Sounds now!
Egal ob Rock, Indiepop, Americana, Folk, HipHop oder „Screamo" - in jedem Genre findet man Menschen, die alles für die Kunst geben, weil sie ohne sie nicht leben könnten. Muss man wirklich von einer Krise sprechen, wenn Monat für Monat so viel großartige Musik erscheint?
1 Andrew Bird – Fake Palindromes
Wer solche Songs schreibt, muss nicht mehr als „ehemaliger Violinist der Squirrel Nut Zippers“ bezeichnet werden.
Bird zupft seine Violine, er streichelt sie, schlägt darauf Akkorde an und entlockt ihr allerlei sonderbare Geräusche: Der Mann, der sein Können einst der erfolgreichen Swing-Combo Squirrel Nut Zippers aus North Carolina zur Verfügung gestellt hat, ist ein Virtuose auf seinem Instrument. Was ihn zu einem Ausnahmetalent macht, ist aber sein Songwriting, das seit dem beachtlichen letzten Album weather Systems nochmal gereift ist. ANDREW BIRD & THE MYSTERIOUS PRODUCTION OF EGGS ist nicht mehr das Werk eines Violinisten, der sich als Solo-Künstler versucht, sondern ein reifes und nicht selten euphorisierendes Singer-/Songwriter-Album.
2 Mando Diao – Annies Angle
What a difference a song makes: Die Schweden haben sich durchgesetzt, weil sie große Melodien schreiben.
So erschlagend waren die Fluten der durch- und unterdurchschnittlichen Rock’n’Roll-Bands, die im Sog der Strokes und der Libertines den Sprung aus ihren schimmeligen Probekellern schafften, dass Mando Diao bei Veröffentlichung ihres Debüts bring em in 2002 beinahe übersehen worden wären. Was die Plagiatoren und die Originale unterscheidet, ist das Maß an Leidenschaft und die Qualität der Arbeit: Mando Diao haben ein Händchen für Melodien, für griffige Arrangements und nicht zuletzt die Auswahl der Songs: HURRICANE BAR ist eines der kraftvollsten und hochwertigsten Rock-Alben, die in Skandinavien aufgenommen wurden.
3 And You Will Know Us By The Trail Of Dead – Worlds Apart
Mit Kritik am Mainstream in den Mainstream: Niemand denkt so perfekt um die Ecke wie die Texaner.
„Warum soll man nicht etwas kritisieren können, dem man gleichzeitig auch angehören will?“, fragt Conrad Keely all jene, die einen Widerspruch darin erkennen wollen, dass Trail Of Dead mit ihrem neuen Album worlds apart in den Mainstream durchbrechen wollen, gleichzeitig im Titelsong aber die Beliebigkeit der gegenwärtigen Musik- und Celebrity-Kultur anprangern. „Man spricht ja Jesus auch nicht das Recht ab, religiös zu sein, nur weil er die Pharisäer kritisiert hat. Wenn du an etwas glaubst, dann willst du. dass es so gut wie möglich ist.“ Trail Of Dead werden Anfang März für fünf Konzerte nach Deutschland kommen.
4 My Chemical Romance – You Know What They Do To Guys Like Us In Prison
Ekstatisches „Screamo“-Gerocke und Songwriting muss kein Widerspruchsein…
Sensible und reichlich labile Jungs wie MCR-Sänger Gerard Way haben es – wie man hört – in der Tat nicht leicht im Gefängnis. In „You Know What They Do To Guys Like Us In Prison“ steigern sich My Chemical Romance so intensiv in die Vorstellung eines Gefängnisaufenthaltes hinein („I miss my Mom!“], bis sie emotional fast explodieren. Ihr Major-Debüt THREE CHEERS FOR SWEET REVENGE ist das beeindruckend potente Werk einer Band, die derzeit elegant wie kaum eine andere mit großen Gefühlen, brachialer Gewalt und hymnischen Melodien arbeitet.
5 Sage Francis – Sun Vs Moon
Straßen-Poesie mit WM Oldham-Connection und Johnny-Cash-Referenzen.
Sage Francis aus Providence geht geschickt wie kaum ein anderer mit der Sprache um und hat ein HipHop-Album aufgenommen, das nicht nur hervorragende Beats (u.a. von Dangermouse und Sixtoo) enthält, sondern zudem von wahrhaftigem Interesse an Musik zeugt. Auf A HEALTHY DISTRUST finden sich neben zahlreichen Samptes aus dem Indierock-Universum auch eine Co-Komposition mit Will Oldham sowie ein Song, der den Tod von Johnny Cash thematisiert. Wer die Platte hört oder den Mann demnächst auf seinen Konzerten besucht -, wird verstehen, warum Sage Francis 2004 das erste HipHop-Signing von Epitaph war.
