Stiff-Records – Nur Leichen im Keller
Getragen von der neuen Rockwelle, sprießen in England derzeit neue, kleine Plattenfirmen aus dem Boden. Die Namen der meisten dieser Do-It-Yourself-Unternehmen sind eher lustig denn wichtig: „New Hormones“, „Step Forward“, „Small Wonder“, „Vengeance“. Einige wenige Labels dagegen werden wohl in Zukunft noch eine bedeutende Rolle auf dem Plattenmarkt spielen, weil bei ihnen die richtigen Leute die richtigen New Wave-Bands unter Vertrag nahmen. „Ensign“ etwa, die Firma, die die Boomtown Rats herausbrachte, gehört dazu. Und vor allem Stiff Records aus London, schon heute in Punk-Kreisen ein legendärer Name. Die Stiff-Leute haben die Angewohnheit, auf jede ihrer Platten in die Nähe der Auslaufrille einen kleinen Spruch zu ritzen. „Surfin‘ on the new wave“ kann man da lesen. Oder auch: „Crime Does Pay.“ Mit der Firmenpolitik hat das aber wohl nichts zu tun….
„Wir nehmen jeden unter Vertrag, auch wenn er schon tot ist!“ – auch mit diesem Slogan warben Stiff Records (Stiff heißt „Leiche“) für sich als ausgefallenes Alternativ-Label. So bekam die Firma schnell das Image, Auffangbecken zu sein für alles, was sich Punk oder New Wave nennt. Mittlerweile wurde jedoch daraus ein Synonym für gute neue Popmusik.
Vor etwa einem Jahr gründeten zwei Typen die eigenständige Company, die den Bierbäuchen der etablierten Schallplattengesellschaften die Zähne zeigen wollte. Der eine, Jake Riviera, hatte sich zuvor um das Wohl von Chilly Willy und Dr.Feelgood gekümmert. Sein Partner Dave Robinson war Manager von Graham Parker und einer Gruppe namens Clover. Sie nahmen sich ein kleines Hinterhofbüro in Londons Alexander Street und schafften es, innerhalb kurzer Zeit nicht zuletzt durch aggressive Werbung als heißer, aktueller Tip im Musikbusiness zu kursieren.
Zwar gehörten zu den ersten Einkäufen die Damned, was Stiff schnell in den Ruf brachte, ein reines Punk-Label zu sein. Die ursprüngliche Idee der beiden Stiff-Väter war es jedoch, vielversprechenden Außenseitern eine Chance zu geben; Leuten also, bei denen die großen Firmen kniffen oder sich einfach nicht die Mühe machten, einmal richtig zuzuhören. Als Jake und Dave erste Pläne für ein neues Label wälzten, war die Pubrock-Szene, die in den vergangenen Jahren zu den erfreulichsten Erscheinungen des englischen Musikgeschehens gehörte, längst eingegangen und etwas anderes, Aufregendes bahnte sich an. Der Punk Rock fegte eine Menge Bands auf die Straße, die an keinem Pförtner der Schallplattenfirmen vorbeigekommen wären: im vergangenen Jahr gehörte es noch nicht zum guten Ton, zumindest eine Rotznasengang unter Vertrag zu haben.
In der Auswahl der Interpreten gingen Riviera und Robinson niemals blindlings drauflos. Obwohl sie Gruppen aufnahmen, die heute längst nicht mehr im Programm sind, bewiesen sie einen Riecher für guten Sound und für Typen.
Nick Löwe zum Beispiel war die erste Leiche im Keller von Stiff und blieb bis heute das „Hausgenie“. Der ehemalige Brinsley Schwarz-Bassist nahm nicht nur zwei Singles („So It Goes“, „I Love My Label“) und eine EP („Bowi“) für Stiff auf, sondern proudzierte einen großen Teil der Interpreten, inklusive der Damned, Elvis Costello und Wreckless Eric. Außerdem arbeitete er als Produzent bei allen LP’s von Graham Parker und bei der Feelgood-LP „Be Seeing You“. Jake Riviera nennt ihn „den letzten Pop-Genius“. Als Riviera sich vor etwa zwei Monaten von Stiff trennte, nahm er Nick wie auch Elvis Costello, eine weitere große Zugnummer, mit.
