Massaker-Überlebender Raz Gaster im Interview: „Wir müssen verhindern, dass Hamas zum nächsten IS wird“


MUSIKEXPRESS hat mit Raz Gaster gesprochen, der den Anschlag auf das „Supernova Sukkot Gathering: Universo Paralello Israel“ überlebte.

Am Samstagmorgen vergangener Woche (7. Oktober) gegen 6:30 Uhr Ortszeit griff die Terrormiliz Hamas mit Maschinengewehren und Granaten das „Supernova Sukkot Gathering: Universo Paralello Israel“ in der Negev-Wüste an. Bei dem Angriff kamen rund 300 Menschen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verschleppt oder sind bis heute vermisst. In den vergangenen Tagen meldeten sich immer mehr Überlebende zu Wort, um ihre Geschichte und Perspektive der Geschehnisse zu erzählen.

Einer davon ist Raz Gaster. Er war als Promoter von insgesamt neun Künstler:innen vor Ort, als das Festival mit den ersten Raketen beschossen wurde. Zum Zeitpunkt der ersten Explosionen befand sich Gaster im Backstage-Bereich: „Und dann haben wir natürlich gesehen, dass immer mehr Raketen auf uns zukommen.“ Knapp zehn Minuten später stieg er mit seinem Team ins Auto und fand 30 Kilometer weiter in der Villa, die die Produktion vorab für sich und die Künstler:innen anmietete, Unterschlupf. Wir sprachen mit Raz Gaster über den Terroranschlag auf das Festival, seine Flucht – und wie seither der Alltag in Israel aussieht.

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Welche Künstler:innen vom Festival-Line-Up haben Sie gemanagt?

Raz Gaster: Wir hatten insgesamt neun Künstler:innen vor Ort: Man With No Name, Protonica, No Face, Astral Projection, Libra, Swarup, Shove, Spectra Sonics und Aladin.

Konnten sich alle Ihrer Künstler:innen in Sicherheit bringen?

Alle neun Künstler:innen sind sicher und unverletzt. Die meisten von ihnen sind wieder zu Hause in ihren Ländern. Manche waren auch noch gar nicht am Veranstaltungsort, als der Terroranschlag stattfand. Auch, weil wir einige von ihnen vorab anriefen und darüber aufklärten, was gerade passiert, und dass sie in Tel Aviv bleiben sollen. Ein paar meiner Künstler:innen stehen aber noch immer unter Schock und sind nicht in der Lage, darüber zu reden oder Interviews zu geben. Zwei israelische DJs, die vor dem Anschlag auflegten, haben allerdings nicht überlebt. DJ Kido und DJ Syloopo wurden beide ermordet. Die Familien haben die Nachricht bereits erhalten und Syloopo wurde schon beigesetzt. Kidos Beerdigung folgt Sonntag.

In einem Interview haben Sie erzählt, dass Sie sich im Backstage-Bereich befanden, als die Explosionen zu hören waren. War das auch das Erste, was Sie vom Anschlag mitbekamen?

Ja, das war das Erste, was wir bemerkt haben. Zunächst hörten wir ein paar kleine Explosionen — diese Geräusche sind in Israel unsere Realität. Dann bin ich direkt rausgegangen, um zu sehen, was da los ist. Wir haben erkannt, wie Raketen und Mörsergranaten auf uns zukamen. Die Explosionen wurden dann immer heftiger. Es herrschte Chaos und Panik. 

Was folgte dann?

Natürlich versuchten alle, sich in Sicherheit zu bringen und in einem Bunker Schutz zu finden. Wenn es keine Bunker gibt, oder du dich nicht in der Nähe von einem befindest, lauten die Anweisungen in Israel immer, dass man sich auf den Boden legen und den Kopf mit den Händen bedecken solle. Das haben wir ein paar Minuten lang gemacht, während sich andere Menschen hinter Kühlschränken, Autos, Zelten und allem, was sie finden konnten, versteckten. Dann verkündete ein Polizist über das Mikrofon, dass wir alle in unsere Autos steigen und nach Hause fahren sollen. Daraufhin haben wir alle Fahrer:innen, Künstler:innen und Kolleg:innen zusammengerufen und verließen den Veranstaltungsort.

Wie verlief die Flucht?

Als ich mit dem Auto auf der Straße ankam, stand da natürlich ein Polizist, der uns dirigierte. Da sich aber zwei meiner Künstler im Produktionshaus 30 Kilometer vom Veranstaltungsort befanden, haben wir einen anderen Weg genommen als vorgeschrieben, um zu ihnen zu fahren. Sie hatten große Angst und Panik, da sie so etwas wie Raketen nicht gewohnt sind. Es war niemand auf der Straße – und auch keine Anzeichen für einen Angriff. Nur die Alarme, Raketen- und Mörsergeräusche waren weiterhin zu hören. Erst in der Villa angekommen, sahen wir all die Nachrichten und Anrufe vom Veranstaltungsort, und Leute auf der Flucht, die uns erzählten, dass sie unter Beschuss standen.

