Zu Besuch bei Spotify: „In unsere Playlists kann man sich nicht einkaufen“
Ist die Playlist das Album der Zukunft? Wer entscheidet, was wir morgen gut finden? Kann man sich in Streamingdiensten nach oben kaufen? Warum sind Podcasts so erfolgreich? Ein Interview mit Michael Kruse und Maik Pallasch von Spotify während eines Besuchs in deren Berliner Hauptquartier.
+++ Dieses Interview führten Laura Aha und Friedrich Steffes-Iay im Frühjahr 2019. Es erschien ursprünglich in der Musikexpress-Ausgabe 06/2019. +++
Zugegeben: Man hätte es sich pompöser vorgestellt, das deutsche Hauptstadtbüro des wertvollsten Tech-Unternehmens Europas. 30 Milliarden US-Dollar war Spotify nach seinem Börsengang im April 2018 wert. Neben der Eingangstür zum Co-Working-Space, der in einer unscheinbaren Seitenstraße in Berlin-Mitte liegt, verweist jedoch nicht mal ein Schild auf den Musikstreaming-Dienst. Pressesprecher Marcel Grobe eilt durch den glasüberdachten Innenhof auf uns zu. Er entschuldigt sich für dieses wenig eindrucksvolle Übergangsoffice, das eigentliche Spotify-Headquarter werde gerade umgebaut.
Lange haben wir auf diese Gesprächstermine gewartet. Die Tage von Michael Krause, Managing Director bei Spotify Central Europe, und Maik Pallasch, zuständig für die deutschen Playlisten, scheinen auf die Minute durchgetaktet. Grobe wird uns den ganzen Tag über kaum von der Seite weichen – und auch während der beiden Interviews immer wieder einhaken.
Etwa 50 Mitarbeiter*innen arbeiten in der Niederlassung in Berlin. Dafür, dass hier quasi über die Zukunft der Musik entschieden wird, ist es erstaunlich leise. In funktionalen Büroparzellen sitzen tätowierte Frauen mit Kopfhörern und essen Salat aus braunen Pappboxen vor ihren iMacs. Ein paar Männer in ihren Vierzigern diskutieren in der offenen Büroküche mit ihren AirPods. Grobe stellt uns den „Feelgood-Manager“ und den „Head of Heavy Metal“ vor, der weder Bandshirt noch lange Haare trägt. Der sportlich-schicke Dresscode scheint Uniform zu sein: fast alle tragen Jeans, Sneaker und grau-blaue Button-Down-Hemden. Über die Computerbildschirme läuft Codetext, Social-Media-Statistiken werden ausgewertet, im Hintergrund ist stets das schwarz-grüne Spotify-Browserfenster geöffnet.
An den Wänden stehen Sprüche wie „My brain has too many tabs closed“, im Kühlschrank Ökolimonaden und naturtrübes Radler. Einzig einen Kickertisch sucht man vergebens. „Das wäre ja eher Start-up-mäßig“, scherzt Grobe, während er uns zu Michael Krause in den Interviewraum führt. „Bei uns wäre Indoor-Golfen wahrscheinlich angebrachter.“
Krause ist als Managing Director für Spotifys Businessseite in Mitteleuropa zuständig. Er ist ein nordischer Typ, das blonde Haar an den Schläfen etwas angegraut. Seine eng beieinanderstehenden Augen verleihen ihm ein jungenhaftes Aussehen. 2017 ist er vom Konkurrenten Deezer zu Spotify gewechselt. Krause würde sich selbst als Musiknerd bezeichnen, auch wenn er seine bisher letzte Schallplatte vor über sechs Jahren gekauft hat: ein Album der Melodycore-Band Millencolin.
Interview mit Michael Krause, Managing Director bei Spotify Central Europe
Herr Krause, Künstler wie Die Ärzte und die Beatles haben sich Streaming lange verweigert. Mittlerweile sind sie auf Spotify zu finden. Haben Sie den Anspruch: Wir wollen alle?