Warum ging Jake? Die Explosion des Labels hatte ihn wohl überrannt. Er hatte keine Lust mehr. Als Boß einer in die Hitparaden expandierenden Firma sah er sich plötzlich vor Aufgaben gestellt, die seine Alternativ-Idee erheblich störten. Wahrscheinlich hatte er auch Angst, innerhalb kurzer Zeit selbst zu einem übersättigtem Manager-Typen zu werden.
Bevor sein Ausscheiden aus der Firma offiziell bestätigt wurde, ging noch ein entscheidender Deal über die Bühne. Stiff Records überließen ihrer Vertriebsfirma Island Records nur noch den Plattenumschlag in Großbritannien. Für das Ausland wurden neue, besser dotierte Verträge mit anderen Partnern geschlossen. Beim Poker um Deutschland, Österreich und die Schweiz behielt die Teldec die Nase vorn. So gibt’s seit kurzem Stiff-Platten auch wieder bei uns (siehe ME 11/77), nachdem sie vorübergehend schon mal von Ariola angeboten worden waren.
Zur Zeit gehören folgende Vertragskünstler zu Stiff: The Damned, Larry Wallis, Wreckless Eric, Ian Dury, The Deviants und The Yachts, Pink Fairies, The Tyla Gang, Richard Hell, The Adverts, Magic Michael, Dave Edmunds (jetzt bei WEA) oder Motorhead zum Beispiel gehören zu den Gast-Leichen, die auf den Samplern „A Bunch Of Stiffs“ und „Hits Greatest Stiffs“ verewigt sind. Die ausgenippten Rock-Kabarrettisten Albertos Y Lost Trios Paranoyas nahmen bei Stiff noch eine EP,
Stiffs Leichenzug kommt vielleicht im Frühjahr in die Bundesrepublik
„Snuff Rock , auf, ehe sie zum alten Partner Transatlantik zurückkehrten.
Zum Prinzip einer besseren Promotion gehört bei Stiff, nicht nur mit guten Platten, sondern auch mit suggestiver und ausgesprochen witziger Werbung etablierten Firmen ein Schnippchen zu schlagen. In einer Zeitungsanzeige für Ian Dury stand zum Beispiel: „Könntet Ihr es ertragen, wenn dieser Mann in Euren Swimming-Pool pinkeln würde?“ Von Mitte Oktober bis Mitte Dezember waren und sind in England Ian Dury & The Blockheads, der „Buddy Holly on the rocks“ Elvis Costello mit seiner Band Attraction, Nick Löwe, Larry Wallis & Band, Dave Edmunds (der ebenfalls auf den Samplern vertreten ist) und Wreckless Eric im Rahmen der „Hits Greatest Stiff Tour“ unterwegs. Geplant ist diese Tour auch für die Bundesrepublik, wo sie im kommenden Frühjahr mit leicht veränderter Besetzung laufen soll.
Anfang nächsten Jahres werden Stiff Records vermutlich schon ihr eigenes Studio haben, wie Alan Cowderoy, einer der beiden General Manger, verriet. Damit wird die Firma wieder ein wenig unabhängiger. Alan, der erst vor kurzer Zeit von Phonograrh Records zu Stiff wechselte, hält Jakes Ausstieg und seine nicht näher definierten Pläne, erst einmal nach Amerika zu gehen, nicht unbedingt für ein Alarmzeichen. Ein Alarmzeichen nämlich dafür, daß jedes Label, das mit viel Idealismus als Alternativ-Unternehmen gestartet wurde, bei wachsendem Erfolg und steigenden Gewinnen zwangsläufig die negativen Merkmale der Etablierten annehmen muß. „Soweit sind wir noch lange nicht,“ meint er, „wir sind schließlich kein Museum, sondern eine Schallplattenfirma.