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Dementsprechend wusstest ihr auf dem Festival noch nicht, dass es sich um einen Angriff der Hamas handelte?

Als wir den Veranstaltungsort verließen, hatten wir noch nichts Ungewöhnliches bemerkt. Es waren noch Polizist:innen und Autos auf den Straßen. Wie sonst auch — nur mit Raketen. Aber wir hatten diese Art des Abschlachtens auch noch nie zuvor. Sie kamen ja wie im Stil des IS oder al-Qaida, auf Lastwägen, Motorrädern und Quads, angefahren und schossen auf Menschen. Sie bewarfen friedliche Zivilisten mit Granaten, die nur gekommen waren, um zu tanzen und die Musik zu genießen.

Sie erzählten von den zwei Künstlern, die Angst hatten, weil sie Raketenangriffe nicht kennen. Sind Sie solche Angriffe gewöhnt?

Ich bin nicht daran gewöhnt, weil ich nicht in der Nähe des Gazastreifens lebe und nicht regelmäßig von Raketen beschossen werde. Aber das Leben in Süd-Israel ist furchtbar! Seit Jahren gibt es dort Angriffe. Zwar nicht mit Lastwägen und Motorrädern, aber die Artillerie ist immer dabei. Das ist sozusagen die Lieblingsmethode der Hamas.

Was war das Erste, das Ihr bei Ankunft in der Villa unternommen habt?

Zwar hatten wir bis dahin das Ausmaß der Dinge noch nicht verstanden, aber da es Raketenbeschuss gab, sind wir natürlich als erstes in den Bunker gegangen. Erst dann bekamen wir die Anrufe, Nachrichten und Notrufe von all den Menschen vor Ort und auf den Straßen, die in Hinterhalte gerieten, von Terroristen beschossen wurden oder sahen, wie andere abgeschlachtet wurden. Das war genau der Punkt, an dem wir die Situation erkannten und begannen, mit allen zu kommunizieren, die wir erreichen konnten. Innerhalb weniger Minuten riefen wir die gesamte Veranstaltungsbranche, Musik- und Event-Community an, um ihnen zu verstehen zu geben, dass ein Notstand herrscht. Dann waren das Militär und die Polizei dran, wir wollten so vielen Menschen wie möglich erklären, was vor sich geht, damit die Menschen, die noch am Veranstaltungsort waren, Hilfe bekamen.

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Wie kann man sich die Notrufe vorstellen, die Ihr erhalten habt?

Wir hatten viele Anrufe von Freund:innen. Viele von ihnen haben sich tot gestellt, in Müllcontainern versteckt oder sind meilenweit in die Wüste gerannt, um von den Terroristen wegzukommen. Die Menschen sahen die Hölle vor ihren Augen. Das ist das Schlimmste, schlimmer als jedes andere Worst-Case-Szenario. Es war ein Massaker, ein Gemetzel. Die Hamas greifen alles und jeden an. Egal, ob du Jude, Christ oder Moslem bist, aus welchem Land du stammst oder welche Hautfarbe du hast. Sie entführen Kinder und ältere Menschen, sie vergewaltigen Frauen, verbrennen Leute bei lebendigem Leib in ihren eigenen Häusern und greifen Krankenwägen an, die versuchen Leben zu retten. Sie haben keine Grenzen, weshalb die Welt jetzt zusammenkommen muss. Wir müssen verhindern, dass sie zum nächsten IS werden.

Wie sieht derzeit das tägliche Leben in Israel seit dem Anschlag aus?

Die Situation ist im Moment sehr schwierig. Viele Menschen arbeiten nicht mehr und viele Orte sind geschlossen. Man muss in der Nähe der Familie und von Bunkern bleiben, weil die Raketenangriffe weitergehen. Die Alarme werden täglich mehr, im gesamten Land. Wir versuchen, unser Bestes zu geben, aber das ganze Leben steht still. Alles ist so fragil und angespannt derzeit, und man kann nur spekulieren, wie es weitergeht. Wissen tut man das nicht. Auch nicht, ob die Hisbollah oder der Iran noch intervenieren. Es wurden sehr viele Freund:innen, Kolleg:innen und Personen entführt. Sie werden im Gazastreifen gefoltert, gedemütigt, vergewaltigt und verstümmelt. Deswegen ist es im Moment das Wichtigste, diese Menschen zurückzuholen, bevor die Hamas sie hinrichtet oder enthauptet. In einem Moment waren diese Menschen glücklich, an einem Safespace umgeben von ihren Freund:innen, und im nächsten sind sie gefesselt im Gazastreifen und werden gequält. So etwas hat kein Mensch verdient und es darf nicht akzeptiert werden.