Krause: Streaming ist als Alternative zur Piraterie entstanden. Als ich Anfang der 2000er bei Universal war, kamen die illegalen Filesharing-Börsen raus. Daniel Ek hat Spotify als Alternative dazu gelauncht, ein Produkt, das besser ist als Piraterie. Dazu gehört, dass möglichst alle Songs verfügbar sind. Sobald jemand seine Songs nicht digital verfügbar macht, verführt man dazu, sich die Sachen illegal zu besorgen.
Oder CDs zu kaufen?
Krause: Die Möglichkeit, physische Tonträger abzuspielen, ist nicht mehr so allgegenwärtig wie früher. Viele Autos haben keinen CD-Player mehr. Für Fans ist es undankbar, wenn „ihr Künstler“ nicht im Streamingdienst verfügbar ist. Die haben vielleicht zu Hause einen Plattenspieler, aber wenn sie unterwegs sind, können sie Die Ärzte nicht hören. Das ist frustrierend.
Wie überzeugt man Die Ärzte, ihre Musik bei Spotify anzubieten?
Krause: Wir nehmen Kontakt auf und fragen nach den Gründen. Teilweise sind es Missverständnisse oder Vorbehalte gegen das werbefinanzierte Modell. Man versucht die Vorteile zu erklären.
Die größte Kritik von Künstlerseite richtet sich gegen die geringe Höhe der Ausschüttungsbeträge pro Stream. In den Medien kursieren Summen zwischen 0,036 bis 0,6 Cent. Liegt die Wahrheit dazwischen?
Krause: Da wir keine direkten Verträge mit Künstler*innen haben, sondern mit Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften, haben wir keine Einsicht, was die den Künstler*innen ausschütten. Es ist ein kompliziertes Geschäftsmodell, wo man nicht sagen kann: „Diese Summe pro Stream ist für jeden Song in jedem Monat zu jeder Sekunde gleich.“
Verdienen Künstler*innen, die bei Majorlabels unter Vertrag sind, besser als Indie-Acts?
Krause: Wie gesagt, ich stecke nicht drin in den Verträgen.
Sie sind 2018 an die Börse gegangen. Ist es schlimm, dass Spotify zwölf Jahre nach der Gründung noch nicht in den schwarzen Zahlen ist?
Krause: Daniel Ek hat immer gesagt, dass ihn Gewinnmaximierung überhaupt nicht interessiert. Es ist ein Wachstumswettbewerb, wir investieren in neue Märkte. Allein 2018 haben wir 16 Märkte gestartet, in Indien etwa. Der Börsengang wurde nicht gemacht, um Geld einzusammeln, sondern um eine Exitstrategie für die Anteilhaber zu entwickeln, wie zum Beispiel für Sony. Wir wollen die Nummer eins sein und wachsen. Das ist der Fokus.
Erst mal – aber auf lange Sicht will man schon Geld verdienen, oder?
Krause: Erst mal wollen wir wachsen, wir wollen in die „white spots“ auf der Weltkarte rein, wie etwa Südkorea, ein Riesenmarkt!
Gibt es intern einen Termin, ab dem Spotify gewinnbringend sein muss?
Krause: Nein.
Spotify wird oft als „Audio-Netflix” gehandelt. Ist Netflix ein Vorbild für Sie?
Krause: Netflix ist ein erfolgreiches Abo-Modell im digitalen Bereich. Wir haben ein ähnliches Geschäftsmodell, insofern gibt es Parallelen. Worauf das abzielt, ist, dass wir im Audio- und Podcastbereich stark investieren. Wir haben im Februar 2019 Gimlet Media übernommen, ein Podcast-Label und in Deutschland exklusive Audioproduktionen gelauncht, zum Beispiel Visa Vies „Das allerletzte Interview“, „Fest und Flauschig“ und „Talk-O-Mat“. Ich glaube, daher kommt der Vergleich „Netflix für Audio“.
Netflix lebt von seinen Eigenproduktionen. Als Musik-Streamingdienst ist man von externen Inhalten abhängig, da man nicht selber Musik produziert. Sind die Podcast-Eigenproduktionen auch ein Schritt, um unabhängiger von der Musikindustrie zu werden? 80 Prozent der Musikrechte auf Spotify liegen schließlich bei den Majorlabels.
