlos überwältigenden „Turn“ endet der Pflichtteil, doch nur wenige Minuten tosenden Beifalls später kehren Travis zur Kür in Form eines akustischen Vortrags von „Flowers In The Window“ zurück, bei dem Healy seine Arme euphorisch gen Decke reckt und seine umgeschnallte Klampfe von Leadgitarrist Andy Dunlop und Bassist Douglas Payne spielen lässt. Na, wie findet man das? Noch verbietet sich das zwar permanent im Raum stehende, aber einfach zu durchgenudelte Adjektiv. Nach dem obligaten „Why Does It Always Rain On Me“ bricht der Damm schließlich: Travis sind und bleiben NIEDLICH. Und das ist auch gut so. Sogar so gut, dass man ihnen verzeiht, ihr heimliches Herzstück „Coming Around“ ausgelassen zu haben.
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