The Band That Wasn’t There
Zur Ankunft ihres fünften Albums Get Behind Me Satan entziehen sich die White Stripes den Medien. Aber wenn die Band nicht zum ME kommt, muß der ME eben zur Band gehen. Acht Tage sind wir Jack und Meg durch Zentralamerika gefolgt, wo Leguane. Hurrikane und Vulkane lauern. Und: Satsa-mangelernährte Rockfans... dies ist ein hystorisches Ereignis!
Sinkflug, einlullendes Ruckein. Der schlaftrunkene Blick glitscht zum Kabinenbildschirm: noch 7.400 Fuß Höhe. In diesem Moment ein alles erschütternder RUMMS! Etwas Riesiges muß die dicke 747 gerammt haben. Adrenalinschub, Haarwurzelprickeln. Na großartig. Und Jack White ist an allem Schuld! Vor anderthalb Wochen ist, mit kurzknapper Vorankündigung, die Vorab-Promo (Vinyl) des neuen, fünften White-Stripes-Albums in die Redaktion geflattert, Get Behind Me Satan, Veröffentlichung 6. Juni 2005. Eines der am gespanntesten erwarteten Alben des Jahres, dazu die Information des Labels, Jack und Meg White würden vorerst keinerlei Interviews dazu geben. Das „vorerst“ sehr klein geschrieben. Ein Kollege erinnerte sich, wie er noch zu White Blood Cells-Zeiten 2001 vom Label Jack Whites Privatnummer bekam, um ihn für ein Telefoninterview anzurufen. Und wie man am Elephant-Promotag vor zwei Jahren abends noch mit den Whites essen ging. Jetzt also Abschottung. Allerdings sei die Band dabei, den ersten Teil ihrer Welttournee anzutreten: zwölf Konzerte in Lateinamerika. Da könnte man auf ein paar einen Blick werfen. Dieser Jack White. Ein Mann mit Prinzipien. Das muß man respektieren. Vor allem, wenn man als Alternativprogramm für eine hektische halbe Stunde Geplauder in einem Hotelzimmer acht Tage lang von Konzert zu Konzert durch Mittelamerika zockeln darf. Unfaire Überprivilegierung, so gehört sich das im Rockgeschäft. Und jetzt dies. Ein gehetzter Blick vorbei an den seltsam gelassenen Mitpassagieren aus dem Bullauge. Etwas Riesiges hat den Flieger gerammt: die Landebahn des Flughafens Mexico City mit der Erde unten dran. Die Stadt liegt auf 2.200 Metern Höhe, du meine Güte.
Mexico City, eigentlich Mexico D.F. (distrito federal), riecht warm und nach Abgasen. Es wirkt da, wo Geld ist und man offenbar alles so angloamerikanisch wie möglich will, wie ein hektischeres Los Angeles mit mehr Fußgängern und wilderen Autos. In Ecken wie um den zentralen Platz Zocalo brummt und wuselt es südländisch, mit einem schwachen Eindruck der krassen Armut, die hier krassem Reichtum gegenübersteht. Es gibt einen Platz, an dem sich abends Mariachi-Bands veritable Battles liefern, wie man hört nicht in erster Linie für die Touristen. Im Vorbeifahren sieht man glorios uniformierte Musiker in der Nachmittagssonne warten. Im poshen Hotelzimmer hängt derweil ein Zettel an der Stereoanlage: „Call the reception to get your copy of Moby’s new limited edition double CD ‚Hotel'“. Neben Salsa und R’n’B quäken auch Travis und Keane im Radiowecker, im TV gibt’s amerikanisiertes Programm mit über hundert Kanälen, spanischem CNN, „Esposas Desesperados“, Libertines in der Axe-Werbung (!) und White-Stripes-Konzerthinweis („controversio!“) im Werbeblock von „Los Simpson“.
