Stranglers – schwarz und immer fröhlich
Vor den "schwarzen Männern" fürchtet sich heute keiner mehr. Vorbei sind die Zeiten, in denen die "Würger" ihrem giftigen Namen alle Ehre machten. Harald inHülsen jedenfalls konnte sich entspannt und gepflegt mit Hugh Cornwall über Gott und die Weit unterhalten.
Die Stranglers sind etwas Besonderes. Bis auf den Bassisten Jean Jacques Burnel waren 1974. als die Band gegründet wurde, alle Beteiligten bereits in einem Alter (zwischen 30 und 40), wo man entweder seine Pop-Musiker-Laufbahn lange hinter sich hat (und das Erlebte als Memoiren verkauft) – oder aber ins Filmgeschäft übergewechselt ist. Ihr eigentümlicher Reiz war und ist, daß sie nie mit der Mode gingen – und somit auch nie aus der Mode kamen!
Während 1976/77 in England die Sex Pistols, die Damned, die Clash und Subway Sect rüden Punk praktizierten, hatte die Musik der Stranglers mehr mit den 60ern zu tun, mehr mit den Doors und Love und Psychedelia.
Zwar agierten die Herren Cornwell, Burnel, Greenfield und Black gern mit Punk-Pantomime (zerrissene T-Shirts, schwarzer Lidstrich und hier und da eine Sicherheitsnadel), die Wurzeln der Stranglers aber lagen auf der dunklen Seite des Psychedelischen. Ihre studierte Bösartigkeit spiegelte sich in aggressiven Texten wider, die über hartem Gitarren-Beat und schweren Baßlinien lagen.
Im September 1977 erschienen im britischen „NME“ zwei Anzeigen: die eine war schwarz und verkündete das Erscheinen der neuen Bowie-Single „Heroes“; ein paar Seiten weiter wurde es farbig: Die colorierten Köpfe der Stranglers präsentierten das zweite Album der Gruppe: NO MORE HEROES.
Während Bowie in seiner introvertierten Ballade den Helden beschwört (und dabei rührselig wie ein Leonhard Cohen klingt), gehen die Stranglers einen Schritt weiter: Hugh Cornwell schreibt die unvergeßlichen Zeilen: „Whatever happened to Leon Trotsky? Whatever happened to all the heroes? No more heroes, anymore!“
Als mir Cornwell in einem Düsseldorfer Hotelzimmer gegenübersitzt, frage ich ihn nach seinen Idealen.
„Ich weiß es nicht, es ist schwer, das konkret zu benennen.“ Dabei sieht er aus dem Fenster und bestaunt die visuelle Skulptur, die sich draußen ereignet: Ein Regenbogen schlägt seinen Kreis, Regenwolken werden vom Wind zum hektischen Vorbeiziehen gezwungen – und unter dem Naturschauspiel liegt die Autobahn, auf der rasende Autos Bahnen ziehen. „Was mein Ideal betrifft, so genieße ich gerade diesen Augenblick!
Cornwell. der gesund aussieht und mir das Rauchen im Zimmer verbietet (obwohl die Finger seiner rechten Hand Nikotinspuren aufweisen), spricht mit ruhiger Stimme. Er wirkt abgeklärt, er ist intelligent, eine Persönlichkeit. Noch einmal zurück zu den Idealen. Was wollen sie?
„Ich glaube, daß wir eine sehr gesunde Lebenseinstellung verbreiten. Für uns ist die Musik ein Medium für die Texte. Wir versuchen, den Leuten Selbstvertrauen zu geben, ihnen zu sagen: .Jeder kann mit seinen Problemen fertigwerden, jeder kann die Scheiße, mit der uns die Welt bewirft, überleben, wenn er sich selbst vertraut.‘ Das alles hat aber nichts mit Predigen zu tun. Beim Predigen sagt man: .Dies ist richtig und das ist falsch, also mußt du dies tun.‘ Für mich war Gott ein Faschist, weil er jedem die Anweisung gab:. Wenn ihr nicht zu mir betet, dann werdet ihr dafür bezahlen!‘ Das ist für mich Faschismus, denn es bleibt einem dabei keine andere Wahl. Als ich das in England Journalisten erzählte, gab es viel Ärger – denn das will dort niemand hören. „
Die englische Musikpresse hat die Stranglers ja immer gehaßt, besonders der „NME“.
„Die Zeitung heißt doch auch En-em-y, oder? Nun, es gibt mehrere Dinge, die man an uns nicht mag: Wir sind unmodern, wir sind jetzt seit zehn Jahren zusammen – und das gehört sich einfach nicht, das macht dich unattraktiv. Wenn eine Band neu ist, bekommt sie immer ein positives Echo: nach einem Jahr fängt man dann an, sie langsam zu verreißen! Im allgemeinen mögen wir keine Journalisten, also mögen die uns auch nicht. Läuft dein Recorder eigentlich schon?“
Hast du jemals versucht, deine Ideen nicht durch Musik, sondern durch ein anderes Medium auszudrücken?
