Thin Lizzy – Es ist noch Whisky da


"Bad Reputation" (Schlechter Ruf) lautet der Titel des neuesten Thin Lizzy-Albums. Was damit augenzwinkernd angedeutet wird, macht der Band, die auf den Festivals in Nürnberg und Karlsruhe spielte, in der Praxis schon einiges zu schaffen. Trotz guter Musik, speziell auf den letzten vier LPs. genoß das Quartett bislang nur geringes Ansehen in unseren Breiten. Doch Gitarrist Scott Gorhain versichert hoffnungsfroh: "Die USA haben wir vor einem halben Jahr gestürmt, und ihr auf dem Kontinent, ihr kommt auch noch dran!"

Thin Lizzy toben seit rund sieben Jahren durch die Musikszene. Gewiß, der Name ist relativ geläufig, aber Hand aufs Rockherz: Wer kann hierzulande spontan drei, vier Alben oder Singles der Band nennen? Der Grund für die geringe Bekanntheit liegt primär bei den Lizzies selbst. Zwar haben sie – auch in ihrer britischen Heimat – im Lauf der Jahre Hits geliefert, etwa „The Boys Are Back In Town“, diese Einzelerfolge aber bislang nie genügend untermauert. Mangelnde Kontinuität in der Arbeit ließ die Band immer wieder in Vergessenheit geraten, aus der sie sich dann mühsam hochrappeln mußte. Und besonders personelle Probleme haben diese Aufstiege meistens verzögert.

Dabei besaß Thin Lizzy von Anfang an einen fähigen Komponisten und Sänger, der nebenbei noch den Baß zupfte und als das eigentliche Markenzeichen der Band gilt: Phil Lynott, am 20.8.1951 in Dublin geboren. Lynott, mit Hasadeur-Schnäuzer, Hendrix-Frisur und einer Stimme, die Nosferatu zur Ehre gereichen würde, gibt sich ganz als der Mann, dem man allzeit, nur nicht nachts auf der Straße begegnen möchte. Tatsächlich verlebte der Sänger seine Jugend in einem recht dunklen Dubliner Viertel, etwa von jener soziologischen Struktur, die einem den Weg in die Kriminalität geradezu anbietet. Der Lizzy-Song „Johnny The Fox Meets Jimmy The Weed“ bezieht sich auf diese Jugenderlebnisse; Phil ist Johnny The Fox, bei Jimmy The Weed handelt es sich um einen alten Freund. „Jimmy ist wahrscheinlich ein Schurke“, weiß Scott Gorham zu berichten, „aber sehr, sehr nett“.

Drei Alben und ein einsamer Hit

Nach einer trotz allem geregelten Schulausbildung schloß sich Lynott einer Dubliner Folk-Band an und gründete dann 1966 gemeinsam mit dem Schlagzeuger Brian Downey die Black Eagles. Diese Band bestand mit lokalem Erfolg bis ’68, woraufhin Downey nun seine eigene Band, Sugar Shack, formierte und Lynott als Sänger zu der halbwegs bekannten Gruppe Skid Row abwanderte. Indes fühlten sich beide reichlich unwohl in ihren Bands; schon Ende 1969 startete Lynott mit Orphanage einen weiteren Anlauf, der aber ebenfalls unerquicklich endete. Im März ’70 schließlich hoben Downey und Lynott zusammen mit dem Gitarristen Eric Bell Thin Lizzy aus der Taufe. Bell hatte bis dahin Erfahrungen bei diversen Showbands, aber auch bei Van Morrison gesammelt.

Im Jahr darauf zog das Trio nach London und nahm schließlich 1972 den alten irischen Traditional „Whisky In The Jar“ in rockigem Gewand auf – die Single stieg bis auf Platz sechs der englischen Hitlisten und schien der Anfang einer vielversprechenden Karriere zu sein. Die Lizzies tourten wie Besessene durch die britischen Lande, was ihnen schon damals den positiven Ruf einer ‚hard working band‘ einbrachte, ließen jedoch „Whisky In The Jar“ nicht den für den endgültigen Durchbruch notwendigen Nachzieher folgen. Als dann Anfang ’73 Eric Bell auf offener Bühne zusammenbrach und daraufhin aus Gesundheitsgründen die Lizzies verließ, schienen Lynott und Downey erneut am Ende.

Die Überbleibsel des ersten Lizzy-Kapitels wirkten wie bittere Ironie: Die drei Alben „Thin Lizzy“, „Shades Of A Blue Orphanage“ und „Vagabonds Of The Western World“ hatten nur bescheidene Umsatzziffern erreichen können, obwohl laut Phil Lynott eine Menge Arbeit dahinter steckte. Den der Band in den Jahren ’72 und ’73 zugesprochene Titel „Beste irische Band des Jahres“ konnte man sich allenfalls an die Wand hängen. „Eine hübsche Erscheinung am Rande“, nennt Scott Gorham solche Belobigungen, „1976 haben sie uns zur vielversprechendsten Band in England gewählt. Das bringt nichts ein und vor allem: Spielen wir deshalb besser, nur weil wir solch einen Titer angeklebt kriegen?“

Durchlauferhitzer für Gitarristen

Bevor Gorham im Frühling 1974 bei den Lizzies einstieg, war dort das totale Chaos eingezogen: Für Eric Bell wirkte kurzfristig der Ex-Skid Row Gary Moore (später Colosseum II) mit, dieser wurde gegen Gary Bell ausgetauscht, der wiederum seinen Platz an zwei weitere Gitarristen abzugeben hatte, deren Namen heute nicht einmal mehr bekannt sind.

