Techno no? Techno yes? So sieht der Dancefloor des Hier & Jetzt aus
Ist das Goldene Zeitalter vorbei? Vielleicht. Aber das nächste ist schon angebrochen & verspricht nicht weniger Euphorie.

Als ich 2018 nach Berlin zog, war das Gras grüner. Zumindest metaphorisch gesprochen. In einem brüllend heißen August dörrte die stinkende Stadt zwar aus. Doch gab es Oasen, die all das erträglich machten: Clubs. Das Nachtleben eröffnete endlose Möglichkeiten. Gleich bei den ersten Abstechern Club-Hopping zu betreiben, also mehr als einen Club pro Nacht zu besuchen, war Usus, weil das auch mit einem überaus schmalen Prakti-Gehalt ging. So begannen manche Nächte in der Paloma am Kottbusser Tor, führten weiter in die Griessmuehle, von wo aus es am Vormittag in den noch heute lächerlich groß wirkenden Außenbereich des ://about:blank weiterging, um den vorprogrammierten Abfall des Serotoninpegels durch Sonneneinstrahlung präventiv abzumildern. Clubkultur boomte, die Welt war in Ordnung.
Die Krise ist so was von da
Heute sieht das anders aus. Nicht nur Clubs geht es schlechter, die gesamte subkulturelle elektronische Tanzmusik befindet sich in einer veritablen Krise. Diese hat gleich mehrere Ursachen, die einander verstärken: Einen noch immer schwelenden Generationenkonflikt, Feiermüdigkeit, das Weltgeschehen und natürlich wirtschaftliche Gründe.
Doch beginnen wir mit den Clubs selbst. An ihrem Zustand lässt sich gut ablesen, wie es um Techno, House und Konsorten bestellt ist: Ausgehen ist heute ein teureres Vergnügen geworden als eingangs beschrieben. Über 20 Euro Eintritt sind die Regel, nicht die Ausnahme. Die meisten Clubs verlangen diese Preise nicht aus Profitgier. Sie geben an Tür und Bar nur weiter, was ihnen die Inflation diktiert. Personal und Strom kosten mehr, DJs auch. Das schreckt ab und lässt die früher wohlgenährten Schlangen vor den allermeisten Clubs verkümmern.
Und das, obwohl immer mehr Clubs das Zeitliche segnen oder Gefahr laufen, das bald zu tun. Erinnern wir uns an den ersten Absatz. Die kleine, aber feine Paloma gibt es glücklicherweise noch, das ://about:blank kämpft um seinen Fortbestand, die Griessmuehle musste vor inzwischen fünf Jahren schließen, weil der Vermieter, eine Investmentgesellschaft, den Weiterverkauf des Geländes forcierte. Schon damals, 2020, kurz vor der Pandemie, wurde das Ende der Griessmuehle als bis dato stärkstes Symptom einer im gesamten Land grassierenden Krankheit gesehen: des Clubsterbens.
Klar, als subkulturelle Orte waren Clubs schon immer zu Ortswechseln gezwungen. Gerade in Berlin, das seinen Weltruf als Feierhauptstadt maßgeblich den temporären Nutzungen und Zweckentfremdungen der Nachwendezeit verdankt. Der alte Tresor etwa hatte seinen Namen nicht von ungefähr, sondern von einem, man glaubt es kaum, alten Tresorraum, den seine Gründer zum Club umfunktionierten. 2005 wurde er abgerissen. So auch der Berghain-Vorgänger OstGut, der wegen der Bauarbeiten zur Errichtung der heutigen Uber Arena weichen musste. Doch das Ausmaß an Schließungen der letzten Jahre wird sich in einigen Jahren nicht mit angestaubtem Pioniergestus geschichtsklittern lassen. Clubs leiden, und zwar massiv. Nicht umsonst gaben im vergangenen Jahr scheinbar unverwüstliche Institutionen wie das Watergate oder der Salon Zur Wilden Renate ihr Aus bekannt.