Krause: Ich sehe das eher als Mehrwert für die Hörer. Die Partnerschaft mit den Labels basiert auf gegenseitigem Interesse. Wir vertreiben Musik und bringen Umsätze für die Labels. Andererseits freuen wir uns über alle Songs, die von Major Labels vorfinanziert und bei uns angeliefert werden. Das ist eine super Symbiose. Der globale Musikmarkt wächst wieder, 2018 um knapp 10 Prozent. Was wir im Audiobereich machen, ist ein Mehrwert, weil wir sehen, dass die Tendenz weggeht vom „Auf-den-Bildschirm-Gucken“ hin zum Hören. Die Inhalte, die wir anbieten, sollen helfen, die Kunden aus dem werbefinanzierten Angebot ins Premium-Modell zu bringen.
Wird Spotify irgendwann eigene Musik produzieren?
Krause: Es ist nicht geplant. Das wäre für unsere Neutralität gegenüber den Kunden schwierig. Wenn wir Playlisten erstellen und Interesse hätten, unser eigenes Repertoire zu pushen, wäre das auf jeden Fall nachteilig für unsere Mission: unsere Kunden glücklich zu machen und die Künstler glücklich zu machen.
Es wird viel Potenzial im Podcast-Markt gesehen. Wieso ist Audio so beliebt?
Krause: Das Tolle an Audio ist, dass man es in Situationen nutzen kann, in denen man weder Video noch Text konsumieren kann. Es fängt an beim Wecken mit Spotify, im Badezimmer oder beim Duschen – da ist es schwer, etwas anzugucken. Vom Auto zur Arbeit bis zum Schlafengehen mit Hörspielen: Audio ist etwas, das einen den ganzen Tag begleiten kann, ohne zu nerven. Die Nutzungsdauer und -intensität von Audio steigt und ist längst nicht ausgeschöpft.
Sie produzieren Podcast-Interviews, in denen Künstler ihre Alben vorstellen und machen quasi-musikjournalistische Formate. Machen Sie uns als Musikmagazin bald obsolet?
Krause: Ja klar, Sie können gleich Ihre Kündigung einreichen. (lacht) Nein, Scherz. Wir sehen, dass mehr Medienhäuser in den Podcast-Bereich gehen und ihre Inhalte für Audio umsetzen, als zusätzliche Nutzungsart der Inhalte mit zusätzlichen Vermarktungmöglichkeiten. Ich glaube, das ist für alle im journalistischen Bereich eine große Chance.
Playlisten laufen oft als Hintergrundrauschen im Alltag mit. Sehen Sie bei sich eine kulturelle Verantwortung mit Blick darauf, wohin sich die Musik entwickelt?
Krause: Es gibt verschiedene Szenarien, in denen verschiedene Arten von Musikkonsum vorherrschen. Wenn ich einschlafen will, will ich keine spannenden Künstler entdecken. Da ist funktionale Musik kuratiert von unserer Redaktion sinnvoll. Aber wir haben auch den wöchentlichen Release-Radar, wo wir jedem Hörer persönlich neue Tracks über einen Algorithmus vorstellen. Spotify bietet beide Möglichkeiten der Musikempfehlung und wir sehen, dass ein Großteil der Kunden beides nutzt.
Aber der Impact, den Spotify auf Hörgewohnheiten und Musikproduktion hat, dessen sind Sie sich schon bewusst?
Krause: Wir sehen, dass wir Einfluss haben, wenn Leute den Playlisten folgen, die wir selber machen. Unsere Playlist „Modus Mio“ hat aktuell über eine Million Follower. Da wissen wir natürlich, dass das, was wir kuratieren, von vielen Leuten wahrgenommen wird. Wir haben eine „Corporate Responsibility“. Wir haben zum Beispiel eine Playlist zum „Black History Month“ gemacht und zum „Christopher Street Day“. Wir haben zum Wählen aufgerufen. Als der „Muslim Travel Ban“ von Donald Trump verhängt wurde, haben wir die Playlist „I’m with the Banned“ gemacht und Künstler aus muslimischen Staaten nach Kanada geflogen, um Kooperationen mit amerikanischen Künstlern zu machen. Unter dem Motto: „Die Leute dürfen nicht mehr reisen, aber Musik kann immer noch reisen.“ Das ist doch sehr poetisch, oder?
