South by Southwest


Austin, Texas

Die größte Pop-Party Amerikas: Beobachtungen vom Branchentreffen South by Southwest.

Mitten zwischen den Selbstdarstellern und Betrunkenen, zwischen Menschen, die aussehen wie Rockstars, und Menschen, die Rockstars sind, zwischen Stoner Rock aus einem Keller und Electro-Beats von einem Hausdach und Indie-Pop aus einem Zelt und Rap aus einem Waschsalon, zwischen Akrobaten, die mit Messern jonglieren, zwischen vorbeizischenden Rikschas und hysterischen Teenies, also mitten in dem Zirkus, zu dem South by Southwest (SXSW) geworden ist, kommen Indianer die Straße heruntergeritten. Der Mann vorneweg auf einem Schimmel, den breitkrempigen Hut tief im Gesicht und die Tochter vor sich im Sattel, dahinter die Frau auf einem Braunen. Auch das ist SXSW, auch in seinem 26. Jahr noch und vielleicht ja sogar in erster Linie: nicht nur ein Branchentreffen, eine Leistungsschau der Musikindustrie, sondern ein Event für die ganze Familie. Ganz deutlich wird das bei Steve Earle. Die nicht allzu beeindruckende Skyline von Austin hat er im Rücken, vor sich Familien auf Picknickdecken, Frauen in Cowboystiefeln, Männer, die ihren Autoschlüssel am Karabinerhaken tragen. Vom Lady Bird Lake weht ein frischer Wind herauf, aber es riecht nach Bier, Hot Wings und Corn Dogs. Earle, der zwar schon seit Jahren in New York lebt, aber aus dem eine gute Autostunde entfernten San Antonio stammt, singt von Männern, die auf einsamen Highways über ihr Leben nachdenken. Als er „Copperhead Road“ anstimmt, seinen desillusionierenden Song über Kriegsveteranen, geht nicht so sehr Jubel, sondern eher zustimmendes Raunen durchs Publikum.

Es ist einer der wenigen Augenblicke in diesen fünf Tagen mit mehr als 2 000 Bands und ungezählten Konzerten auf mehr als 100 Bühnen, an denen man sich halbwegs verortet fühlt. Ansonsten schwimmt man durch die Zeiten und Styles, durch alle Länder dieser Erde und jede denkbare Emotion. Die einen sagen, man solle sich treiben lassen. Die anderen, man solle sich gut vorbereiten. Manche setzen auf Insider-Tipps, die ganz Schlauen stellen sich dort an, wo die meisten Hipster in der Schlange stehen. Was immer man versucht, das Ergebnis ist Überforderung, eine seltsame ziellose Verlorenheit und das Gefühl, etwas zu verpassen.

Die vorher angekündigten Highlights verpasst man mit allergrößter Wahrscheinlichkeit. Über das geheime Konzert von Iggy & The Stooges wird zwar tagelang gemunkelt, es bleibt für die meisten Besucher trotzdem geheim. Die Karten für die Auftritte von Justin Timberlake, Nick Cave oder Depeche Mode werden ebenso verlost wie die für Prince, der zum Abschluss der Sause vor anderthalbtausend Glücklichen spielt.

Normalsterblichen bleibt immer noch viel zu viel. Der neue heiße Scheiß ist zu begutachten wie die Rapperin Angel Haze, die im Pandora Porch auftritt, wo die roten Brandmauern das angemessene Blockparty-Feeling emulieren, oder die Brooklyner DIIV, die das Parish, einen angesagten Live-Club in der Innenstadt, mit ihren Gitarrenwänden auskleiden. Aber auch alte Säcke geben sich die Ehre – oder auch nicht: Howe Gelb jedenfalls erlaubt sich die Extravaganz, sich zum Auftritt seiner Band Giant Sand nur per Skype zuzuschalten. Hoffnungsträger der Musikindustrie sind zu sehen wie Willy Moon, dessen zugleich modischer wie mülliger Electro-Billy dann doch wieder vor allem an die Cramps erinnert, und seltsame Einfälle wie die Brooklyner Bhangra-Band Bar Rakaat, die mit fünf Bläsern und drei Perkussionisten etwas sehr Mitreißendes spielen, das James Brown gefallen hätte – wäre er Inder gewesen.

Die Momente, die in Erinnerung bleiben, sind aber die ungeplanten. Auf einem Parkplatz steht ein Zelt, durch das jedes Mal, wenn die Tür des zugehörigen Dixi-Klos aufgeht, eine böse Schwade weht. Aber selbst das kann dem majestätischen, verträumten Pop der Band da oben, die, so sagt es der handgeschriebene Zettel am Eingang, Houses heißt, nichts anhaben. Die Zeit steht still, alles scheint möglich. Sogar, dass plötzlich wieder Indianer eine Straße in Austin hinunterreiten.