Clubsterben ist real – nicht nur in Berlin
Das gilt aber nicht nur für Berlin, der Aufschrei fällt hier aufgrund des Selbstverständnisses als Deutschlands führender Feiermoloch nur größer aus, wenn wieder ein Club dichtmacht. Blicken wir kurz in die anderen deutschen Bastionen der elektronischen Musik. Nach Frankfurt, wo Techno in Deutschland das Laufen lernte: „Es gibt in Frankfurt keine wirkliche Szene mit den dazugehörigen Clubs mehr wie früher“, meinte kürzlich die DJ-Legende Frank Lorber im Interview mit der „Groove“. Und der muss es wissen. Auch Hamburg hat eine ganze Reihe von Schließungen, Umzügen und Unwägbarkeiten zu beklagen, die hier nicht allesamt aufgelistet werden können. Und in Leipzig? Da schloss zum Jahresende mit dem Institut fuer Zukunft (IfZ)ein weiterer Gigant der deutschen Clublandschaft. Auch der Distillery, dem dienstältesten Club in den neuen Bundesländern, ging es im Frühjahr 2024 an den Kragen. Sie wurde abgerissen, hat aber mittlerweile immerhin einen neuen Standort gefunden, an dem es im Frühjahr weitergehen soll.
Diese kleine, nicht ansatzweise vollständige Deutschland-Tour zeigt: Clubsterben ist real. Dafür verantwortlich sind aber nicht nur politische Entscheidungen oder Gentrifizierung. Vielmehr ist das Clubsterben wiederum ein Symptom einer tatsächlich existierenden Krankheit, die für viele Umwälzungen in der elektronischen Tanzmusik verantwortlich zeichnet: COVID. Die Pandemie wird aus heutiger Sicht als der Hauptgrund schlechthin betrachtet, warum es um Clubkultur, wie man sie bis dahin kannte, schlecht steht.
Die Blase musste irgendwann platzen
In meinem zweiten Jahr in Berlin, 2019, prosperierte das Ökosystem elektronischer Musik noch immer ungehemmt. Nicht nur waren die Schlangen vor den Clubs unverhältnismäßig länger als heute, auch Festivals buchten mit scheinbar unbegrenztem Budget obszöne Line-ups aus Headlinern zusammen. Dass das nicht ewig so weitergehen konnte, die vielbeschworene Blase irgendwann platzen musste, schien klar. Wie unvermittelt, überraschte dann doch. Vom einen Tag auf den anderen stand ein globaler Markt still. Logischerweise, lebte er doch ganz wesentlich davon, Künstler:innen für meist nicht mehr als zwei Stunden Auflegen durch die Welt zu fliegen. Manche DJs gar bis zu viermal an einem Wochenende. Vielfliegermeilen sammelten aber nicht nur die Menschen an den Decks. Berlins Nachtleben profitierte so stark vom Billigflug-Tourismus, dass dieser im Namen eines der literarischen Standardwerke zur Clubkultur schlechthin vorkommt: Tobias Rapps „Lost and Sound. Berlin, Techno und der Easyjetset“ von 2009. Die Anzahl der Feiertourist:innen in Berlin hat heute rapide abgenommen, deutlich weniger eskapistische Menschen mit großem Geldbeutel verteilen sich auf die Clubs.
Außerdem entfremdete die pandemische Feier-Flaute Clubgänger:innen und schrumpfte die Szene. Eingefleischte Raver:innen merkten womöglich, dass es gut tut, nicht jedes Wochenende in Clubs zu verbringen. Wieder andere hatten einfach keinen Bock mehr, als es wieder richtig losging. Man wird älter, gründet unter Umständen eine Familie. Und dann wären da noch diejenigen, die während jener Jahre mit elektronischer Musik sozialisiert wurden, denen die eigentlich dafür verantwortlichen Institutionen, Clubs, keine Anleitung mit an die Hand geben konnten: Kids, Heranwachsende, TikTok-Raver:innen – wie immer man sie nennen will.
In der Pandemie baute eine ganze Feiergeneration eine Beziehung zu elektronischer Musik auf, die sich von der der Älteren signifikant unterscheidet – und die konventionelle Clubkultur in ihren Grundfesten erschüttert. Da wäre zunächst die Musik: Die wurde im radikalen Stillstand schneller, greller, heftiger, in vielen Fällen auch schlicht billiger und sorgte bei Alteingesessenen damit für Verdruss. Auch weil sie an den erstmaligen großen Ausverkauf in den Neunzigern erinnerte, als in den Charts sogenannter Kirmestechno selbst die Figuren der Augsburger Puppenkiste“ auf dem Dancefloor an ihren Fäden zappeln ließ. Nun waren es Ski Aggu und Otto Waalkes oder Domiziana, die das Spiel von vorne spielten.