Wer die Bedeutung von Playlisten wie diesen verstehen möchte, muss sich mit Maik Pallasch unterhalten, dem „Listen-Chef“ bei Spotify. Playlisten zählen inzwischen zum Kerngeschäft des Streamingdienstes, 4 500 kuratiert Spotify weltweit. Zählt man die Listen aller Nutzer hinzu, kommt man auf drei Milliarden. In Deutschland betreuen Pallasch und sein fünfköpfiges Team circa vier- bis fünfhundert Playlisten. Er ist der Einzige von den Redakteuren, der durch Interviews eine gewisse Öffentlichkeit besitzt – die anderen bleiben zu ihrem eigenen Schutz anonym. Es droht eine Flut an Pressemails, Telefonanfragen und nicht zuletzt Bedrängnis durch aufdringliche Managements. In der Musikwelt hat man längst verstanden: Gehört wird, wer in den großen Playlisten der Streamingdienste stattfindet.
Pallasch kennt beide Seiten der Musikindustrie. Bevor er Ende 2017 seinen von Spotify neu geschaffenen Posten besetzte, arbeitete er mehrere Jahre als A&R bei großen Labels wie Sony und BMG. Wenn also jemand ein Verständnis für die Entwicklung von Hörgewohnheiten besitzt, dann er. Und dass Spotify mit den eigenen Playlisten massiv Einfluss darauf nimmt, ist nicht zu übersehen – den großen Genre-Playlisten wie „Modus Mio“ oder „Techno Bunker“ folgen jeweils knapp eine Million Leute, Songs der Neuerscheinungen-Playlisten wie „New Music Friday“ landen früher oder später im Formatradio. Und dann gibt es da noch Dutzende anwendungsbasierte Listen: Wer einen Soundtrack zum Duschen sucht, wird in der „Dusch Playlist“ (580 000 Follower) fündig, wer Hintergrundmusik zum Yoga braucht, folgt „Yoga & Meditation“ (1 Million Follower). Und mit „Walk Like A Badass“ auf den Kopfhörern (1,5 Millionen Follower) lässt sich inzwischen sogar der Weg zum Späti episch orchestrieren.
Interview mit Maik Pallasch, „Head Of Music“ bei Spotify
Herr Pallasch, wir nennen Sie flapsig „Listen-Chef“. Wie lautet Ihre genaue Berufsbezeichnung?
Pallasch: Meine genaue Berufsbezeichnung ist „Head of Music“, ich beschäftige mich mit den Funktionen, die hier mit Musik zu tun haben. Das ist zum einen die Redaktion, die sich um die redaktionellen Playlisten kümmert, die wir auf Spotify kuratieren, und zum anderen die Artist-und-Label-Funktion. Da geht es um die Beziehung zu den Künstler*innen bzw. Labels und um die Marketingkampagnen, die wir mit ihnen machen.
Einmal ganz exemplarisch: Wie finden denn die Redakteur*innen die Songs, die am Ende in einer der redaktionellen Playlisten landen?
Pallasch: Es gibt eine Künstler*innen-App von uns, „Spotify for Artists“. Man muss sich das so vorstellen: Jede/r Künstler*in kann sich in dieser App registrieren und anschauen, wie oft die eigenen Songs gestreamt werden und in welchen Playlisten sie stattfinden. Und neben diesen ganzen Daten gibt es inzwischen auch die Möglichkeit, Musik für Playlisten zu pitchen. Das heißt, man schlägt seine Songs vor und macht verschiedene Angaben über Genre, Sprache und Herkunft des Künstlers. Und anschließend werden die Songs an alle Spotify-Redakteur*innen weltweit übertragen.