Das Konzert heute, das dritte der Tournee, wird das erste sein, bei dem Journalisten zugelassen sind. Neben dem ME und Colleen und Kate vom Label aus London sind angereist: Pierre und Fotograf Benny vom französischen Magazin Les Inrockutibles sowie Barry aus Glasgow (der wohl wegen seines bleichen Teints und rockstarigen Styles am Flughafen für Jack White gehalten wurde und trotz Widerspruchs Autogramme geben mußte) und der Fotograf Andy, beide für den NME. Pierre ist trotz humorig-schulternzuckend wiederholter eindeutiger Ansagen der Labelfrauen bezüglich Bandkontakt grimming zuversichtlich, hier mehr zu erreichen, als nur ein Konzert zu sehen. „Wir müssen morgen Colleen bearbeiten“, sagt er beim Bier am Vorabend des Gigs. „Ein kurzes Interview geht schon.“ Ich erinnere mich daran, wie mir Sven von Beggars in Hamburg vor der Abreise die Mobilnummer des Tourmanagers nur für den „absoluten Notfall“ und mit dem Hinweis geben wollte, er habe sich dafür „verbürgen“ müssen, daß auf diesem Weg nicht noch einmal nach Interviews gefragt werde. Schau, Pierre: Sogar Nachfragen ist verboten. Die zerfallen zu Staub, wenn sie nur eine Anfrage bekommen.
Alles rotweißschwarz. Plötzlich sind überdurchschnittlich viele Autos rotweiß lackiert. Unnormal viele Passanten rotweiß gekleidt. Verkehrschilder. Rauchverbotsschilder. Schußwaffenverbotsschilder. Die Marlboro-Werbung. Jack ist, wie Meg, Kettenraucher. Marlboro. Es ist sein einziges Laster, sagt er; er alkohol- und drogenfrei. Ein Mann mit Prinzipien. Bei keinem der Konzerte wird man auf der Bühne eine Zigarette sehen. In der Arena der Kunst und in der mystischen Selbstinstenierung der White Stripes haben Konsum und -produkte nichts zu suchen. Kein Endorsement jedweder Art. Umso mehr dürften Jack die rotweißen Lolli-Herzen überall am Palacio De Los Deportes mißfallen, das Logo der Eismarke, die den Sportpalast sponsort, aber wirkt, als gehöre es zur Band.
Rund um den gürteltieresken Kuppelbau entfaltet sich Stunden vor dem Konzert ein riesiger Markt aus Buden und ausgebreiteten Decken, auf dem White-Stripes-Bootleg-Merchandise angeboten werden, von einer überbordenden Auswahl an T-Shirts über Tassen, Fantasieposter („Elephant Tour 2005“) bis hin zu Glasflaschen mit „White Stripes Mexico“-Sandstrahlgravur. NME-Fotograf Andy deutet auf einen Stapel T-Shirts mit Foto-Aufdruck: „That’s one of my pictures!“
Der PalaciO De Los Deportes ist internationale Gäste gewohnt. Audioslave haben sie zuletzt hier gesehen, „Placebo, The Hives , erzählen Gael und Mirella, zwei der vielen Kids unter den ca. 5.000 hier in rotweißschwarz. Derweil sind Colleen, Kate und die NME-Männer abgängig und Pierre ernsthaft angepißt. „Did you see that the NME guy got a working pass?“, fragt er. „That means backstage.“ Du meinst, der NME verkonsumiert gerade eine Extrawurst? Kann ich nicht glauben. Pierre bleibt mißtraurisch. „You know how it is. There’s always something possible for the NME. A little interview.“ Später kommt Barry zurück und sagt, er habe in einer ruhigen Ecke schon mal angefangen, an seiner Geschichte zu schreiben.