Die neue Unbeschwertheit
Plötzlich hatte ästhetisches Understatement auch in der Gegenwart wieder ausgedient und lange totgesagte Genres wie Trance, Gabber und Hardtechno begründeten ein neues, unbeschwertes Spaßdiktat ohne tiefere Sinnsuche. Muss ja auch nicht sein, wenn man vor allem eins will: Dampf ablassen. Dabei halfen die berüchtigten Edits, die oft genau jene Pop-Stücke durch den Techno-Fleischwolf jagten, die den Alteingesessenen schon in ihrer Teenager-Zeit die Ohren bluten ließen: Dido, Eminem, High School Musical, der Cringe war real, und der traditionelle Distinktionsanspruch elektronischer Musik wurde von frischgebackenen Abiturient:innen genüsslich lächerlich gemacht. Nicht nur im Sound schaltete die Pandemie gleich mehrere Gänge hoch. Auch das Erleben von Musik selbst beschleunigte sich rapide, im virtuellen Raum und auf Raves selbst. Der weiter oben bereits verwendete abwertende Begriff der TikTok-Raver:innen steht im Generationenkonflikt für so ziemlich alles, was Ältere an den Jungen verachten. Und in der Tat vollzog sich die Techno-Sozialisation vieler junger Menschen nicht im Club, sondern auf dem Video-basierten sozialen Netzwerk, wo kurze Tutorial-Videos kursieren: Heteronormative Kids in uniformen Fetisch-Klamotten, deren Bedeutung sie nicht kennen, tanzen zu einem schlechten Abklatsch elektronischer Tanzmusik, deren wahre Kultur sie nicht kennen, auf Events, die mit tatsächlicher Clubkultur nichts gemein haben. So zumindest die Überzeugung vieler Realkeeper.
Besonders der letzte Punkt, die Eventisierung von Techno, hat ungeahnte Ausmaße erreicht. Wo eine Nacht im Club traditonellerweise als Marathon – Warm-up, Peaktime, Afterhour – begriffen wird, erfreut sich der Sprint immer größerer Beliebtheit. Die Marke Unreal versammelte 2023 über 10.000 junge Teutonen vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal, die dort zu Ballertechno von Klangkuenstler oder Kobosil abhotteten. Jeder kauft ein Ticket, alle kommen rein. Solche Events, in der Regel erinnerungsgeschichtlich weniger fragwürdig, sind keine Seltenheit mehr. Raves entwickeln immer mehr Konzertcharakter, spektakuläre Veranstaltungskonzepte erklären den Club und die mit ihm verbundene Kultur der Ausdauer zum Auslaufmodell. Und mögen sie noch so albern wirken, sie lassen sich zugleich als Statement gegen den althergebrachten Elitismus an der Tür und von Szene-Platzhirschen lesen.
Da also die Alten, da die Jungen, unvereinbar nebeneinander anstatt miteinander tanzend – wenn sie denn noch wo tanzen können. Das liest sich bitter. Ist denn wirklich alles schlechter als vor der Pandemie? Wirtschaftlich: Auf jeden Fall. Und doch gibt es Lichtblicke. Die De-Institutionalisierung schadet Techno nicht nur, sie setzt auch neue Schwerpunkte. Zum Beispiel auf Gemeinschaft. Angesichts der kritischen wirtschaftlichen Lage verlegt der Dortmunder Tresor.West, der Ableger des Berliner Tresor, seinen Fokus weg von gagenintensiven Headlinern und hin zu einem Community-Konzept, das aufstrebenden lokalen Talenten bei freiem Eintritt eine Bühne bietet. Das mag aus der Not heraus geboren sein, funktioniert bislang aber gut.