Weltweit? Klingt ganz schön unübersichtlich.
Pallasch: Wir arbeiten da mit verschiedenen Filtern, eben je nachdem, für welche Zwecke der/die Redakteur*in Musik sucht. Man kann zum Beispiel nach Genre, Sprache oder Instrumentierung filtern und so schauen, welche neue Musik für eine Playlist interessant sein könnte.
„Wir machen unsere Playlisten nicht zu Bestandteilen von irgendwelchen Medien- oder Marketing-Kooperationen“
Stichwort Zusammenarbeit mit den Labels: Gibt es da Deals? Playlist-Plätze sind schließlich heiß begehrt.
Pallasch: Mittlerweile wissen eigentlich alle Labels, dass man sich nicht in die Playlisten einkaufen kann – weder Slots noch das ganze Cover. Wir machen unsere Playlisten nicht zu Bestandteilen von irgendwelchen Medien- oder Marketing-Kooperationen. Das ist für uns sehr wichtig und auch der Grund, warum dieses ganze System so gut funktioniert. Die Redaktion arbeitet hier unabhängig und das soll auch so bleiben.
Wenn Musik zunehmend funktional wird und je nach Aktivität vor allem Playlisten angeklickt werden – bedeutet das, die Künstler*innen werden zunehmend egaler?
Pallasch: Das glaube ich nicht, das sind einfach unterschiedliche Anwendungsfälle und wir wollen die Künstler*innen auch gar nicht obsolet machen, ganz im Gegenteil. Es geht eher darum, für jede Stimmungen, Möglichkeiten zu schaffen und manchmal will man halt einfach nur Hintergrundmusik hören. Aber wir kuratieren ja auch sehr viele Neuheiten- oder Genre-Playlisten wie „Modus Mio“ und „Techno Bunker“, in denen die Hörer*innen immer wieder neue Künstler*innen entdecken können, die damit im Vordergrund stehen.
Ist das so? Das Hören der „Techno Bunker“-Playlist könnte als Warm-up vor dem Feierngehen ja auch einen sehr funktionalen Grund haben.
Pallasch: Das kommt immer darauf an, wer wie Musik hört. Das war auch schon vor zehn Jahren so, als die Leute ein DJ-Set angemacht haben und nicht mal einen Tracknamen gesehen haben. Oder wenn einfach die Musik im Radio durchläuft. Hier ist es tatsächlich so: Wenn du interessiert bist, kannst du ja immer den Namen des Acts angucken und viel schneller und tiefer in die Musik einsteigen. Sein gesamtes Werk liegt ja nur einen Klick entfernt. Es gibt beide Anwendungsfälle – funktionale Musik zum Duschen oder Yoga und das bewusste Musikhören. Dadurch, dass wir beides befriedigen, schaffen wir es möglicherweise, dass Menschen heutzutage sehr viel mehr Musik hören als noch vor zehn oder 20 Jahren.
Spotify versteht seine Nutzer durch fortschrittliche Algorithmen inzwischen ziemlich gut. Wie individuell kann mein Musikgeschmack eigentlich noch sein, wenn ich mich nur noch darauf verlasse und das klicke, was mir in Playlisten vorgeschlagen wird?
Pallasch: Wir versuchen auch bei Algorithmen immer wieder durch ein redaktionelles und kulturelles Verständnis Ausgleich zu schaffen. Im Idealfall hört man dann also nicht nur die Musik, die einem auf Basis des eigenen Nutzungsverhaltens vorgeschlagen wird, sondern bekommt auch Impulse durch die Redaktion.
Wie kann so ein Impuls denn konkret aussehen?
Pallasch: Was wir gerade machen, sind zum Beispiel sogenannte redaktionelle personalisierte Playlisten. Am Anfang stellen wir das Konzept der Playlist auf – ob es zum Beispiel um ein bestimmtes Anwendungsfeld wie „Konzentration“ geht. Da spielen dann Faktoren wie Emotionen, Aktivität, Zielgruppe oder Genre eine Rolle. Die Redaktion wählt dann Songs aus, die in dieses Konzept passen und der Algorithmus stellt basierend darauf eine individuell auf den Hörer zugeschnittene Playlist zusammen.