6 Charlotte Hatherley – Paragon
Ein Hit aus der Beinahe-Platte-des-Monats der Ash-Gitarristin,
Gefühlte 500 überraschende Melodiebögen finden sich auf GREY WILL FADE, dem ambitionierten und höchst gelungenen Solo-Debüt der Ash-Gitarristin. „Vielleicht hab ich mich immer unterschätzt, aber ich hab‘ so lange davon geredet, ein Solo-Album zu machen, dass ich es nicht länger aulschieben konnte“, so Hatherley. „Als die Website online ging haben in den ersten drei Stunden 300 Leute die Single runtergeladen. Das war enorm gut für mein Selbstbewusstsein.“ Dass Songs wie „Paragon“ so dicht und herrlich rauh klingen, liegt nicht zuletzt an Produzent Eric Drew Feldman, der einst Mitglied von Captain Beefhearts Magic Band war und in den 90er-Jahren bei mehreren Frank-Black-Alben Regie geführt hat.
7 Rilo Kiley – The Absence Of God
Die „Geheimtipp“-Zeiten sind endgültig vorbei.
„Mike.´, I’ll teach you how to swim, if you turn the bad in me into good again“, singt Jenny Lewis in „The Absence Of God“. Es ist gut möglich, dass sie damit den Bright-Eyes-Produzenten Mike Mogis meint, der in Nebraska das neue Rilo-Kiley-Album MORE ADVENTUROUS aufgenommen hat. Die neuen Songs beweisen allerdings aufs erneut, dass es kaum „bad“ in Jenny gibt, das man in „good“ verwandeln müsste – die Sängerin und Songschreiberin gehört mit ihrer Band zu den unbestrittenen Größen des amerikanischen Indie-Rock. Daran wird auch ein Major-Vertrag nichts ändern.
8 Patrick Wolf – The Libertine“
Ein 21-jähriges Talent hat erkannt, dass es allein am besten arbeitet.
Das Debüt LYCANTHROPHY war gut, das neue Album WIND IN THE WIRES ist noch besser. Patrick Wolf 21] – der noch den Namen seiner Eltern trug, als ihm vor drei Jahren ein Medium auf einem verregneten Friedhof in Paris empfahl, sich Wolf zu nennen – schreibt tiefgründige Songs und spielt auf seinem Album alle Instrumente von Piano über Ukulele bis hin zur Viola. Und weil er gerne alleine ist. produzierte er sich auch gleich selbst. „Ich wollte nie so einer sein, aber ich bin inzwischen sehr vorsichtig, mit welchen Leuten ich arbeite. […] Sie müssen sich im gleichen Universum wie ich bewegen“, so Wolf. Werden jungen Iren, der heute in England lebt, noch nicht auf der Rechnung hat, sollte das schleunigst nachholen. „The Libertine is locked in jail, the pirate sunk and broke his sail. But I still have to go, so here I go, I’m going to run the risk of being free „…
9 Lou Barlow – Home
Moderner Folk von einem der Meister des Genres. Und inzwischen auch fast ohne Rauschen.
Hätte Lou Barlow die Schönheit dieses Songs nicht so tief vergraben, sie würde einem niemals so freudig um den Hals fallen, wenn man sie schließlich unter dem treibenden Rhythmus und all den Schichten von Klängen und Geräuschen entdeckt. „Home“ findet sich auf EMOH („Home“ rückwärts gelesen], dem ersten offiziellen Solo-Album von Lou Barlow, der über knapp 20 Jahre mit Sebadoh und The Folk Implosion die Entwicklung des amerikanischen Indierocks vorangetrieben hat. Im Gegensatz zu einigen früheren Veröffentlichungen wurde emoh übrigens nicht mit einem Kassetten-Recorder im Bad. sondern mehrheitlich mit einem ordentlichen Hifi-8-Spur-Gerät in Tonstudios aufgenommen.
10 Downpilot – Everyday Dream Of The West
Die Band aus Seattle skizziert die Realität mit leinen Strichen.
Sänger, Gitarrist und Songschreiber Paul Hiraga ist ein Mensch, der mit einer Andeutung bereits alles sagen kann: In „Everyday Dream Of The West“ aus dem Downpilot-Debüt LEAVING NOT ARRIVING herrschen keine klaren Zustände – Warum droht ständig ein Regenguss? Warum bewegt sich der Boden? Warum sind überhaupt die Dinge so schrecklich kompliziert? – und doch ergibt alles irgendwie einen Sinn.