Bald ist die Vorband, die Greenhornes, ein Garagerock-Trio aus Ohio, Freunde von Jack, die der letztes Jahr für das von ihm produzierte Loretta-Lynne-Album Van Lear Rose engagierte, fertig. „Music for truck drivers“, grummelt Pierre. Die in schwarze Anzüge mit Hüten und rote Krawatten gekleideten Crewmitglieder (wie alle Stripes-Visuals eine Idee von Konzeptor Jack White) haben ihre Arbeit getan: Die Bühne sieht jetzt aus wie ein Fellini-Filmset (demnächst sollen zu der prachtvollen rotweißschwarzen Bannerkulisse mit Palmensilhouetten und mystischem weißem Apfel als Zentrum/Sonne noch weiße Kunststoffpalmen nachgeliefert werden), der darauf wartet, von einer zehnköpfigen Lounge-Combo in Beschlag genommen zu werden. Auf der Bühne steht an Gerät (in rotweißschwarz, außer wo vermerkt): drei Gitarrenverstärker, Vintage. Drei E-Gitarren, Vintage (eine silbergrau). Ein Baßverstärker mit Instrument. Eine Mandoline (dunkelbraun). Eine Akustikgitarre (dunkelbraun). Ein Flügel. Ein Wurlitzer E-Piano. Zwei Keyboards. Ein Marimbaphon. Drums. Bongos (hellbraun). Pauken, rot verkleidet, mit Triangel. Sieben Gesangsmikrophone. Das Set-Up der letzten White-Stripes-Tour benötigte 16 Stöpsel im Mischpult. Bei der neuen Produktion, die der umentalen Vielfalt von Get Behind Me Satan folgt, sind es 39.
Das Licht geht aus, ein ohrenbetäubendes Kreischen bricht los. Meg und Jack staksen auf die Bühne, teufelsfratzige Holzmasken vor den Gesichtern. Legen sie weg und stürzen sich – Meg mit einem so nonchalanten Haar-über-die-Schulter-Wurf, daß die beiden US -Austauschstudenten mit den „Meg’s Groupie“ -T-Shirts wohl bereits in Ohnmacht gesunken sind – in „Blue Orchid“. Jack sieht ohne Maske mindestens genauso respekteinflößend aus. Mit silberbeschnallter Mariachi-Hose und Fantasie-Orden-besetztem Jacket, dünnem Schnäuzer, Kinnbärtchen und stechendem Blick unter wildem, pechschwarzem Haar und tief sitzendem Zorro-Hut und wie er seine feuerrote Airline-Gitarre herumreißt, wirkt er wie Sgt. Pepper, der auf die dunkle Seite der Macht übergetreten ist. Wie ein Getriebener hetzt er die folgenden 75 Minuten zwischen seinen Instrumenten hin und her, kein Innehalten, der letzte Pianoakkord hängt noch in der Luft, da hat er schon den Gitarrengurt übergeworfen, ein Blick zu Meg, ein Nicken, ein Zuruf manchmal, zack, der nächste Song auf der nie vorher festgelegten Setlist. Er wirft die Jacke ab, beim Anblick dieses Oberarmes legt man eine Gedenkminute für Jason Stollsteimer ein, den Sänger der Von Bondies und einstigen Freund Whites, den der 2003 in einer Detroiter Bar krankenhausreif prügelte. Ein paar hübsch abgründige Widersprüche dürften aneinander herumzerren in einem, der wiederholt den Verlust von „Kindness“ und Gentleman-Tugenden in der Postmoderne beklagte, nicht trinkt und flucht und sich angewidert zeigt von Machismo und sich auf der anderen Seite zu einem solchen Gewaltexzeß hinreißen läßt. Zwei oder drei Dinge, über die man vielleicht ungern Interviewfragen beantwortet.
