Squarepusher im Interview: „Geld fuckt die Leute ab“
Tom Jenkinson feiert dieser Tage silberne Hochzeit mit seinem Alter Ego Squarepusher. Nachdem er 1995 die EP „Alroy Road Tracks“ noch unter dem sehr britischen Projektnamen Duke of Harringay veröffentlicht hatte, begann mit der Namensänderung sein Aufstieg zu einem der bis heute wichtigsten Produzenten elektronischer Musik. Wobei Jenkinsons Sound von Anfang an eine organische Komponente besaß neben den futuristischen Drum’N’Bass Beats und den Ambient-Soundscapes, sei es über von ihm selbst eingespielte Bass- und Gitarrenspuren oder seine stets präsenten Jazz-Einflüsse.
Den experimentellen Gestus der Squarepusher-Musik hat Jenkinson genial im Projektnamen eingefangen, einem augenzwinkernden Kommentar auf die Drogenklischees, die mit elektronischer Musik oft verbunden werden (Stichwort: Drug Pusher) und ebenso auf die (nur scheinbare) Coolness der Raver im Abgleich mit den sonstigen Spießern/Langweilern (Square) in der Gesellschaft um ihn herum – der Name ist aber natürlich auch eine Reminiszenz an den futuristisch-mathematischen Charakter seiner Musik. Eine nicht unwichtige Rolle bei der Genese von Squarepusher spielte Richard D. James (Aphex Twin), der das Debütalbum FEED ME WEIRD THINGS auf dem von ihm und Grant Wilson-Claridge betriebenen Rephlex Label veröffentlichte, die Track-Narration entscheidend beeinflusste und Sleevenotes beisteuerte, und der auch später den Impuls zum Labelwechsel zu Warp gab, wo die beiden Ende der 90er-Jahre diverse Meilensteine der elektronischen Musikgeschichte veröffentlichen sollten.
Dieser Tage erscheint anlässlich seines 25. Jubiläums FEED ME WEIRD THINGS als Wiederveröffentlichung, ergänzt um Bonus-Tracks und ein ausführliches Booklet. Thomas Venker hat sich dem Jahr 2021 entsprechend mit Tom Jenkinson im Zoomkonferenzraum seiner Plattenfirma Warp getroffen.
Tom, kurz vor dem Lockdown bist Du im vergangenen Jahr noch im Rahmen des „CTM Festivals“ im Berliner Berghain aufgetreten. Ich war mit einigen anderen Musikexpress-Autor*innen unterwegs in der Nacht und wir sind – man kann es nicht anders sagen – durchgedreht zu dem Set. Es war sehr laut und sehr intensiv, weckte zugleich Erinnerungen an eine Rockshow, fühlte sich aber auch wie ein echter Rave an.
Tom Jenkinson: Das freut mich sehr. Ich liebe das Berghain, ich war da mindestens so oft als Besucher wie ich auf der Bühne stand. Es ist ein perfekter Ort, um in einen tranceartigen Zustand zu kommen.
FEED ME WEIRD THINGS ist vor 25 Jahren erschienen. Wie erinnerst Du Dich an die Welt von 1996?
Ich habe Kunst am College of Art and Design in Chelsea studiert und so viel Zeit wie möglich für die Arbeit an der Musik abgezweigt. Es fühlte sich damals so an, als ob die lange Ära konservativer Regierungen zu einem Ende kommen würde. Wir wussten noch nicht, welche Enttäuschungen Tony Blair für uns bereit hält. Damals entstanden Jungle und Drum’N’Bass als neue Stile aus der Breakbeat-Szene heraus. Die musikalischen Entwicklungen gingen in jenen Tagen so rasant voran – es fühlte sich aufregend an, Teil davon zu sein.
Gab es die Pläne zum Reissue schon vor der Pandemie? Oder ist die Veröffentlichung das Ergebnis der Archivarbeit in Ermangelung anderer Möglichkeiten?
Die Pandemie arbeitet in der Tat der Nostalgie zu – wobei ich klar stellen muss: Nostalgie ist nicht mein Ding, ich versuchte immer den Blick nach vorne zu richten, auch wenn ich den Magnetismus verstehe, den die Vergangenheit ausübt. Das Remastering hat bereits 2015 stattgefunden, nun schien der Moment der richtige.
Nostalgie ist in der Tat ein Begriff, den ich mit Deiner Musik nicht verbinde. Viele Musiker wollen nichts so sehnsüchtig wie futuristisch klingen – und enden doch nur bei der Reproduktion von bekannten Ideen. In Deiner Musik begleitete den Willen zum Neuen immer auch ein großer Respekt für das vergangene und aktuelle, nicht zuletzt durch das Miteinander elektronisch-programmierter und organischer Elemente. Wie leicht fällt es Dir, diese beiden Paradigmen zu vereinen?
