The Beatles: The Beatles Get Back


Erst wollten sie nur zurückgehen, dann aber ließen sie es ganz sein.

In gerade einmal sechs Jahren hatten sie die Welt verändert. Von der ersten Single „Love Me Do“ im Oktober 1962 bis November 1968, dem Monat, in dem das „Weiße Album“ erschien, waren The Beatles von der archetypischen Teenie-Band zur einflussreichsten Gruppe der Welt geworden. Die kreative Hand von Produzent George Martin war verantwortlich für die künstlerischen Quantensprünge der Alben nach der naiven Phase RUBBER SOUL, REVOLVER, SGT. PEPPER’S, THE BEATLES, ABBEY ROAD. Sie beeinflussen bis in die Gegenwart nahezu jedes Genre der populären Musik. Mitte 1968 gibt es die ersten Risse im Gruppengefüge. Bei den Aufnahmen zu The beatles – dem „Weißen Album“ – zwischen Mai und Oktober 1968 sind nie mehr als zwei Bandmitglieder gleichzeitig im Studio. Der letzte Liveauftritt findet am 29. August 1966 im „Candlestick Park“ in San Francisco statt. Die Musik der Beatles ist zu komplex geworden, um sie mit den technischen Möglichkeiten der 60er Jahre auf die Bühne zu bringen.

Paul McCartney fühlt sich nach dem Tod von Manager Brian Epstein als Chef. Er befindet, es müsse ein Ruck durch die Band gehen. Der Versuch, wieder „wie früher“ zu sein, soll es richten. Am liebsten würde McCartney mit den Beatles auf Tour gehen. Die anderen lehnen ab. Kompromiss: Ein einziger Auftritt vor spektakulärer Kulisse – in einem Amphitheater, in der Sahara oder auf einem Schiff. Proben und Konzert sollen für ein Fernsehspecial gefilmt werden. Lennon besteht darauf, dass die Songs so einfach wie möglich sein, so live wie möglich aufgenommen werden sollen. Das Projekt bekommt den Arbeitstitel „Get Back“.

Am 2. Januar 1969 ziehen die Beatles mit Toningenieur Glyn Johns in den Twickenham Filmstudios in London ein. Dabei ist ein Filmteam von Regisseur Michael Lindsay-Hogg. In 29 Tagen entstehen über 90 Stunden Ton- und Filmaufnahmen, die die Beatles bei wenig inspirierten Proben zeigen. Es werden mehrere 100 Tracks aufgenommen – von der dreisekündigen Skizze bis zum ausgearbeiteten Song, darunter viele Coverversionen (Bob Dylan, Little Richard, Chuck Berry, Buddy Holly, The Drifters). Die Atmosphäre ist frostig. Am 10. Januar verlässt George Harrison die Band. Er lässt sich zur Rückkehr bewegen, aber nur unter veränderten Vorzeichen. TV-Show und Konzert werden auf Eis gelegt. Lindsay-Hogg soll die Beatles jetzt einfach bei den Aufnahmen eines Albums porträtieren. Am 16. Januar enden diese in Twickenham, am 20. Januar werden sie im Kellerstudio des Apple-Hauptquartiers in der Savile Row fortgesetzt. Zehn Tage später, am 30. Januar 1969, dann der End- und Höhepunkt der „Get Back Sessions“: das „Rooftop Konzert“ auf dem Dach des Apple-Gebäudes – es ist der letzte öffentliche Auftritt der Beatles.

Im Verlauf der nächsten Monate verlieren die Beatles das Interesse an dem Projekt. Sie nehmen in Rekordzeit das Album ABBEY ROAD auf. Aus Bändern mit 29 Stunden Musik stellt Tonmann Glyn Johns im Mai 1969 ein Album zusammen: „One After 909“, „Rocker“, „Save The Last Dance For Me“, „Don’t Let Me Down“, „Dig A Pony“, „I’ve Got A Feeling“, „Get Back“, „For Your Blue“, „Teddy Boy“, „Two Of Us“, „Maggie Mae“, „Dig It“, Let It Be“, „The Long And Winding Road“, „Get Back (Reprise)“. Für das Cover wird das Motiv des ersten Beatles-Albums please please me nachgestellt. Fotograf Angus McBean lichtet die Beatles in derselben Pose und aus demselben Blickwinkel im Treppenhaus des Hauptquartiers der Plattenfirma EMI ab. EMI lässt Testpressungen des Albums herstellen. Eine davon landet beim Radiosender WBCN in Boston, der das komplette Album spielt – Quelle für zahlreiche Bootleg-LPs. Im September wird abbey road veröffentlicht, im Dezember das „Get Back“-Projekt auf Eis gelegt. Weil aber der Film einen Soundtrack braucht, wird Glyn Johns abermals mit der Zusammenstellung eines Albums beauftragt. Er legt es im Januar 1970 vor. „Teddy Boy“

wird heruntergenommen, „Across The Universe“ und „I Me Mine“ hinzugefügt. Abermals lehnen die Beatles die Veröffentlichung ab. Im März werden die Bänder auf Betreiben von Beatles-Manager Allen Klein dem Produzenten Phil Spector übergeben. Er überarbeitet die Aufnahmen und fügt „Let It Be“, „The Long And Winding Road“ und „Across The Universe“ seinen „Wall Of Sound“ aus Streichern und Chorgesang hinzu. Am 8. Mai 1970 wird die Spector-Version als let it be veröffentlicht, fünf Tage später kommt der Film in die Kinos. Die Beatles sind da schon Geschichte. Am 10. April 1970 hatte Paul McCartney seinen Ausstieg erklärt.

Relikte&Rekonstruktionen: Weder das Album LET IT BE, noch die Compilation LET IT BE…NAKED (mit den vom Spector-Sound befreiten Aufnahmen) vom November 2003 sind identisch mit „Get Back“. Obwohl LET IT BE…NAKED schon nahe an der Ursprungs-idee ist. Es fehlen die Dialogfetzen zwischen den Songs, die den Charme der Glyn-Johns Alben ausmachen.