Neun Hits und sechs neue Songs gibt’s heute, unter anderen. Höhepunkte sind „The Nurse“, für dessen glorios morbide vier Minuten pro Abend die Whites eine ausgewachsene Marimba durch die Welt fliegen lassen, „Ugly As I Seem“ mit der neben Jack schneidersitzenden Bongo-Meg und Jacks schlidderndes Solo im Bluesfetzen „Ball And Biscuit“. Als Meg und Jack nach einem wie von Sinnen umjubelten „I Just Don’t Know What To Do With Myself“ Hand in Hand von der Bühne gegangen sind, singt die entrückte Menge das Ewigkeitsriff von „7 Nation Army“. Die gibt’s dann als Zugabe. Im Finale, Leadbellys „Boll Weevil“, einem Lieblingscover von White, fordert er zum Mitsingen der letzten Zeile auf: „because it’s the truth“: „When they ask you people, who sang you this song.Tell ‚em it was Jackie White, he ’s still looking for a home.“ He’s looking for a home. „My big sister thanks you and I thank you“, sagt Jack. Nimmt die Hand von Meg. Und dann sind sie weg.
Beim Absacker redet Colleen über das Tempo der Whites mit ihrer neuen Platte. „Elephant war fertig, ein Jahr bevor er erschien, Get Behind Me Satan wurde jetzt im März aufgenommen und wird im Juni in den Läden stehen.“ Sie könne sich nicht erinnern, jemals ein Album mit so kurzer Vorlaufzeit veröffentlicht zu haben. Zudem war keiner der 13 Songs fertig geschrieben, als Meg und Jack sich im März in ihr Third Man Studio in Detroit zurückzogen. Seit den 60 er/70er-Jahren, den letzten Rockjahrzehnten, denen Digitalabstinenzler und Traditionalist White gerade noch so über den Weg traut, dürfte keine große Band mehr derart ofen warm frischkomponierte Songs veröffentlicht haben. Wer Get Behind Me Satan Anfang Juni hört, hört, was vor drei Monaten in Jack Whites Kopflos war. Auf Eis – von wegen konkurrierende Veröffentlichungen – liegt dafür noch das längst fertige gemeinsame Album von White und Kumpel Brendan Benson.
Jetzt können wir’s ja sagen. Es gibt ein Interview mit Jack und Meg. Genauer: Von Meg mit Jack. Das halbseitige Transkript liegt dem Platteninfo zu Get Behind Me Satan bei. Es ist kryptisch, aber nicht gänzlich aufschlußarm.
Wenn man von San Francisco aus einem Dorf auf halber Höhe des Volcan Papaya in der Nähe von Antigua Guatemala, eine Stunde in Richtung des lavaspotzenden Vulkanschlundes geht, steht da an dem Nationalparktrail im Wald eine Tafel, die den Arbol De Hormigo erklärt. Aus dem Holz des „Ameisenbaumes“ wird von jeher traditionellerweise die Marimba gebaut, das guatemaltekische Nationalinstrument. Lange schon ist die traditionell von vier Musikern bespielte Marimba – ein großer Bruder des Xylo- und Vorfahr des Vibraphons – ein über Zentralamerika hinaus beliebtes Instrument in Jazz und Pop. Relativ wenige Garagenrockbands nennen eine ihr eigen; Jack White hat sich ein rotweißes Prachtexemplar spezialanfertigen lassen.
Im und um das Grand Tikal Futura in Guatemala City ist es nicht so schön wie in den Wäldern am Pacaya. Das protzig wie ein gläserner Termitenhügel aus der versmogten Stadt aufragende Hotel hockt auf seiner eigenen schäbigen Shopping Mall, in einer Umgebungaus Fastfoodscheunen und Billigladenketten, Americanstyle Trash-Kommerz vom deprimierendsten. Im ans Hotel angeschlossenen Centro De Convenciones spielen heute Los White Stripe. Band und Crew wohnen wie wir im Grand Tikal, meine (als Anstandswauwau?) verbliebene Begleiterin Kate hat mich pflichtschuldig daraufhingewiesen, es sei Respektssache, Jack White nicht in ein Gespräch zu verwickeln, sollte ich ihm über den Weg laufen.
