Interview

Sven Väth im Interview: „Was mich antreibt, ist die Suche nach Magie“

Sven Väth über seine persönlichen Entwicklungen und die Evolution des Techno, über Intensität und Club-Liebe.


Seit vier Jahrzehnten steht er an den Plattentellern und im vergangenen Jahr hat er das biblische DJ-Alter von 60 Jahren erreicht. Aber Sven Väth ist nach wie vor einer der international populärsten DJs aus Deutschland und Aufhören ist für ihn keine Option. Jetzt erzählt er in einem Bildband seine persönliche Geschichte. Und die ist eng mit der Geschichte des Techno verknüpft.

Sven, du hast im vergangenen Jahr zwei runde Jubiläen gefeiert. Du bist seit 40 Jahren als DJ unterwegs und im Oktober 60 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch. Hättest du am Anfang deiner Karriere gedacht, dass du mit 60 noch auflegen wirst?

Vielen Dank! Es war ein besonderes Jahr für mich – nicht nur wegen der Zahlen, sondern wegen der Reflexion, die damit einhergeht. Als ich vor 40 Jahren angefangen habe, war für mich nur der Moment entscheidend. Ich habe nicht in Dekaden oder gar an ein Leben als DJ über 60 hinaus gedacht. Musik war mein Ventil, meine Sprache, mein Weg, mich auszudrücken. Aber hätte ich mir damals ausgemalt, dass mich diese Leidenschaft über vier Jahrzehnte begleiten würde? Wahrscheinlich nicht. Was mich bis heute antreibt, ist die unermüdliche Suche nach Magie – nach diesem einen Moment, in dem alles mit der Musik verschmilzt. Das ist zeitlos. Es geht nicht um Jahre, es geht um Intensität. So lange ich diese Euphorie spüre, so lange es Menschen gibt, die sich durch Musik transformieren lassen, werde ich nicht aufhören.

Du hast gerade einen Bildband veröffentlicht: „4 Decades Behind The Decks: A Journey Of Music, Magic And Euphoria“. Darin blickst du auf deine Entwicklung und die von Techno zurück. Was hast du bei der Arbeit an dem Buch über dich gelernt?

Ein Buch ist etwas anderes als ein DJ-Set. Es ist kein flüchtiger Moment auf der Tanzfläche, sondern eine Reise durch Erinnerungen, festgehalten für die Ewigkeit. Während der Arbeit an „4 Decades Behind The Decks“ habe ich gemerkt, wie sehr mein Weg von Veränderung, aber auch von einer tiefen Beständigkeit geprägt ist. Techno hat sich in all den Jahren ständig neu erfunden, und doch gibt es eine Essenz, die geblieben ist – die Hingabe an den Rhythmus, die Ekstase im Tanz, das kollektive Erleben. Ich habe erkannt, dass meine persönliche Entwicklung und die Evolution dieser Kultur untrennbar miteinander verbunden sind.

Wie haben sich Techno und die Clubszene in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert?

Techno hat sich immer in Wellen bewegt – es gab Zeiten der Revolution, der Kommerzialisierung, der Fragmentierung und der Wiederbesinnung. In den 80er- und frühen 90er-Jahren war es eine Bewegung, die sich aus purer Leidenschaft formte. Es gab keine Regeln, keine vorgegebenen Strukturen, nur den Drang, etwas Neues zu erschaffen. Clubs waren Labore, in denen Musik, Mode und Lebensgefühl verschmolzen. Mit dem weltweiten Erfolg von Techno kam auch die Industrialisierung. Festivals wurden größer, Social Media veränderte die Wahrnehmung der Szene, Algorithmen ersetzten oft das organische Entdecken. Gleichzeitig hat diese Entwicklung Türen für viele neue Talente geöffnet und den Sound in alle Winkel der Welt getragen. Was ich manchmal kritisch sehe, ist der Verlust von Tiefe. Früher war eine Clubnacht eine Reise – von der ersten Platte bis zum Sonnenaufgang. Heute geht es oft um den schnellsten Drop, den größten Moment fürs Handy. Aber es gibt immer noch Orte und Künstler, die den ursprünglichen Geist bewahren. Und was mich positiv stimmt: Die neue Generation hinterfragt vieles, sucht nach Authentizität, nach Echtheit.

