The Cardigans
Sex! Love! Rock'n'Roll! Die (fast) besten Schweden aller Zeiten ziehen vom Leder.
Dieser Bericht soll mit Bengt Lagerberg anfangen. Das Schicksal hat es so gewollt, daß man vom Drummer der Cardigans eigentlich nie spricht. Doch es muß mal raus: Dieser Lagerberg hat sich einen höchst eigenen Stil angewöhnt, der dem Sound der Cardigans Stabilität verleiht wie der Knochenbau dem Menschen. Seine ausladenden Bewegungen, seine präzisen Schläge sind es, die bei „Erase/Rewind“ den Schwung im Tanzbein erzeugen und bei „Losing A Friend“ den dramatischen Effekt. Vielleicht möchte mal jemand einen Lagerberg-Fanclub gründen?
Für eine Band ist es ein gutes Zeichen, wenn ihre Nebendarsteller fähig sind, Akzente zu setzen. Daß die Hauptattraktion der Band Nina Persson ist. steht dennoch außer Frage. Was für ein Unterschied zu der schüchtern wirkenden Person, die da vor zehn Jahren auf der Bühne stand! Heute stellt sie sich während des Openers „Drip Drop Teardrop“ breitbeinig hin und ballt die Hand zur Siegerfaust. Die Cardigans haben eine musikalische Generalüberholung hinter sich gebracht, wie sie nur ganz wenigen Bands gelingt. Aus Mauerblümchen mit Hang zur leichten Muse sind selbstbewußte Popmusiker mit Mumm geworden. Bei Nina merkt man das auch an der Stimme: Den kraftvollen Refrain von „You’re The Storm“ meistert sie mit Bravour.
Die Berliner reagieren anfangs etwas perplex auf die Vorstellung der besten Popschweden aller Zeiten nach Abba. Ein paar Songs braucht man zum Warmwerden. „For What It’s Worth“ überzeugt dann zum ersten Mal, nicht zuletzt wegen Ninas patentem Harmonikaspiel. Es folgt eine Reihe von bittersüßen Liebesliedern. „This Is Not Funny“, tadelt Nina ein paar Fans, die sich über die romantische Ader beömmeln.
Leicht machen die Cardigans es ihren Fans nicht. Schlappe sechzig Minuten dauert der Hauptset, noch dazu gibt’s darin keinen einzigen der alten Hits. Kein „Rise And Shine“, kein „Carnival“, kein „Lovefool“; statt dessen beenden sie das Konzert mit dem melancholischen „Communication“. Zum Finale wirft Nina Rosen unters Volk; eine Geste, die nicht eben zum Standardrepertoire von Rockbands gehört. Sie verfehlt ihre Wirkung nicht: Bei so viel Charme verzeihen die Fans den ausbleibenden Griff in die Hitkiste und feiern die Band. Auch den unbesungenen Helden Lagerberg, versteht sich.
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