Die Redaktion setzt die musikalische Klammer, der Algorithmus erledigt den Rest?
Pallasch: Genau.
Gibt es irgendwelche Faustregeln, wie ein Song produziert sein sollte, damit er gute Chancen auf ein Playlist-Listing hat? Etwa, dass man seine Produktion möglichst früh „knallen“ lässt?
Pallasch: Faustregeln gibt es da nicht, weil die Playlisten ganz unterschiedliche Bereiche, Genres und Stimmungen abdecken. Gleichzeitig wurden Songwriting und Produktion schon immer durch technologische Entwicklungen beeinflusst. Das ist bei Vinyl so gewesen – wie viel passt auf eine Schallplatte – bis zum Radio, wo auch immer Radio-Versionen der neuen Songs erschienen sind. Im Streaming ist das ähnlich, aber am Ende des Tages sehen wir da keine großen Unterschiede. Es wird schon genauso wie im Radio versucht, den Chorus relativ schnell zu bringen und die Intros nicht zu lang zu ziehen. Gleichzeitig gibt es aber bei uns auch Playlisten wie zum Beispiel „Techno Bunker“, wo auch achtminütige Instrumentalstücke mit langen Intros funktionieren.
Sind Playlisten die neuen Alben?
Pallasch: Playlisten sind meiner Meinung nach nicht die neuen Alben, nein. Playlisten werden für ganz bestimmte Momente oder Stimmungen gemacht und haben ganz unterschiedliche Hypothesen. Das Album ist nach wie vor das Format, wie sich ein/e Künstler*in über eine bestimmte Anzahl an Songs ausdrückt. Und das steht für mich genau neben einer Kuration wie einem Mixtape oder einer Playlist, das gab es früher ja schon in anderer Form.
Kann man als Künstler*in ohne Spotify überhaupt noch Karriere machen?
Pallasch: (überlegt) Das ist eine gute Frage. In bestimmten Bereichen kann das vielleicht funktionieren…
In welchen?
Pallasch: Wenn du beispielsweise viel live unterwegs bist und andere Wege benutzt, um deine Musik zu promoten. Andererseits ist Spotify natürlich ein super Tool, um genau das zu schaffen: erste Hörer erreichen und deine Musik einem größeren Publikum vorzustellen.
Momentan wird Künstliche Intelligenz (KI) ein immer relevanteres Thema. Eine neue App namens ENDEL kann inzwischen aus wenigen musikalischen Versatzstücken individuell auf den Hörer zugeschnittene Musik erstellen. Ist das ein Thema, das auch für Spotify relevanter wird?
Pallasch: Grundsätzlich ausschließen will ich das nicht. Es gibt Beispiele, wo das Sinn ergeben kann – bei funktionaler Musik zum Beispiel, wo man keinen bestimmten Act dahinter erkennen muss. Beim Musikmachen gibt es aber immer wieder diesen besonderen Moment zwischen Songwriter*innen, Künstler*innen oder Musiker*innen, der zum Entstehen ganz großer Songs beigetragen hat. Das wird hoffentlich nie verloren gehen.
Und den kann eine KI nicht erschaffen?
Pallasch: Das will ich auch nicht ausschließen. Aber ich hoffe, dass wir Menschen da auch immer noch eine Rolle spielen werden.
Wann haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihren Job gut gemacht haben?
Pallasch: Meinen Job gut gemacht habe ich, wenn die Hörer*innen draußen zufrieden sind und unsere Playlisten täglich gehört werden. Wir werden uns immer weiter in Subkulturen und Nischen hervorarbeiten. Im Idealfall gibt es dann für jeden Moment, jede Aktivität, Stimmung und für jedes Subgenre eine Playlist. Aber das ist eine endlose Aufgabe.
Dieses Interview führten Laura Aha und Friedrich Steffes-Iay im Frühjahr 2019. Es erschien ursprünglich in der Musikexpress-Ausgabe 06/2019.