„Im Augenblick nehme ich in London Schauspielunterricht, bei einer sehr guten Lehrerin. Wir bereiten einige Stücke vor. eins von Hamid Pinter. Außerdem lerne ich gerade Saxophon, produziere eine Band, die aus Mitgliedern des Southern Death Cult besteht. Und ich bin dabei. Spanisch zu lernen. „
Die Stranglers unternahmen 1983 eine ausgedehnte Spanien-Tournee, und auf dem aktuellen Album AURAL SCULPTURE gibt es das Stück „Spain“, eine persönliche Liebeserklärung an die junge Demokratie in Spanien.
„Ich glaube. Spanisch wird bald eine wichtigere Rolle spielen, als es das Englische heute tut. Man hat ausgerechnet, daß in zehn Jahren die spanischsprechende Bevölkerung in SCHWARZ und immer
Nordamerika um ein Vielfaches zugenommen hat; in New York gibt es heute schon drei spanische Fernsehstationen. Außerdem spricht ganz Südamerika, bis auf Brasilien, Spanisch. Und Spanien ist ein interessantes Land mit einer inspirierenden Kultur, die sehr couragierte Künstler hervorgebracht hat. „
“ Wenn diejenigen unter uns. die sich der Schaffung auraler Skulpturen verschrieben haben, die Prostitution der um uns wuchernden Töne nicht mehr länger einfach hinnehmen können, ist es an der Zeit, sich dazu zu äußern. Die Musiker unserer Zeit sind Gauner und Scharlatane, die von der Wissenschaft Gebrauch machen, ohne Wissenschaftler zu sein – und die Kunst mißbrauchen, ohne Künstler zu sein. Wir sind Zeuge des Untergangs der Musik. So sei es! Die Welt muß sich auf das Kommen der auralen Skulßtur einstellen… Die Stranglers bringen Euch jetzt aurale Skulpturen – nehmt sie auch wahr. „.
„Wir haben zur Illustration unseres Manifestes das menschliche Ohr gewählt, weil eigentlich niemand auf das achtet. Wenn man das Ohr, losgelöst vom menschlichen Körper, betrachtet, wirkt es doch sehr bizarr; eine Erscheinung von einem fremden Planeten. Die Idee, Dinge aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu nehmen und sie dann wahrzunehmen, hat viel gemeinsam mit dem Surrealismus. Für mich steht jedenfalls unser Manifest der auralen Skulpturen in der Tradition des Schwarzen Humors jener Surrealisten, die in den 20er Jahren wirkten, wie Andre Breton z. B.“
Die Farbe Schwarz ist immer verbunden gewesen mit den Stranglers. Die Gruppe wählte die schwarze Ratte und den schwarzen Raben als Erkennungszeichen. Schwarz bedeutet nach dem Lüscher-Farb-Test Ablehnung und Aufruhr gegen alles Bestehende.
„Schwarz steht gemeinhin für Bedrohung, die Leute fürchten sich vor dem Schwarz, weil sie es nicht verstehen. Deshalb hat man vor den Stranglers auch lange Zeit Angst gehabt. In einigen Ländern tragen die Richter Schwarz, woanders kleiden sich die Priester Schwarz, in den meisten Ländern tragen die Polizisten Schwarz.
In England haben wir die Black Maria, ein Polizeifahrzeug, das die Leute ins Gefängnis bringt. Der Ausdruck kommt aus der Vergangenheit: Jedesmal, wenn es in einem Dorf Streitereien gab, rief man diese große, schwarze Frau, die mit ihrer hölzernen Teigrolle den Konflikt beendete!“
Die Jahre 1979/1980 waren für die Stranglers sehr schwarz. Eine nichtabreißende Sequenz von Unglücken und Unruhen hatte die Gruppe befallen: Hugh Cornwell saß wegen Drogen drei Monate im Gefängnis; der Banddesigner Kevin Sparrow starb an Drogen-Überdosis; das Management trennte sich von den Stranglers; der Tourmanager starb mit 24 an Krebs; die Gruppe mußte in Südfrankreich für eine Woche ins Gefängnis, weil sie im Verlauf eines Auftritts in Nizza nach dem dritten Stromausfall den Auftritt beendet hatten – und das Publikum daraufhin Sitze und Fenster der Halle zusammengeschlagen hatte; zudem wurden der Gruppe Ausrüstung und Bänder gestohlen.
MENINBLACK ist der Titel des Albums, das die Stranglers in dieser Zeit aufnahmen. Ein Album voller Obskuritäten und Schwarzer-Messen-Magie.
„Ich weiß wirklich nicht, was zu dieser Zeit eigentlich los war. Mein Gefängnisaufenthalt hat mich jedenfalls ziemlich paranoid gemacht. Er hat mein Selbstvertrauen untergraben und mir bewußt gemacht, daß man nur eine Hülle ist, die im Inneren nichts als Leere verspürt. Jedenfalls war das eine entscheidende Erfahrung für mich.“
Hat sich Cornwell je für den Okkultismus interessiert?
„Nein, da gibt es so viele Regeln und Einschränkungen, die einen zum Sklaven machen. Mich interessieren die kreativen Dinge des Lebens – und als Sklave kannst du nun mal nicht schöpferisch sein.“