Man läuft Jack White nicht über den Weg. Dafür, im Hotelrestaurant, Stripes-Tourmanager und -Vertrauensmann John Baker, „l’m with the White Stripes. And Meg White, the drummer, she’s hungry. Can we get something to eat for her backstage?“ brettert er los. Herberth, der freundliche Ober, der kaum englisch spricht, hat sieht- und verstehbar keine Ahnung, wer oder was „The White Stripes“, „Meg, the drummer“ und „backstage“ sein soll. „Do you have mashpoatoes?“, fragt Baker. Da! Ein Hinweis. Ein Bit Information aus dem inner circle. Meg White mag Stampfkartoffeln. Aufpicken. Analysieren. Hm. Später John Baker im Aufzug, schon wieder in anderer Mission unterwegs, den Arm voll Laptop, Walkie-Talkie und Papieren. Alles gut? „Ein bißchen stressig, aber okay. Die Veranstalter wollen auf den Leinwänden Marilyn-Manson-Videoszeigen.“ Alles ein wenig metal hier, nicht wahr? „Naja. Street music eben „, sagt Baker betont entspannt. Aber daß vor der Show im Venue Gothmetal-Clips gespielt werden, kommt natürlich keineswegs in die Tüte. Dafür dröhnt jetzt funhouse von den Stooges aus den Boxen, später AC/DC. Dann The Sonics, eine Lieblingsband der Whites, mit ihrer Version von „Do You Love Me“. „Do the mashpotato!“ röhrt Gerry Roslie. Oh.
Vor der Halle steht der Übertragungswagen des Rock-Radiosenders La Marca fm94. La Marca, sagt die Mitarbeiterin Gabriela, ist Mitveranstalter heute abend. „Wir sind so ziemlich der einzige Sender, der diese Art Musikspielt.“ Vnd, hoho, habt ihr ein Interview gemacht? „Ja.“ WIE BITTE? „Mit Meg und Jack, am Telefon.“ Nachdem der ME-Reporter wiederbelebt worden ist, erklärt Kate: Ja, es habe kurzfristig einen 15-Minuten-Phoner gegeben, am Handy, mit Dolmetscher, muß recht kompliziert gewesen sein. War vom Veranstalter dringend angefragt worden, um die Ticketverkäufe etwas anzukurbeln und wird eine absolute Ausnahme bleiben. Kann denn Gabriela mir ein Tape von dem Gespräch ziehen? „Nein, wir haben es nicht aufgenommen. Es war live auf Sendung.“ La vida loca. Zwei Themen des offenbar nicht zu tiefgründigen Gespräches sind Gabriela in Erinnerung. 1. Jack wußte nicht, daß die Marimba ein „simbolo patrio“ von Guatemala ist und war sehr erfreut, das zu hören. 2. Jack äußerte die Absicht, das 50 Kilometer entfernte Antigua zu besuchen, die von Erdbeben angeknackste, im Kolonialstil schlummernde: einstige Hauptstadt von Zentralamerika. Weil er von diesem Ort gehört hatte, an dem die Zeit stehen geblieben ist und ihn diese Vorstellung fasziniert.
In der Vorhalle sitzt Amber, die Merchandise-Beauftragte der White Stripes, nicht besonders leut- und redselig gegenüber Journalistennasen, wie alle Mitglieder der eingeschworenen, zum Großteil lange vertrauten Entourage, denen man so begegnet. Man will dann auch nicht tiefer in sie dringen. Sie hat eh viel zu tun, die von der Band eigens für Lateinamerika gedruckten „Las Rayas Biancas“-T-Shirts gehen heute gut: Von einem Bootleg-Markt vor der Tür keine Spur, diese Industrie gibt es hier in Guatemala nicht. Warum, verraten indirekt Maria, Carmen und Bera, 19 bzw. 18 Jahre alt. Das sei hier heute das erste Konzert einer englischen oder US-amerikanischen Band in Guatemala, sagen sie. Die spielen sonst immer nur in Mexiko und fliegen dann runter nach Brasilien. „They just skip our country „, sagt Bera. Das sei hier heute ein „historisches Ereignis “ ruft Maria. Meg ist ihre Heldin. Sie ist selber Schlagzeugerin und drauf und dran, eine Band zu gründen. Die hiesige Indierock-Szene könnte auf jeden Fall motivierte Kräfte gebrauchen. Die Masse hört Salsa und dessen Pop-Derivate, hiesige „moderne“ Rockbands klingen wahrscheinlich am ehesten so wie der heutige Support-Act Demonico (die Greenhornes waren nur in Mexiko dabei) mit ihrer röhrigen Sängerin und schwitzigem Grooverock. Eine ziemliche Katastrophe, die die White Stripes jetzt mit einem Set vergessen machen, den man triumphal nennen darf.