Es herrscht oft ein Klima der Angst vor der Zukunft, Felder wie der Klimawandel haben der Zukunft das Positive genommen, es scheint so, als ob es nur noch darum geht, Schäden zu limitieren und Krisen zu meistern. Ich will hier nichts schön reden und schon gar nicht die Umweltschäden negieren, aber die nostalgische Rückwärtswendung wird das alles nicht ändern. Die populistischen politischen Ereignisse von 2016 wurden angeheizt von dem Credo, dass wir zurück in die Vergangenheit müssen, zu den Traditionen des United Kingdoms. Ich glaube eine der vielen Ableitungen dieser Erfahrungen ist, dass die Zukunft leider mittlerweile nicht mehr als positiv aufgeladener Ort gilt. Ich find es aber wichtig, dass man weiter nach vorne agieren muss, denn nur da liegen die Lösungen zu den Herausforderungen unser Zeit.
Die Zeit, ein passendes Stichwort, sie hat einen großen Einfluss darauf, wie wir Musik wahrnehmen. Wie hat sich das Album beim Wiederhören für Dich angefühlt?
Andere haben es angeregt und es ergab für mich Sinn, einfach um das Album, das schon sehr lange nicht mehr nachgepresst wurde, wieder erhältlich zu machen. Es existierte zuletzt nur in diesem schrecklichen Second-Hand-Plattenmarkt, wo die Preise explodiert sind, einzig und allein, da das Produkt so rar ist. Das gefällt mir gar nicht. 50, 100 oder gar 300 Dollar für eine Platte – das ist Bullshit. Dann geht es nur noch um Investitionen, das hat nichts mehr mit der eigentlichen Intention zu tun. Insofern ist das Re-Release mit der Ambition verbunden, den Markt zu deflatieren. Generell fühle ich mich nicht wohl damit, meine alte Musik wieder aufzusuchen. Ich vermeide es. Wobei ich interessanter Weise kein Problem damit habe, mir unveröffentlichte alte Musik von mir anzuhören. Nicht nur, da ich sie weniger oft gehört habe, sondern da ich nicht die Bürde der öffentlichen Wahrnehmung spüre.
Wieviele Tracks gab es denn damals zur Auswahl? Und wie bist Du an die Narration rangegangen?
Die Story geht so: Richard D. James und ich kamen nach einer Show im Nordlondoner Pub Sir George Robey ins Gespräch. Wir tauschten Nummern aus und verabredeten uns zum Musikhören. Ich hab ihm dann ungefähr 40 Tracks auf Tape gegeben und er hat 12 davon ausgewählt. Er hat die Entscheidung getroffen, ich hab mich da nicht groß eingemischt, mein Respekt war zu groß.
Aphex Twin hat erst neulich ein AFD Token Werk namens „/afx\/weirdcore\“ veröffentlicht (in Zusammenarbeit mit Weirdcore und Freeka Tet) und für 130000 US-Dollar verkauft. Ich nehme mal an, Du kannst dir das nicht vorstellen.
Nein, das bin nicht ich. Weißt du, man spricht viel davon, dass Geld einem die künstlerische Freiheit gibt, um Visionen umzusetzen. Wenn die Grundversorgung gesichert ist, sollte es aber keinen Einfluss mehr haben, sonst ergibt man sich der Gier nach Geld und Macht. Geld fuckt die Leute ab, es beeinflusst die Entscheidungen negativ und bringt dich weg von den guten Leuten, es macht dich unsozial. Deswegen riskiere ich gerne etwas mit meiner Musik – auch wenn ich nicht so tun will, als sei ich der größte Risikokünstler von allen. Aber ein gutes Beispiel: Als ich nach „Big Loada“ das Album MUSIC IS ROTTED ONE NOTE veröffentlichte, wollte es niemand hören. Aber für mich war es wichtig. Es war mein expliziter Wunsch, für eine Unterbrechung der kommerziellen Verwertbarkeit meiner Musik zu sorgen.
Tom, ein Stück trägt den Titel „Deep Fried Pizza“ – hast Du das damals wirklich gegessen?
Ich hätte nie das Selbstvertrauen dazu gehabt. Was ich damals mit dem Titel sagen wollte: Der Track war lustig, aber er fühlte sich klebrig an, billig, wie Musik, die man in einem Einkaufszentrum hört. Also wollte ich die Cheesyness mit dem Vergleich aufgreifen.