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Vor 30 Jahren konnte der Mainstream mit Techno kaum etwas anfangen, mittlerweile ist er eine anerkannte Kunstform. Ist das eher von Vorteil oder von Nachteil?

Jede Subkultur, die lange genug besteht und eine gewisse Strahlkraft entwickelt, wird irgendwann Teil des Mainstreams. Das ist unvermeidlich. Die Frage ist nicht, ob das gut oder schlecht ist, sondern wie man damit umgeht. Der Vorteil ist offensichtlich: Techno hat sich als ernst zu nehmende Kunstform etabliert. Früher wurden wir oft belächelt – als Randphänomen, als kurze Modeerscheinung. Heute gibt es Ausstellungen, Museen, akademische Auseinandersetzungen, und die Bedeutung von Clubkultur wird zunehmend anerkannt. Die Gefahr liegt in der Kommerzialisierung. Sobald etwas populär wird, wächst der Druck, es massentauglich zu machen. Musik kann zur Ware werden, Festivals zu Eventmaschinen, DJs zu Marken. Wenn nur noch Zahlen entscheiden, verliert Techno seinen ursprünglichen Geist. Aber: Die Essenz von Techno ist nicht an Charts oder Trends gebunden. Es gibt immer eine Gegenbewegung, immer Orte, an denen die rohe, ungeschliffene Energie weiterlebt. Das war in den 90ern so, als Techno aus dem Untergrund kam, und das ist heute nicht anders. Am Ende ist es eine Frage der Haltung – und die wird von den Menschen bestimmt, die diese Kultur leben.

Wenn du einem Außerirdischen erklären müsstest, was die Magie einer Clubnacht ausmacht, was würdest du erzählen?

Ich würde ihm sagen, dass eine Clubnacht eine Reise ist – ein Moment, in dem Zeit und Raum verschwimmen. Stell dir vor, du betrittst einen dunklen Raum, spürst den Bass in deiner Brust, wirst Teil einer Masse, die sich im gleichen Rhythmus bewegt. Worte sind überflüssig, denn die Musik verbindet uns auf einer tieferen Ebene. Die Magie entsteht, wenn alles eins wird: der Sound, die Menschen, das Licht, die Dunkelheit. Man verliert sich – und findet sich neu.

Du hast auf der ganzen Welt aufgelegt. Gibt es den einen Club, in den du immer wieder gerne zurückkehrst?

Es gibt nicht den einen Club, sondern viele besondere Orte, die mich über die Jahre begleitet haben – jeder mit seiner eigenen Seele, seinem eigenen Publikum, seiner eigenen Energie. Ibiza bleibt für mich ein zentraler Punkt – das Akasha, ein intimer Ort mit tiefer spiritueller Energie, oder Circoloco im DC-10, wo Woche für Woche eine einzigartige, elektrisierende Atmosphäre entsteht. Space Miami ist jedes Mal ein Erlebnis, genauso wie der legendäre Warung Club in Brasilien, der mit seiner Lage mitten in der Natur eine ganz eigene Magie besitzt. In Europa liebe ich das Watergate in Berlin, das leider nun geschlossen wurde, das Nordstern in Basel, das Kaufleuten in Zürich oder das Input in Barcelona. Und natürlich das Robert Johnson in Frankfurt – ein Club, der bis heute für kompromisslose Qualität und eine intime Tanzflächen-Erfahrung steht. Ein Ort, zu dem ich immer wieder gerne zurückkehre, ist auch das Womb in Tokio. Die Energie dort ist außergewöhnlich – das Publikum ist leidenschaftlich, aufmerksam und vollkommen in der Musik versunken.

In deinem Bildband ist ein Kapitel deinen Outfits und Frisuren über die Jahre gewidmet. Was denkst du heute, wenn du diese alten Fotos siehst?

