Nachbericht

„Is God a DJ?“: Wir haben mit Robert Hood einen Techno-Gottesdienst gefeiert


Kein LSD im Weihwasser: DJ und „Minister of God’s Word“ Robert Hood lud am vergangenen Wochenende zum „Techno-Prayer“ in der Kreuzberger St.-Thomas-Kirche – und bewies, dass das Tor zur Seele auch in den Beinen liegen kann.

Über die Verbindung von Techno und Religion ist schon viel geschrieben worden. Nicht umsonst werden Raver von Feuilletonredakteuren gerne als „Techno-Jünger“ bezeichnet, die am Sonntag in den „Techno-Tempel“ Berghain „pilgern“. Dass die meisten von ihnen allerdings offenbar schon ziemlich lange nicht mehr in einem tatsächlichen Gotteshaus waren, das konnte man Freitagabend in der Kreuzberger St.-Thomas-Kirche ziemlich gut beobachten.

Anlässlich des 9. Novembers, an dem gleichzeitig der Reichsprogromnacht vor 80 Jahren, sowie des Mauerfalls 1989 gedacht wird, lud die evangelische Kirchengemeinde St. Thomas in Berlin-Kreuzberg den Detroiter Robert Hood ein. Der DJ und Produzent, der gemeinsam mit Jeff Mills und „Mad“ Mike Banks Ende der 80er das legendäre Technokollektiv Underground Resistance gründete, kam jedoch nicht nur zum Auflegen. Hood, der sich selbst als „Minister of God’s Word“ bezeichnet, ist nämlich auch geistlicher Prediger. Unter dem Motto „Techno builds bridges, not walls“ sollte er an der Seite der Pfarrerinnen Rebecca Marquardt und Stefanie Hoffmann an einem „Techno-Prayer“ mitwirken. Die Idee dazu kam von Tresorgründer Dimitri Hegemann, der Hood später am Abend noch für ein Set in seinem Club gebucht hatte.

Jesus Christus für die Instagram-Story

„Das ist ein Experiment, die Kirchenräume auch anders zu nutzen“, sagt Rebecca Marquardt im Vorfeld im Interview. „Ich sehe eine Chance darin an diesem Gedenktag damit auch eine andere Zielgruppe erreichen zu können.“ Tatsächlich hätte man am Freitagabend denken können, in dem spätklassizistischen Bau am Bethaniendamm sei der neue Kreuzberger In-Club. Eine hippe, junge Menge drängt sich auf dem Kirchplatz, eilig werden letzte Bierflaschen geleert, Zigaretten ausgedrückt und Taschen kontrolliert. Im Reingehen fotografiert eine junge Frau den Jesus am Kreuz, der über dem Eichenportal wacht, für ihre Insta-Story.

Drin tauchen blaue Bodenstrahler die leergeräumte Halle in ein kühles Licht. Die hohe Kuppel über dem Altar, deren Innenseite sicherlich ursprünglich mal mit bunten, sakralen Bibelmotiven bemalt war, sieht aus wie die abgeschliffene Wand eines modernen Fabriklofts. Zwischen dem aufgeschlagenen Messbuch und der Osterkerze steht ein Mischpult und Turntables. Die leise Ambientmusik soll wahrscheinlich für andächtige Stimmung sorgen, wird aber von vielstimmigem Geplapper und nervösem Kichern übertönt.

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Man merkt deutlich, dass viele nicht wissen, wie sie sich an diesem Ort verhalten sollen. Gespräche kommen auf, ob man doch noch mal schnell rausgehen und einen Joint rauchen sollte. Einer witzelt, dass er hoffe, im Weihwasser sei wenigstens LSD. „Die meisten hier sind doch eh Leute, die eher diesen ‘Berghain-Kirchen-Ansatz‘ verfolgen”, mutmaßt ein junger Mann hinter mir. Sein Freund pflichtet ihm bei: „Also, mit Gott können die hier bei der Predigt nicht punkten!” Die beiden jungen Pfarrerinnen begegnen diesem leicht spöttischen Skeptizismus mit entwaffnender Offenheit. In perfektem Englisch begrüßen sie die Menge, die mittlerweile den gesamten Raum stehend ausfüllt.