Eine wohl glückliche Fügung ließ Lynott und Downey dann auf Scott Gorham und Brian Robertson treffen, beides Gitarristen mit guter Technik, aber ohne Ansehen. Gorham stammte aus Santa Monica/California, Robertson war in Glasgow geboren worden.

Zu Phil Lynott alias Johnny The Fox paßten die beiden auf Anhieb prächtig: „Wieso die Sache nun klappte, kann man kaum erklären“, erinnert sich Gorham, „wir paßten halt zusammen. Und zu Phil’s irischen Einflüssen kamen nun Brian’s schottische und meine amerikanischen hinzu. Obwohl wir nichts anderes als gradlinigen Rock spielen, werden wir auch heute noch von diesen Einflüssen inspiriert. Ich meine, bei der Studioarbeit hilft uns das, wenn es auch auf den Platten nicht mehr so deutlich hervortritt.“

Purer Rock mit einem kräftigen Schuß Aggressivität

In der Besetzung Lynott, Downey, Robertson und Gorham haben die Lizzies mittlerweile fünf Alben aufgenommen: „Nightlife“, „Fighting“, „Jailbreak“, „Johnny The Fox“ und „Bad Reputation“. Ihr purer Rock, gelegentlich mit der Musik von Rory Gallagher und Status Quo vergleichbar, hat von Platte zu Platte an Dichte gewonnen. Hinzu kommen die teils gefälligen Kompositionen und Texte von Phil Lynott, die der Lizzy-Musik genügend Schlenker geben, um sie vor dem Abgleiten in Langeweile zu bewahren (zu dieser Ansicht liefert Werner Zeppenfeld in diesem ME – Abteilung Longplayers – allerdings die Gegenmeinung!). Diese Kontinuität sorgte in jüngster Zeit für einige Thin Lizzy-Hits, etwa das bereits zitierte „The Boys Are Back In Town“ von 1976 und – ganz neu – „Dancing In The Moonlight“. Englische wie amerikanische Zeitungen lobten die Lizzy-Konzerte über den Klee: „Für meine Begriffe könnten Thin Lizzy eine Band wie Queen jederzeit wegblasen!“ (Lynn Van Matre im Chicago Star); „Thin Lizzy brachten mehr Leute aus dem Häuschen als die meisten anderen Bands in der letzten Zeit!“ (Jon Clemens/Louisville Times); „Thin Lizzy bieten eine zwingende Mixtur aus Professionalismus und Aggressivität!“ (Rolling Stone).

Anlaß dieser überschwenglichen Kritiken war Thin Lizzy’s US-Tour im Vorprogramm zu Queen im Januar dieses Jahres In der Tat hebt sich der harte, blueslastige Rock der Lizzies angenehm ab. Warum‘ aber bezieht die Band nicht zusätzliche Effekte in ihre Musik ein, die wahrscheinlich noch größeren Erfolg bescheren würden? Scott Gorham: „Wir arbeiten auf lange Sicht hin. Wir wollen weder mit Glitzerstaub um die Augen noch mit vordergründigen musikalischen Tricks nach oben kommen. Die US-Tour hat bewiesen, daß Hard Rock, wie wir ihn spielen, gut ankommen kann. Und mit der gleichen Sache wollen wir nun auch den Kontinent von uns überzeugen. In England läuft’s ja gerade auch ganz ordentlich“.

Ein Bonbon für die Fans: Lynotts Poesie-Bändchen

Ob dieses recht langfristig geplante Ziel erreicht wird, ist nicht zuletzt eine Frage der Personalpolitik der Lizzies. Denn: Brian Robertson, der Anfang ’77 vorübergehend auch mal bei Graham Parker eingestiegen war, hat sich schon halb bei der Band abgemeldet, um mit Ex-Rainbow Jimmy Bain etwas Neues aufzuziehen. Zwar wirkte Robertson auf „Bad Reputation“ noch mit, doch zeigt das Cover der LP mit Absicht Thin Lizzy als Trio. Auf besagter US-Tournee war jedoch schon der frühere Lizzy Gary Moore eingesprungen, anläßlich jüngster Auftritte in der BRD war dann wiederum Robertson dabei. Schaufeln sich Thin Lizzy mal wieder das eigene Grab? „Nein, das nicht. Aber wenn Brian gehen will, önnen wir das doch nicht verwehren. Momentan spielt er noch oder wieder bei uns, das zählt. Wie’s weitergeht, da bin ich überfragt.“ Scott Gor-: am’s Worte sprühen nicht gerade vor Optimismus. Sieht er durch die New Wave-Bands ine Gefahr für die eigene Band? Nein, im Gegenteil, da tauchen ute Ideen auf, das kann nur vorteilhaft sein. Persönlich mag ich zwar etwa Eddie & The Hot Rods oder die Sex Pistols nicht besonders, aber die Stranglers, Television, Ultravox – ausgezeichnet. Und da gibt’s noch ’ne amerikanische Band, die sind für mich momentan die Größten: Mink DeVille“.

Ein kleiner Nachtrag: Phil Lynott hat jetzt seine Songtexte, versehen mit hübschen Zeichnungen, in einem kleinen Poesie-Band veröffentlicht. Interessenten können das Bändchen beziehen über Thin Lizzy, 52 Dean Street, London W 1, England.