Nachbericht & Fotos

Drin und weg: The Strokes spielen ein zeitlos altmodisches Konzert in Berlin


Sich 20 Jahre lang unverschämt rar machen – und dann plötzlich für etwas mehr als eine Stunde auf den Punkt bringen, was Rock-und-Roll-Musik auch im 23. Jahr nach der Markteinführung von Auto-Tune unverzichtbar macht: So haben The Strokes in der Berliner Columbiahalle am Freitag ihr ziemlich aufgeregtes Mitt-Dreißiger-Publikum glücklich gemacht.

Berlin ist bekanntlich die Spektakel-Hauptstadt Festland-Europas. Ständig geht hier irgendein Pet Shop Boy Mandelmilch kaufen. Andauernd erscheint einem talentierten Schlafzimmer-Produzenten aus Yorkshire im „Berghain“ Gott. Oder es schiebt sich einem Julian Casablancas nachts um halb drei am Eingang in die Mitte-Bar entgegen, die man gerade zu verlassen im Begriff ist – aber das ist eine andere Geschichte.

Doch dass die Strokes in der Hauptstadt spielen, ist dann selbst für die Berliner und ihre ganzjährigen Couch- und Hostel-Gäste etwas Besonderes, weil die Strokes das nur etwa alle 14 Jahre tun. Deshalb kommen die, die in der Online-Ticketlotterie ihren Warenkorb tatsächlich ins Ziel schieben durften, sogar extra herbeigejettet und verflixibussen sich morgen auch gleich wieder, nach München oder Warschau oder Münster.

Deutlich aufgeregter sind sie, als Mitt-Dreißiger (geschätzter Altersdurchschnitt) das sonst so zu zeigen bereit sind. Und allein durch das Hervorsprudeln der Binsenweisheit, dass man seine Lieblingsband von vor 15 Jahren tatsächlich noch nie live gesehen hat, lassen sich zehnminütige Zustimmungs-Orgien in der Bierschlange feiern. Klar, von einer richtigen Europa-Tour zu ihrem für den 10. April angekündigten sechsten – von Rick Rubin produzierten – Album THE NEW ABNORMAL geht auch diesmal niemand aus, der nicht schon ordentlich Wegbier hatte.

Diesmal liefern sie ab

Schade, wirklich. Denn auch wenn The Strokes bei ihrem Unterstützungsgig für den US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders kürzlich einen eher verblasenen Eindruck gemacht haben (aber immerhin von New Hampshire Cops von der Bühne beordert werden mussten) und der von seinem ersten Bühnen-Step (in unvermeidlichen Converse-Tretern) an ziemlich derangiert wirkende Sänger Julian Casablancas – Wegbiere? – einem das Gefühl gibt, als könnte hier heute Abend noch irgendein Doherty’sches Missgeschick passieren: Diesmal liefern sie ab.

Bespielen, wie bei einer guten Garagen-Rock-und-Roll-Kapelle üblich, das immerhin Parkdeck-große Auditorium der Columbiahalle (für die Strokes dennoch ein Clubkonzert) einfach wie die vierte Wand ihres Proberaums. „Humorlos“ wie man sagt, obwohl man konzentriert meint. Dieses entscheidende kleine Bisschen zu laut. Beständiges Scheppern eingepreist, die nicht wenigen für unser Jahrhundert längst rockhistorischen Gitarren-Riffs aber doch prägnant genug, dass sie die Leute mitsingen können. (Auch so eine scheußliche Angewohnheit des modern-extrovertierten Menschen.)

Wer das Phänomen um diese Band nie so ganz verstanden hat, ihnen heute noch jede Hook und jeden Beat unter die Nase hält, den sie irgendwo bei Tom Petty oder Lou Reed geklaut haben, sollte das hier wenigstens einmal live erleben: Rockmusik, die auf ihre altmodischste Art – Indoor/Bühne/Frontalunterricht – so eindringlich aufgeführt wird, dass der Behauptung vom „Tod der Gitarre“ postwendend aus 1000 Mündern Auferstehungs-Berichte entgegengeschleudert werden wie aus dem Neuen Testament.