Zum Kreischen der ca. 3.000 tappen Meg und ]ack diesmal in folkloristischen Totenkopfmasken herein. „Hola!“. Die Hits perlen, sieben neue Stücke kommen dran, Meg singt ihr 35 sekündiges Pauken-Intermezzo „Passive Manipulation“ eine Message an ihre Sisters – gleich zweimal, gegen Ende des Hauptsets ein übermütiges „I Wanna Be Your Dog“, eine brodelnde „Jolene“ und Jacks ungewöhnlich leutseliges „If you want to sing with us we ‚d be happy about it. This is called Motel Yorba.“ Zur Zugabe dann noch mehr Vertraulichkeiten für die zwischen Beatlemania-Kreischen und wüstem Mosh-Tumult taumelnde Menge. „We’ll be back in Guatemala „, verspricht der gut gelaunte Herr White vor dem Finale „Boll Weevil“, „and then we’ll play here and we’ll play Antigua and we’ll play on the west coast!“
Der Mann, dem „truth“ und Wahrhaftigkeit heilig ist, wird wohl hoffentlich nicht mit den Gefühlen dieser Kids spielen. Das war Wahnsinn. Hölle Hölle.
Nach dem Konzert noch einmal Maria. Sie hat einen von Megs Drumsticks ergattert. Und eine bemerkenswerte Information auf Lager: Für morgen, wenn wir Gringos hier alle nach Panama weiterfliegen wollen, ist ein Hurrikan angesagt.
Nebenan im Hotel derweil kleiner Alarm. Ein paar Kids seien im Haus, bemerkt John Baker, die auf den Fluren rumliefen. Im Foyer wartet, mit ihrer sie coachenden Mutter, die schüchtern wirkende 14jährige Lucy, Autogrammblock in der Hand. Plötzlich sieht man über die Galerie im ersten Stock Meg White in Begleitung von Steve, dem ca. zwei mal zwei Meter großen Security-Chef der Stripes, auf die Fahrstuhlsäule zukommen. Angestachelt von Muttern huscht Lucy zu den Fahrstühlen im Erdgeschoß und erwischt tatsächlich die Kabine -man kann durch den gläsernen Aufzug zusehen – in die dann im ersten Stock Steve und Meg zusteigen. Steve schirmt Meg in der einen Ecke des Fahrstuhls ab, stellt in der anderen Lucy zur Rede und kommandiert sie aus dem Aufzug. Bevor sich die Tür schließt, beugt Meg sich noch hinaus. Eine Minute später ist Lucy zurück, mit einem Autogramm. Sie wird dann noch lange auf Jack warten. Sehr vergebens.