Mode war für mich immer ein Ausdruck von Identität und Zeitgeist – genau wie Musik. Wenn ich auf alte Fotos schaue, sehe ich nicht nur Outfits oder Frisuren, sondern Phasen meines Lebens, Stimmungen, Momente der Transformation. Jede Ära hatte ihre eigene Ästhetik, und ich habe mich immer gerne von den Strömungen der Zeit inspirieren lassen – sei es New Wave, New Romantic, Acid House oder der minimalistische Look der 2000er. Aber es ging nie um reine Oberflächlichkeit, sondern darum, eine Haltung auszudrücken, ein Gefühl sichtbar zu machen. Natürlich schmunzle ich manchmal über bestimmte Looks, aber genau das ist das Schöne daran. Stil ist etwas Lebendiges, das sich verändert, genauso wie Musik. Und letztlich geht es darum, sich selbst treu zu bleiben – ob mit langen Haaren, rasiertem Kopf oder im maßgeschneiderten Anzug.

Seit Covid macht sich ein Wandel in der Clubszene bemerkbar. Clubs müssen schließen, die Leute haben weniger Geld zur Verfügung. Spürst du selbst etwas von diesen Auswirkungen?

Ja, die Auswirkungen sind spürbar – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in der Mentalität der Menschen. Covid hat vieles verändert: Clubs mussten schließen, Strukturen sind weggebrochen, und für viele Veranstalter und Künstler war es eine existenzielle Krise. Auch heute kämpfen viele Clubs ums Überleben, weil sich die Kosten erhöht haben und das Ausgehverhalten sich verändert hat. Gleichzeitig sehe ich, dass der Wunsch nach Gemeinschaft und intensiven Erlebnissen größer denn je ist. Menschen sehnen sich nach echten, unvergesslichen Nächten, nach Momenten, in denen sie sich verlieren und zugleich wiederfinden können. In manchen Städten spürt man eine neue Aufbruchsstimmung, in anderen dominiert noch die Unsicherheit. Für mich bleibt die Clubkultur essenziell. Sie ist mehr als nur Unterhaltung – sie ist ein soziales, kulturelles und emotionales Ventil. Deshalb ist es wichtiger denn je, diese Räume zu schützen und neue Konzepte zu entwickeln, die den Geist des Feierns lebendig halten.

Social Media und Streaming haben die Art, wie die Menschen Musik hören, stark verändert. Reagierst du mit deiner Musik in irgendeiner Form auf diese Veränderungen?

Die Art, wie Musik konsumiert wird, hat sich radikal verändert. Algorithmen bestimmen, was gehört wird, Playlists ersetzen oft das bewusste Entdecken, und vieles ist auf schnelle Aufmerksamkeit ausgerichtet. Das steht eigentlich im Kontrast zu dem, was ich als DJ mache – denn ein Vinyl-Set ist kein algorithmisches Produkt, sondern eine kuratierte, organische Reise. Ich lasse mich von diesen Veränderungen nicht leiten, sondern bleibe meinem Ansatz treu. Für mich zählt die physische Erfahrung: die Tiefe eines Tracks, das Erzählen einer Geschichte über Stunden hinweg, das direkte Erleben von Musik im Club.

Die ganze Welt steht vor einem einschneidenden Wandel. Ultrarechte Parteien gefährden die Demokratie. Techno als Feier der Freiheit des Individuums steht diesen Entwicklungen diametral gegenüber. Wie sieht die Zukunft von Techno vor diesem Hintergrund aus?

Techno war von Anfang an mehr als nur Musik – es war immer auch ein Statement für Freiheit, für Gemeinschaft, für eine Welt ohne Grenzen. In den 90ern war Techno der Soundtrack zur Wiedervereinigung, ein Symbol für Aufbruch und Zusammenhalt. Heute, in einer Zeit, in der Nationalismus und Intoleranz wieder stärker werden, ist diese Kultur wichtiger denn je. Eine Clubnacht ist ein Raum, in dem Herkunft, Geschlecht, Status keine Rolle spielen – nur die Musik und die gemeinsame Erfahrung zählen. Genau das ist das Gegenmodell zu einer Welt, die sich wieder in Abgrenzung und Angst verliert. Die Zukunft von Techno liegt darin, diesen Geist zu bewahren. Clubs und Festivals sind nicht nur Orte des Feierns, sondern auch Orte des Widerstands gegen Engstirnigkeit und Hass. Wir müssen diese Kultur weiter verteidigen – nicht mit politischen Parolen, sondern mit dem, was wir am besten können: Menschen zusammenbringen, Brücken bauen, Grenzen in den Köpfen auflösen. Techno bleibt eine Bewegung – und Bewegungen kann man nicht aufhalten.