Steve Hackett


Tag der offenen Tür bei Steve Hackett in Londons Notting Hill-Viertel. Es tummeln sich dort Vertreter seiner englischen und deutschen Plattenfirma, Freunde, Journalisten und Fotografen. Der Grund für dieses zwanglose Treffen: „Spectral Mornings“, das dritte Album unter eigenem Namen ist fertiggestellt und steht kurz vor der Veröffentlichung. Eine zweite Deutschlandtournee wird im Juni folgen. Der Musik Express unterstützt diese Tournee, weil die Redaktion es eigentlich ganz toll findet, was Steve seit seinem Abgang bei Genesis so auf die Beine gestellt hat.

Schon auf seiner Tour im vergangenen Herbst stellte sich ein Steve Hacket dem deutschen Publikum vor, der sieht- und hörbar an neuem Selbstvertrauen gewonnen hatte. Selbst wenn mit „I Know What I Like“ ein Genesis-Titel als Zugabe gespielt wurde, so nicht, weil Hackett jener Zeit nachtrauern würde. „Selling England By The Pound“ ist überhaupt das einzige Genesis-Album, dem sich Hackett auch heute noch verbunden fühlt.

Zwei Hörproben von „Spectral Mornings“, mit denen Steve seinen Gästen einen kleinen Vorgeschmack bieten will, bestätigen seine konsequente Weiterentwicklung. „Every Day“, der Opener der ersten Seite, ein up-tempo-Song mit diversen Tempowechseln, schön-gesetzten Chören, unaufdringlich orchestral mit starken Melodiebögen bei einem insgesamt sehr transparenten Sound. Zu einem durchlaufenden Schlagzeug gesellen sich die so typischen Baß- und Baßpedal-Akzentuierungen, und aus dem Hintergrund schält sich fast unmerklich Steves Sologitarre hervor, um die Melodie zu modulieren, zu verändern. Gefolgt von „The Virgin and the Gypsy . einer akustisch betonten Komposition mit chinesischer Bambusflöte, 12saitiger Gitarre und Cembalo, einer tiefen Solostimme zu einem hohen Harmoniegesang.

Das Album ist stärker als seine beiden Vorgänger, aber nicht, weil das letzte Album sowieso immer das beste und großartigste ist. Die Gründe liegen ganz woanders. Bevor Steve seine Band zusammenstellte, um auf Tournee zu gehen, verstand er sich hauptsächlich als Komponist. Inzwischen – und das bereits bei den Aufnahmen zu „Spectral Mornings“ – ist es eine Band, die seinen Namen trägt.

„Es wäre zu einfach und auch falsch, von einem Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Verhältnis zu sprechen“, meint Steve dazu.

„Es ist eher ein Lehrer/Schüler-Verhältnis. Aber ein gegenseitiges. Wir lernen voneinander“. Für Pete Hicks, den Sänger, war es eine erste Erfahrung in einem Tonstudio. Klar, daß man ihn leiten mußte. Dik Cadbury, der Bassist, erfahren als Sänger in Chören, gab Steve ein neues Verständnis bezüglich des Gesangs. Für Steve, den Gitarristen, dessen Hauptziel immer war, sein Instrument wie jedes erdenklich andere klingen lassen zu können, hat erkannt: „Stimmen, das sind die interessantesten Instrumente von allen“ Und so kann es passieren, daß seine Gitarre in Zukunft auch mal wie eine Stimme klingt.

Die Grundstimmung der LP ist einmal mehr frei von Mode und Trenderscheinungen. Ein großes Spektrum an Klangfarben läßt Steve einfließen – eine der vielen Bedeutungen, die im Albumtitel angesprochen werden. Und der Welt der Geister (= specters) hat er sich textlich verschrieben. Die Texte basieren auf dem Tod. Nicht auf Tod im körperlichen Sinne als Ableben und Ende des Lebens, sondern als Übergang: Es könnte noch was Besseres folgen, Grenzen könnten überwunden werden, neues Land entdeckt werden. „Ich bin sicher ein unverbesserlicher Idealist“, versucht Steve seine philosophisch-modischen Gedanken vom Tisch zu kehren. „Ich weiß, daß man von daher mich und meine Musik nur lieben oder hassen kann. Die Romantiker werden das lieben, die Realisten wohl kaum“, vermutet er.

Steve ist heute – als sein eigener Herr – ausgeglichener und glücklicher denn je. Er ist sich selbst verantwortlich, nicht einer zweifelhaften Demokratie unterworfen, wie sie bei Genesis herrschte. Und offenbar nicht funktionierte. „Genesis, das ist Vergangenheit, das ist endgültig vorbei“, betont er denn auch. Und wie steht er zu Gerüchten einer Wiedervereinigung für eine Tournee, die Genesis im Verbund mit einem dreidimensionalen Film zu „Lamb lies down…“ auf den Konzertbühnen präsentiert? „Ich möchte dazu eigentlich nicht direkt Stellung beziehen. Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen mit einer Absage, aber auch gleichzeitig niemandem Hoffnungen machen. Vielleicht, wenn es sich mit meiner Arbeit vereinbaren läßt, ja. Aber andererseits: ich fühle mich wohl in der neuen Rolle und wüßte nicht, warum ich das ändern sollte.“