Er kommt auch nicht zu dem Umtrunk, den die Crew und Meg später in der salsabrüllend lauten Hotelbar einnehmen. Ein Hotelgast latscht zu dem Promitisch und plänkelt, der ME entsinnt sich der sarkastischen Celebrity-Belästigungs-Moritat „Take, Take, Take“ vom neuen Album, seiner gentlemanly values und Steves Oberarm. Das große Enthüllungsinterview kommt heute eh nicht mehr rum. Man klimpert noch ein wenig dilettantisch auf Jack Whites Klavier draußen vor der Tür. Acht Arbeiter haben den weißen Flügel, der vorhin auf der Bühne stand, wieder an seinen Platz im Foyer zurückgeschleppt. Der Flügel ist das eine Instrument, das an jedem Konzertort angemietet wird. Der Flügel sagt gute Nachts Für den anrollenden Tropensturm hat John Baker am nächsten Tag nur schwarzen Humor übrig, „It might be good for your story“, bemerkt er grienend. „Have faith in god, man“, „beruhigt“ mich der Mann an der Rezeption. Da soll mal Jack White seine Beziehungen spielen lassen. „God“ steht auch in den Liner Notes des neuen Album wieder an erster Stelle unter den „Thank you“s und wir sind auf dem gleichen Flug gebucht. So sehe ich ihn – Jack – am Flughafen-Gate zum ersten Mal nicht im Dienst. Ein großer, massiver Mann in blauem Denim, ernst, bleich, etwas müde wirkend. Zwischenzeitlich auf seinem Schoß eine Frau mit großem Strohhut, allem Anschein nach das Mädchen aus dem „Blue Orchid“-Video. Sie hat, man muß es sagen, feuerrotes Haar und schneeweißen Teint.
Wir sind von Bandidos gekidnappt worden. Mir gegenüber in dem moskitoverseuchten Verschlag irgendwo im Dschungel sitzt Jack White. Er hat jetzt wieder seinen Zorrohut auf. Jack, kannst du mir ein bißchen was über deine Faszination mit der Zahl3 erzählen?“, frage ich ihn. „Ich weiß nicht“, sagt Jack, „kannst du mir ein bißchen was über das Universum erzählen?“ Dann grätscht Steve dazwischen. Ich wache auf und sitze neben einem der Crewleute im Flieger. Der erzählt mir dann ein paar kleine, rein technische Sachen und wird morgen vor der Show auf mich zukommen und mich etwas kleinlaut bitten, sie nicht im Text zu verwenden. Was dachtest du, Gringo? Daß du hier ungestraft dem Soundmann die Staatsgeheimnisse entlockst? Der Hurrikan wird unbemerkt überflogen.
Panama. Die Leute hier können am Vormittag im Pazifik surfen gehen und dann nachmittags zum Chillen die dreiviertel Stunde rüberfahren an den Atlantik. Ich muß mir einen Panamahut kaufen und den Panamakanal anschauen. Deliriöse Hitze im Dschungel (nur Sekundärwald, aber hey). Blattschneiderameisen. Und überall Leguane. Ein Schild an der Straße: „Iguanas Crossing“. The Iguanas. Das war die erste Band von Iggy Pop. Womit wir wieder mal in Detroit wären.
Später am Tag. Sind die Kids hier noch alle beim Planschen auf der anderen Seite des Kontinents? Eine Stunde vor Konzertbeginn (keine Vorband heute) hängen im und am Atlapa Convention Center in Panama City gerade mal ein paar
hundert Gäste rum. Anastacio vom hiesigen „Bülboard“-Ableger weiß ein paar Gründe. „Der Veranstalter hat die Show erst vor einer Woche überhaupt angekündigt“, sagt er kopfschüttelnd (obwohl diese kurzfristige Arbeitsweise Jack White gefallen sollte). Seit letztem Samstag läuft ein TV-Spot und der eine Rocksender in Panama-City kündigt die Show an. Plakatierung ist – wie offenbar überall hier unten – nicht üblich. Außerdem sei Rock auch nicht das große Ding hier. „Panama verbindet eine Art Haßliebe mit den USA , sagt er „Rock is consideredwhite music“, bemerkt sein Freund Ricardo. Als Jugendlicher war er Clash- und Pistols-Fan, in einer extremen Minderheit. „Daß die White Stripes heute hier spielen ist, wie wenn mir vorzz Jahren jemand gesagt hätte, The Clash spielen in Panama. Unfaßbar“ Heute ist Ricardo, 38, Anwalt „for liberal causes „und weiß viel über die Zusammenhänge von schwarzer und hispanischer Kultur. „Panama ist karibisch. Hier ist Reggae, vor allem jetzt Dancehall das große Ding, wiebeiden Hispanics in den USA.“
Jack White, der in Detroit in einem hispanic Viertel aufgewachsen ist, in dem er als Rock- und Blues-Fan unter HipHop- und Technofreunden krasser Außenseiter war, trägt jetzt seine Version des Blues in die Mutterländer seiner ehemaligen Nachbarn, wo diese Musik die exotische ist und das bluesige Element, das die White Stripes definitert, mithin gar nicht rezipiert wird. Die Fans, mit denen man über die Musik der Stripes spricht, reden von „Independent Rock“, „Alternative Rock“, häufig „Hard Rock“. Die Begriffe „Blues“ und „Country“ fallen hier nie. Ein Großteil dieser jungen Leute hört vermutlich das Stripes-Cover von Son Houses „Death Letter“ so wie wir Normannen Buena Vista Social Cluh gehört haben.