Marquardt erinnert an die Grauen des 9. Novembers 1938 und die Euphorie von 1989. Sie bekommt Applaus, als sie sich gegen Diskriminierung und Mauern ausspricht. Ihre Kollegin Hoffmann ein etwas verhaltenes „Amen“, als sie sich bei Gott für die Anwesenden bedanken. Dann betritt Robert Hood unter Jubel den Altarraum und schickt mit seiner House-Hymne „Never Grow Old“ Aretha Franklins Stimme durch die Kirche. Etwa zehn Minuten lang dürfen alle ihre spürbare Anspannung zu Hoods House-Bangern heraus tanzen und johlen. Obwohl wahrscheinlich jeder der Anwesenden Hoods Hits wie „He Can Save You“ und „Let The Church“ schon tausendmal in einem stickigen Club gehört hat, bekommen sie in diesem ungewöhnlichen Setting plötzlich einen ganz neuen Sinn. Robert Hood sieht sich als Verkündiger der frohen Botschaft. Und erreicht mit seiner Musik Menschen, die eigentlich so gar keinen Bezug zu Religion haben.

„Where are the believers in the house?“

Unter tosendem Applaus schnappt Hood sich anschließend das Mikrophon und erzählt von seinem persönlichen Weg zu Gott. Dass sein Vater getötet wurde, als er sechs Jahre alt war, er depressiv war und wie sein Großvater ihm im Traum erschien und ihn zu Gott brachte. „Where are the believers in the house?“, ruft Hood und erstaunlich viele lassen sich jubelnd mitreißen. Vielleicht haben sie auch nicht genau verstanden, was er gerufen hat. In einer etwa 30-minütigen Ansprache erzählt Hood von Gottes Liebe, die die Quelle seiner Kraft sei und dass jeder die freie Wahl habe, sich für ihn zu entscheiden und sich mit ihm zu verbinden. Dafür verwendet er – ganz Techno-DJ – die Metapher des „Plug-Ins“, Gott als ewige Stromquelle, mit der wir verbunden sein müssen, sonst läuft gar nichts.

Hood ist charismatisch, seine Predigt begeistert, wenngleich der Duktus, der an die emotionalen Call-And-Response-Messen amerikanischer Gospelgemeinden erinnert, neben dem etwas steifen deutschen Protestantismus ziemlich ungewohnt wirkt. Auch wird nicht ganz klar, wie wörtlich der „Minister of God’s Word“ dieses tatsächlich nimmt. An einer Stelle spricht er davon, dass die Menschen vor 6000 Jahren aus dem Paradies vertrieben wurden, weil sie sich Gottes Willen widersetzten – eine kreationistische Bibelauslegung, die unter anderem von konservativen evangelikalen Christen vertreten wird. Auch als er die Menge aufruft ihm „I’m a sinner on my way to hell“ nachzusprechen, hinterlässt das verhaltene Antwortgemurmel eine etwas komische Stimmung.

Der Geschmack von Unendlichkeit

Doch letzten Endes geht es an diesem Abend nicht um die korrekte Bibelexegese, sondern um die christlichen Werte, die sich Rebecca Marquardt zufolge mit denen der Technoszene gut in Einklang bringen lassen: „Es geht um friedliche Gemeinschaft. In der Technoszene haben Rassismus, Antisemitismus und Homophobie nie Platz gehabt. So ähnlich ist es ja auch mit dem Christentum. Wenn wir sonntags in den Gottesdienst gehen, ist das eine Unterbrechung des Alltags. Man lässt mal alles Böse und Schlechte dieser Welt hinter sich und träumt ein bisschen von einer besseren, heileren Welt. Ich glaube, das verbindet uns mit der Technoszene. Das Gefühl von: Es kann auch besser sein und besser werden.“

Trotz aller ermutigenden Worte scheinen am Schluss alle Anwesenden erleichtert, als Hood dann das macht, was er am besten kann: tatsächliches „Pluggin-in“ mit den Turntables. Mit Hits wie „Made Up My Mind“ und natürlich „We Magnify His Name“ bringt er den Kirchenraum nochmal richtig zum Kochen. „Ich glaube, dass Spiritualität tatsächlich auch über den Körper funktioniert“, ist auch Rebecca Marquardt überzeugt. „Tanzen und Musikhören ist ein Tor zur Seele, das ist etwas, das uns verbindet. Spiritualität über den Körper zu erfahren und diesen Geschmack von Unendlichkeit.“