Stayin‘ Alive
Die Haare sind etwas schutter, doch singen können sie noch immer wie die Nachtigallen. Zehn Jahre nach "Saturday Night Fever" wollen's die Bee Gees nochmals wissen. ME/Sounds-Mitar- beiterin Christiane Rebmann sprach mit ihnen in Hamburg.
Unkraut vergeht nicht. Längst wähnte man die altehrwürdigen Bee Gees schon in den ewigen Jagdgründen, da tauchen die drei Unverwüstlichen schon wieder aus der Versenkung auf. Zwar nicht ganz taufrisch, aber immerhin mit einer neuen Platte, die sich weder nostalgisch an alte ßee Gees-Erfolge der späten 60er Jahre (wie „Massachusetts“ oder „To Love Somebody“) klammert noch die „Saturday Night Fever“-Disco-Mottenkiste von anno 1977 öffnet. Auf dem Album ESP mogeln sich die Gibb-Brüder mit zeitgemäß geschneiderten Synthetik-Klängen geschickt unters Charts-Volk.
Um die frohe Kunde von der Wiedervereinigung auch angemessen verbreiten zu können, rückten Barry, Maurice und Robin gleich zu dritt in Deutschland an. Und bestanden darauf, daß die Interviewstunde in drei gleich Teile aufgeteilt wurde — jedem Brüderchen seine 20 Minuten. Ob es wohl auch dieses altbekannte Geschwistergerangel war, daß das Trio sechs lange Jahre davon abhielt, sich auf dem Plattenmarkt als eben solches zu zeigen?
„Mitnickte)!. Wir sind nicht nur Brüder, wir verstehen uns auch privat bestens“, versichert Vielredner Barry und strahlt zur Untermauerung wie ein Honigkuchenpferd. Nein, die lange Pause hatte andere Gründe: „Wir wollten, abwarten, bis sich der Ubersältigungseffekt auf dem Markt gelegt hatte. Jahrelang wurden die Leute mit unseren Songs im Radio regelrecht überfüttert. Wenn wir nicht selbst aufgehört hätten, hätte man uns wohl eines Tages gestoppt. Außerdem wollten wir uns als Songschreiber verbessern. “ In der Tat trainierte das Dreiergespann an berühmten Objekten — mit Erfolg: Sowohl das von Barry produzierte Streisand-Album GUILTY, das mit Bee Gees-Songs bestückt wurde, als auch die Millionenseller Heartbreaker von Dionne Wanvick und Eaten Alive von Diana Ross belegen eindrucksvoll, wozu so eine kleine Erholungspause gut sein kann.
Und während von Mauricens Soundtracks nur einer veröffentlicht wurde und Barrys zwischenzeitlich produziertes Solowerk unbeachtet blieb, landete der hagere Robin mit dem Song „Juliet“ immerhin einen Nummer-Eins-Hit in Deutschland. Insgesamt also genügend Erfolgserlebnisse, um den gemeinsamen 81er Reinfall The Living Eyes, für den Barry heute die schlechte Songqualität und chaotische Verhältnisse in der Plattenfirma verantwortlich macht, endlich zu verdauen.
Um diesmal auch ganz sicher zu gehen, holten sich die Bee Gees wieder den altgedienten Studiomeister Arif Mardin ins Studio, der schon das „Fever“-Fieber auf dem Gewissen hatte. „Wir heuerten Arif an, weil er so vital und kreativ ist“, erläutert Barry, „er ist viel älter und erfahrener als wir. Deshalb fiel es uns in diesem Fall auch nicht schwer, unsere Egos hintenan zu stellen und seinen Ratschlägen zu folgen. Immerhin konnten wir diesmal schon mehr an Ideen beisteuern als vor zehn Jahren.. „
Zum Glück setzten die Bee Gees diesmal auf Innovation und versteiften sich nicht auf den Eunuchengesang der 70er Jahre. Auf ESP verwenden sie nur noch sehr gemäßigt ihren berühmten berüchtigten Heulbojen-Sound. Barry scheint darüber ganz erleichtert: „Nur wenige Gruppen sind in der glücklichen Lage, den Gesang so variieren zu können wie wir. Während Robin und ich meistens im Falsett singen, läßt sich Maurice bestens als Sopran oder Baß vemenden. Diese große Handbreite ist einer der Gründe dafür, daß wir uns so lange gehalten haben. Wir können uns jedem Trend anpassen.“
Glaubt man den Brüdern, dann herrscht auch während der Kompositionsarbeiten eitel Harmonie im Studio. Die Melodien werden gemeinsam entwickelt, passend zur Melodie dann die Texte. Eine Melodie wegen einer passenderen Textzeile umzuändern, wäre in Barrys Auge Frevel. Kein Wunder also, daß die Texte nicht unbedingt vor Genialität strotzen. Auf illustre Studiogäste verzichteten die Bee Gees auch bei dieser Platte, ganz entgegen dem allgemeinen Trend: “ Wir haben uns auf bewährte Sessionmusiker verlassen“, erklärt Barry nicht ohne Stolz. „Man muß ja nicht jede Mode mitmachen, ganz nach dem Motto: .Setzt Gott an die Sitar und sagt Jesus, er soll das nächste Mal pünktlich kommen.“