Plötzlich wird die Halle doch noch halbvoll, die Stimmung aber heute bei weitem nicht so frenetisch wie bei den letzten zwei Konzerten. Auch die Show – zum Auftritt diesmal keine Masken, sondern Jack und eine spukige hölzerne Puppe mit schwarzem Hut, eine Art Mini-Me, das er ins Publikum winken lässt und dann auf einen Verstärker setzt – unterscheidet sich grundlegend von den zweien davor. Es ist die garagenrockigste, wüsteste. Jack, ganz offensichtlich nicht so goldig aufgelegt wie vorgestern, aufgeladen, viel öfter und intensiver als die letzten Abende in Blickkontakt mit Meg (einmal küßte er sie auf die Wange), bleibt weitgehend bei den zum Bersten aufgedrehten E-Gitarren – Marimba, Bongos, zwei der Gitarren, Keyboards und Mandoline sind heute abend umsonst angereist – und reißt, auf Knien robbend, einbeinig auf seinem Zerrpedal balancierend, sichtbar „lost in music“ einen feedbacktriefenden und weitgehend Crowdpleaser-freien, zickigen, schroffen, eigensinnigen, großartigen Auftritt herunter, der mit einem glorios trashigen „7 Nation Army“ endet, zehn Minuten früher als die Konzerte davor.
Im Touri-Dschungel haben wir am Nachmittag Bill und Juanita getroffen, ein afroamerikanisches Ehepaar um die 60. Er hat früher für Chrysler gearbeitet, einen der „Big Three“ Autokonzerne, die Jack White auch schon besungen hat. Ja, sie sind aus Detroit. Schon mal von den White Stripes gehört? Kennen sie die Musik? J’m more ajazzperson „, winkt Bill ab. Die White Stripes machen gerade den Blues wieder hip bei der Jugend. Das gefällt Bill. „Wohnt Ladelle nicht neben dem White-Stripes-Typ?“, sagt Juanita. Bills gute Freundin Ladelle ist im Indian Village, dem Detroiter Viertel, wo keine Industrieruinen stehen, sondern die alten Villen, Nachbarin von Jack White. Anekdoten? Fehlanzeige. „Früher war manchmal diese Schauspielerin da, Renee Zellweger, mit der er zusammen war. Aber sonst?“ Juanita sinniert. „Er soll ja kaum zu Hause sein.“ Nun, he’s still looking for a home.
Am Mittwoch nach der Rückkehr wirbt das Cover des neuen NME mit einem White-Stripes-Interview. Oh, Pierre. Aber warte, was steht da: „Meg interviews Jack!“ Auch Barry hat das „Interview“ aus dem Info abgedruckt. There’s always something possible for the NME. Nur nicht mit Jack White, einem Mann mit Prinzipien.
www.whitestripes.com; www.tripletremelo.com