Totally Enormous Extinct Dinosaurs
Nie geht man so ganz. 65 Millionen Jahre nach dem offiziellen Ende ihrer Herrschaft hat ein Dinosaurier eine ganze Menge zu sagen, zum Beispiel wie Elektro-Pop heute zu klingen hat.
Wenn man dem schüchtern wirkenden Orlando Higginbottom alias Totally Enormous Extinct Dinosaurs gegenübersitzt, fällt es schwer zu glauben, dass dieser junge Kerl aus Oxford nur wenige Stunden später mit knallbuntem Federschmuck und Konfettimaschinen bewaffnet einen Club auf den Kopf stellen wird. Dafür ist er viel zu ruhig und entspannt, als wäre nicht er gerade der gefragteste Mann, wenn es um tanzbaren Pop mit Elektro-Einschlag ginge. Unter den ausgefallenen und selbst gebastelten Kostümen, die das optische Zentrum seiner Konzerte ausmachen, will er sich aber nicht verstecken – im Gegenteil: „Das war eine spontane Idee, und ich wusste sofort, dass das lächerlich genug ist, um damit aufzufallen“, sagt er.
Auffällig ist auch seine Musik. Bunte Indietronica, ein ganzer Haufen potenzielle Ohrwürmer mit Pop und House als gemeinsame Nenner, bislang veröffentlicht auf fünf EPs. Einen Namen hat er sich nebenbei auch als Remixer gemacht, so bearbeitete er schon Songs der Sugababes, von Lady Gaga und von Friendly Fires. Für ihn war das die perfekte Testphase, um das Langzeitprojekt Album selbstsicher anzugehen, schließlich sei „remixen optimal dafür, dein Geschick als Produzent zu verbessern. So kannst du üben und herausfinden, was für deinen Sound das Beste ist.“ Der wird vor allem vom Rave der frühen 90er beeinflusst – einer Zeit, die Higginbottom gerne aktiver erlebt hätte: „Die Musik, die vor 20 Jahren im UK herauskam, strahlte etwas Kraftvolles und Kompromissloses aus, aber ich war noch zu jung, um auf Raves gehen zu dürfen. Deshalb versuche ich, dieses Gefühl in meinen Tracks auferstehen zu lassen.“
Und die sind für alle da, das ist ihm wichtig, keiner soll sich ausgeschlossen fühlen. „Manche Platten scheinen nur für bestimmte Personenkreise produziert worden zu sein. Sie sind etwas Exklusives, und dürfen nur von denen gehört werden, die sie verstehen“, sagt er. „Die Leute sollen bei mir einfach sofort merken, dass jeder eingeladen ist.“ Die Einladung in Form seines Debütalbums Trouble fällt sehr ausführlich aus. Über eine Stunde Musik, ganze 14 Tracks, ziemlich viel für heutige Maßstäbe. Verkraftet das die Aufmerksamkeitsspanne der Ein-Song-Downloader noch? Higginbottom: „Gerade bei Dance-Musik ist es eigentlich wichtiger, alle sechs Monate zwei Songs herauszubringen. Deswegen bin ich gespannt, ob mein Album in dieser Länge funktioniert, aber es musste einfach genau so lang sein.“
Dass die clubaffine Platte auch zu Hause und im Radio funktioniert, bedeutet Higginbottom viel, wenn sich auch die Prioritäten in der Zielgruppe geändert haben mögen. „Wer hat denn heutzutage noch eine vernünftige Anlage?“, fragt er. „Früher war uns das noch total wichtig, aber mittlerweile geht es doch nur darum, ob man Musik über den iPod oder im Club hört. Mein Album schafft hoffentlich beides.“ Man merkt ihm an, dass er mit seiner Musik noch eine Menge vorhat. Nach ausgestorben klingt das wirklich nicht.
Albumkritik S. 92
* Zusammen mit Damon Albarn arbeitete Higginbottom im Kongo an Albarns DRC-Projekt.
* Musik liegt in der Familie: Higginbottoms Vater ist Professor für Chor-Musik in Oxford.
* Seine bisherigen EPs veröffentlichte er auf dem Label Greco-Roman, wo u. a. auch Joe Goddard von Hot Chip vertreten ist.
* Welches Kostüm er bei seinen Live-Shows trägt, hängt ganz davon ab, wie verschwitzt die anderen sind.