Was jetzt auch noch geht
Die erzwungene Frischzellenkur der letzten Jahre zeitigte weitere positive Trends: clubkulturelle Räume für marginalisierte Gruppen, insbesondere geschaffen von einzelnen Kollektiven und Partyreihen, die ihr ganz eigenes, spezifisches Publikum adressieren. Das kann sich auf Musik, sexuelle Orientierung oder Herkunft beziehen. Oder die Einführung von Awarenessteams. Das sind Ansprechpartner:innen auf Partys, die bei ungewünschten Grenzüberschreitungen konsultiert werden können und sinnbildlich für mehr Achtsamkeit auf dem Dancefloor stehen. Dass man so was früher schlicht nicht gebraucht habe, ist einer der realitätsfernsten Beißreflexe der alten Garde. Mit welcher Hingabe insbesondere viele Jungraver:innen die ausgenudelte Neunziger-Techno-Losung P.L.U.R. – Peace, Love, Unity, Respect – ins 21. Jahrhundert überführen, verdient Respekt.
Die Entwicklung weg von einem großen Floor mit verbindlichen Kontinuitätslinien und Traditionen hin zu kleineren Communitys, sie ist nur folgerichtig: Blasenbildung macht auch vor der elektronischen Tanzmusik nicht Halt. Das kann man bedauern, muss man aber nicht. Kollektive, Künstler:innen und Labels sprechen ihre Crowd direkt über Messenger und Social Media an und stehen mit ihr im aktiven Austausch. Nicht nur schärfen sie so ihr Profil, aus dieser engen Beziehung entsteht ein Geborgenheitsgefühl, das der dumpfen Anonymität entgegenläuft und Individuen in politisch wie gesellschaftlich ungewissen Zeiten auffängt.
Auch die Dienste für das tanzmusikalische Ökosystem nach der Zeitenwende sind nicht zu unterschätzen. Wie oft wurde kurz nach dem Beginn der Pandemie mehr Demut gefordert? Eine Rückbesinnung auf die Grundwerte der elektronischen Tanzmusik sollte es sein. Etwa darauf, wieder mehr lokale DJs zu buchen und grundsätzlich in kleineren Dimensionen zu denken. Tatsächlich kehrten viele der etablierten Promoter 2022 zum Tagesgeschäft zurück, als wäre nichts gewesen. Insbesondere bei den ganz großen Festivals, denen mit den obszönen Line-ups von weiter oben, war von Läuterung nicht viel zu merken. Auf dem „KappaFutur“ in Turin oder der deutschen „Nature One“ tummelte sich 2022 dasselbe gigantomanische Aufgebot an Künstler:innen wie früher. Das war sicherlich nötig, um sein Kernpublikum zu befriedigen, einen faden Beigeschmack hatte es trotzdem. Andere witterten das schnelle post-pandemische Geld wie das „Decibel Open Air“ in Florenz. Das Festival setzte seine auf 35.000 Besucher:innen taxierte Ausgabe 2023 mit desaströser Organisation, schlecht kommunizierten Absagen von Acts und einer auf den letzten Drücker nicht erteilten Alkohol-Lizenz spektakulär in den Sand.
Und während auch mittelgroße Traditionsfestivals wie das „ Garbicz“ strauchelten oder ganz von der Landkarte verschwanden wie das „MELT“, offenbarte sich Resilienz in kleineren Strukturen. Neue Festivals wie das erstmals 2023 abgehaltene „Good2U“ legten den Fokus auf traditionelle Spielarten von Techno und House und kehrten zeitgenössischen Hypes bewusst den Rücken. Mit einer Kapazität von 800 Personen mutet es an wie ein Rave von der Community für die Community und repräsentiert damit ziemlich genau jene anspruchsvolle Bescheidenheit, die das Potenzial für Veränderung in sich trägt. Diese findet sich freilich nicht nur im Festival-Segment, sondern immer öfter auch in nicht profitorientierten oder gar illegalen Partyreihen, die ihren Veranstaltern eine höhere Flexibilität als professionelle Events gewährleisten.
Und das sollte doch gerade die Techno-Berufsnostalgiker:innen schwer beeindrucken. Wäre ich 2025 nach Berlin gezogen, sähen meine ersten Nächte sicher anders aus. Kein exzessives Club-Hopping mehr. Keine schier endlosen Möglichkeiten mehr. Und weniger Gleichgesinnte. Doch auch in der Gegenwart hat elektronische Tanzmusik ihren Reiz. Der Underground existiert weiterhin, wenn auch in geschrumpfter und stärker ausdiversifizierter Form. Was aus ihm wird – und was von ihm übrig bleibt, wird die Zukunft zeigen.