Rockmusik wider den angeblichen Tod der Gitarre

Ganz davon abgesehen, dass diese Typen, wie sie da nebeneinander gereiht jeder seine eigene Nicht-Show aufführend, immer noch dermaßen NYC-cool aussehen in ihren Shirt-, Sport- und Anzugsachen. Nicht wie für, sondern aus den Filmen Wes Andersons, des früheren Jarmusch‘ und vom mittleren Woody Allen zusammengecastet. Nur Casablancas in seiner Lederjacke mit dem hochgestellten Kragen hinterlässt mehr so den Eindruck „Clerks“-Komparse, torkelt hier hin, hockt sich dorthin, stammelt Liebt-mich-schlagt-mich-ach-ich-weiß-auch-nicht-Ansagen und weiß als ausgewiesener Nichttänzer vielleicht einfach auch nicht so recht wohin mit sich in den instrumentalen Passagen, in denen die Lines und Licks von Albert Hammond Jr. und Nick Valensi geil miteinander rummachen.

Am Ende geht Julian dann einfach im wogenden Publikum verloren wie im Bällebad. Anders als Andreya Casablancas (!) von der hiesigen Vorgruppe Gurr, die mit Anlauf von der Bühnenkante fliegend dorthin gefunden hat, hat er zwar den Nebeneingang genommen, singt und nölt und plärrt aber selbst dermaßen bedrängt und eingequetscht so gut und kaputt wie auf Platte. Als würde ein Kompressor in ihm wüten.

Gurr live als Vorband von The Strokes – die Fotos:

Zwei neue Stücke spielten The Strokes auch

Das Programm besteht zu großen gleichen Teilen – je fünf Songs – aus dem ersten und dem dritten Album, dann noch ein bisschen von dazwischen, von ROOM ON FIRE. Nur eine Single – das quirlig-new-wavige „One Way Trigger“ – von der COMEDOWN MACHINE (2013) und nicht eine Note von ANGLES (2011), womit sie den schärfsten Kommentar zu ihrem jüngeren Schaffen wohl selbst abgeben.

Immerhin zwei neue Stücke: „Bad Decisions“, ein etwas orientierungsloser Halbtempo-Rocker zwischen Billy Idols „Dancing With Myself“ und den späten U2, und „The Adults Are Talking“, das dem Publikum einen melancholischen Gitarrenmelodie-Loop reinstellt, mit dem man sich noch ein paar Abende weiter im Kreis drehen könnte, gäbe es nur nicht immer so viel Ablenkung.

Letzte Zugabe: „Someday“. Noch mal Flashbacks. Jugend. Kicks. Das Publikum tut ein letztes Mal so, als würden da vorne The Clash spielen, circa 1978. Circle-Pit. Security als Körperkräne. Vielleicht ja doch das letzte Aufbäumen einer Kunst- und Begegnungs-Art, die sich nicht streamen, nicht virtuell (nach)realisieren lässt, bei der nur echte Viren viral gehen. Also lasst uns schnell hineinspringen, an der Stelle gleich hinterm Refrain, in der Bass und Schlagzeug ein großes Loch lassen im Lied – denn dann sind wir drin, und dann sind wir weg.

The Strokes live am 14. Februar 2020 in Berlin – die Setlist:

The Strokes Setlist Columbiahalle, Berlin, Germany 2020

 

The Strokes live in Berlin am 14. Februar 2020 – Videos:

https://www.instagram.com/p/B8luEZcl9pV/

https://www.instagram.com/p/B8l0IQfHIgR/

https://www.instagram.com/p/B8lw5p3ICrF/

https://www.instagram.com/p/B8lwHTXoJHO/

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