Tote schlafen fest


Sollte der US-Soldat James Marshall Hendrix am Tage seiner Entlassung aus der Army auf dem Nachhauseweg zufällig an einem Plattenstudio vorbeigegangen sein, in dem gerade die abgehalfterte Band XYZ arbeitete, stehen die Chancen nicht schlecht, daß wir - vielleicht 1987 - wieder eine "neue Jimi Hendrix-LP" kaufen können...

Ob Janis Joplin, Bob Marley, Mike Bloomfield, Tim Hardin -sie alle können sich nicht mehr wehren: gegen das, was nach ihrem Tod an LP-Produkten auf den Markt geworfen wird. In einzelnen Fällen – und hier gilt es zu differenzieren -hätten sie gewiß auch kaum Einwände gehabt.

Ein leider fast ausschließlich negativ Betroffener ist Jimi Hendrix. Firmen aller Herren Länder stürzen sich noch heute mit größter Gier auf den „Nachlaß“. Dutzende (!) Machwerke wurden und werden unter seinem Namen verscherbelt, auch wenn er nur vierter Gitarrist in einer fünftklassigen Band war. Unmöglich, einen Gesamtüberblick zu geben, da inzwischen sogar Kopplungen besagter Elaborate kursieren, immer neu benannt mit z.T. höhnischen Titeln wie „Hendrix At His Best“ oder „Super Hendrix“.

Neueren Datums ist ein ganzer Schrott-Container mit zehn Platten zum Preis von eben vierzig Mark (Music Distributor, Hamburg). Enthaltene Titel u.a.: der Bubblegum-Müll „Simon Says“ und „Wolly Bully“ (so geschrieben; etliche Hendrix-Dreckwühler karren diese Art Alben obendrein mit schlampigst ausgestatteten Covern in die Läden, um keine Einzelheiten über das Zustandekommen der Aufnahmen preisgeben zu müssen).

Eine der übelsten Ausgeburten ist WOKE UP THIS MORNING AND FOUND MYSELF DEAD (Red Lightning Records): Geködert wird mit Begleitmusikern wie Johnny Winter, Buddy Miles und Jim Morrison. Zu hören ist ein lärmender Haufen Besoffener, dazu vergewaltigte Instrumente in einem Sound mit dem Prädikat „besonders wertlos“.

Warum übernimmt der Teldec Import Service so etwas? Aufgrund eines Deals mit Red Lightning werde „jede auf diesem Label erschienene LP“ vertrieben, „außerdem wäre es wirklich unfair, eine so interessante LP … nicht dem deutschen Hörerkreis zugänglich zu machen. Ob diese LP nun gut oder schlecht ist, sie stellt auf jeden Fall einen Sammelwert dar…“.

Ganz frisch auf dem Plattenteller: TOGETHER, ausgewiesen als LP von Jimi Hendrix und dem Saxophonisten Lonnie Youngblood. Die Teldec: „Eine Rarität … Als posthume Veröffentlichung kann man sie nicht bezeichnen“, sie zähle „zu den frühen Aufnahmen, noch bevor er mit Curtis Knight zusammengearbeitet hat“ – das allerdings war 1965 und erhebt die Frage, weshalb das Publishing der LP 42 auf dem Cover mit 1969 angegeben und ein neueres Foto verwendet wird … Was aber nichts an der minderwertigen Qualität ändert und daran, daß Hendrix schon 1967 vergeblich versucht hatte, die Schundschwemme gerichtlich zu verbieten.

Um Mißverständnisse auszuschließen: Hier sollen nicht pauschal sämtlich „Neu“ Veröffentlichungen Verstorbener angegriffen werden, da es ebenso Fälle gibt, anhand derer die Nachwelt verschollene Zeugnisse von Wert erhalten bleiben bzw. zugänglich gemacht werden.

So tauchte – recht überraschend – die Janis Joplin-LP FAREWELL SONG auf, von der CBS durchaus zu Recht als „Produktion von großem musikhistorischem Werk“ angeboten.

Auf Line Records erschienen unlängst Scheiben von Mike Bloomfield (LIVING IN THE FAST LANE) und Tim Hardin (THE HOMECOMING CONCERT): „Für die Bloomfield-LP“, so Line-Chef Uwe Tessnow, „waren die Verträge nachweislich vor seinem Tod perfekt. Wir haben die Veröffentlichung dann bewußt um Monate hinausgeschoben. Aber das soll keine Entschuldigung sein, denn genau wie bei Tim Hardin stehe ich voll hinter den Projekten. Sie sind aktuell und technisch in Ordnung, was unbedingt gewährleistet sein muß. Ich betrachte sie als musikhistorische Dokumente“.

Unrühmliches dagegen geschah in Sachen Bob Marley: CHANCES ARE geriet nahezu zu einem Musterbeispiel professioneller Resteverwertung. In seiner Kritik (ME 12/81) hat „hh“ bereits ausführlich über „unverschämte Machenschaften“ berichtet. Lakonische „Veröffentlichungs-Argumente“ der WEA: „Das Album bietet einen Überblick über Bob Marleys relativ unbekannte Arbeiten …“ Daß die WEA International (ahnte man Unheil.. ?!) eigens eine zweiseitige Eil-Stellungnahme herausgab, dürfte kaum ein Leser wissen. Wortreich pries man vorab (!) allen Ernstes „some of Marley’s best material“, verwies auf eine „klare, überdeutliche“ Zeitangabe (3 mm …) und rechtfertigte die irreführende Fotoauswahl damit, daß „Frieden und Glück in Bob Marley“ gerade bei dieser Ablichtung von 1980 treffender denn je zu erkennen seien…

Die Antworten seitens der Firmen bleiben bewußt unkommentiert, ein Jeder mag sich seinen eigenen Reim darauf machen. Nur sollten sich zumindest Teile der Industrie nicht wundern, wenn über sie immer wieder die Nase gerümpft wird. Gepflogenheiten wie einige der hier genannten dürften kaum einer Image-Aufbesserung dienen.

Da solche Leichenfledderei aber ofensichtlich auch noch von den Käufern honoriert wird – gäbe es sonst ständig Nachschub? – muß man sich fragen, was für „Fans“ bzw. „Musikliebhaber“ es sind, die z.B. den Hendrix-Ramsch bezahlen. Oder handelt es sich durchweg um jene Hardcore-Sammler, denen es ohnehin nur um die Vollständigkeit ihrer Kollektionen geht, egal, ob die Reputation der Interpreten auf diese Weise durch den Schmutz gezogen wird?

„Schuldige“ andersartigen Veröffentlichungen zu suchen, erscheint müßig (es gibt genügend geldgeile Erben). In vielen, wenngleich definitiv nicht allen Fällen, beantwortet sich die Frage nach dem ideellen Wert dieser Platten von selbst: Durch die Tatsache nämlich, daß sie zu Lebzeiten von den Betroffenen nicht autorisiert wurden.

Man darf gespannt sein, was mit Alex Harvey passiert. Vielleicht existieren ja noch Bänder mit Badewannengesang. Ideale Grundlage für eine posthume Live-LP…